Diskrepanz: In der Zwickmühle der Gerichtshöfe

(c) Clemens Fabry
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Eine Judikaturdivergenz zwischen dem OGH und dem VwGH kann all jene, die ein Unternehmen leiten, im Insolvenzfall in eine prekäre Situation bringen.

Wien. Folgender Fall: Ein Unternehmen ist materiell insolvent, also nicht mehr in der Lage, seine Forderungen zu begleichen. Allerdings ist die Insolvenz formal noch nicht eröffnet. Denn nach § 69 Insolvenzordnung hat der Schuldner sechzig Tage ab Eintritt der Zahlungsunfähigkeit Zeit, die Insolvenz zu beantragen.

Wie hat sich in dieser Zeit ein ordentlicher Geschäftsführer zu verhalten, der einerseits dafür verantwortlich ist, dass die Gesellschaft ihre Abgaben zahlt, andererseits auch die Verpflichtung hat, den operativen Geschäftsbetrieb so gut wie möglich fortzuführen, damit er rettet, was vielleicht noch zu retten ist? „Um das zu tun, ist es unerlässlich, mit den Gläubigern weiterhin Zug-um-Zug-Geschäfte abzuwickeln. Doch dann kommt besagter Geschäftsführer in einen unlösbaren Konflikt“, sagt Michaela Gebetsberger, Associate bei der Rechtsanwaltskanzlei Held Berdnik & Astner. Grund dafür ist eine Judikaturdivergenz zischen dem Obersten Gerichtshof (OGH) und dem Verwaltungsgerichtshof (VwGH). „Nach ständiger Rechtsprechung des OGH fallen solche Geschäfte nicht unter den Gleichbehandlungsgrundsatz, wonach bei (drohender) Insolvenz alle Gläubiger gleich zu behandeln sind. Solche Geschäfte sind vielmehr als Masseforderungen zu qualifizieren.“ Das heißt, der Geschäftsführer hat diese Forderungen gleich vollständig zu begleichen. „Die Betrachtungsweise des OGH ist aus wirtschaftlicher Sicht durchaus begründet“, sagt Gebetsberger. „Kein Geschäftspartner würde nämlich mit dem Schuldner in Kenntnis der drohenden Insolvenz noch Geschäfte machen, wenn seine Forderungen nicht umgehend befriedigt werden.“

Insolvenz- versus Abgabenrecht

Der VwGH sieht das anders. „Seiner Rechtsprechung zufolge dürfen Zug-um-Zug-Geschäfte nicht vollständig befriedigt werden, weil andernfalls eine dem Gleichbehandlungsgrundatz widersprechende Rechtshandlung gesetzt werden würde, die überdies eine Haftung nach § 9 und § 80 BAO begründet“, so die Juristin.
Das heißt, der Vertreter des Unternehmens muss für die nicht eingebrachten Abgaben mit seinem persönlichen Vermögen haften, wenn sie später nicht mehr einbringlich sind. „Er befindet sich also in einer Zwickmühle“, sagt sie: Saniert er das Unternehmen, in dem er Zug-um-Zug-Geschäfte eingeht, wird er abgabenrechtlich insoweit „bestraft“, als er sich einer Haftung aussetzt. „Das Abgabenrecht verdrängt in diesem Fall alle insolvenzrechtlichen Grundsätze, obwohl nach ständiger Rechtsprechung des VwGH das Insolvenzrecht Vorrang vor den einschlägigen Normen des Abgabenrechts genießt. Was sie als Anwältin einem Klienten in so einem Fall wohl raten würde? „Eine schwierige Frage“, sagt Gebetsberger. Eine Klarstellung seitens des Gesetzgebers wäre wünschenswert. Die Finanzstrafgesetz-Novelle 2014 böte, wie sie meint, eine gute Gelegenheit dazu. (hec)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2014)

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