Karlsruhe kippt zu laxe Erbschaftssteuer

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Die deutschen Verfassungsrichter verbieten großzügige Ausnahmen für Betriebsvermögen. Bis Mitte 2016 ist das Gesetz zu reparieren.

Wien. Ein mittleres Erdbeben für den viel gepriesenen deutschen Mittelstand: Die Verfassungsrichter in Karlsruhe haben wesentliche Teile der deutschen Erbschaftssteuerrechts für verfassungswidrig erklärt, weil sie nicht dem Gleichheitsgrundsatz entsprechen. Es geht dabei um die großzügigen Ausnahmen für Betriebsvermögen. Sie sollten verhindern, dass Familienunternehmen in Liquiditätsprobleme geraten, Investitionen zurückschrauben, verkaufen oder ihren Betrieb schließen müssen.

Dass der Gesetzgeber Arbeitsplätze sichern will und dafür auch das Steuerrecht nutzt, erklären die Richter aber ausdrücklich für legitim. Schon 2008 knüpften sie die Begünstigung daran, dass der Erbe den Betrieb weiterführt. Darauf reagierte der Gesetzgeber: Der Erbe muss nun nachweisen, dass er die Lohnsumme über sieben Jahre annähernd konstant hält. Auch damit sind die Richter einverstanden. Aber sie kritisieren das „enorme Ausmaß“ der Ungleichbehandlung, zu dem die Privilegien geführt haben – auch „durch ihre exzessive Ausnutzung“, sprich durch kreative Steuervermeidung.

Bei seinen Forderungen hat der erste Senat Kleine wie Große im Visier. Für Firmen mit bis zu 20Mitarbeitern gilt die Lohnsummenregel bisher nicht, um den Kontrollaufwand in erträglichen Grenzen zu halten. Das bedeutet aber, dass über 90 Prozent aller Firmenerben von vornherein keine Steuer zahlen. Damit aber sei die Ausnahme zur Regel gemacht, argumentieren die Richter – und wollen die Freistellung auf Betriebe „mit einigen wenigen Beschäftigten“ begrenzt sehen. Was sie auch stört: Das Gesetz erlaubt Unternehmern, bis zu 50 Prozent nicht betriebsnotwendiges „Verwaltungsvermögen“ in den Büchern zu halten, ohne ihre Steuerbefreiung zu gefährden. Diese Grenze halten die Richter für zu hoch; sie lade geradezu dazu ein, private Güter ins Unternehmen zu verlagern.

„Großkapital“ im Visier

Noch mehr ein Dorn im Auge ist ihnen, dass große Firmenvermögen ungeschoren bleiben. Von der bedingten Befreiung umfasst sind bisher auch Anteile an Kapitalgesellschaften von über 25 Prozent. Das sei im Prinzip auch in Ordnung, weil man hier von einer „unternehmerischen Einbindung“ des Eigners ausgehen kann. Aber wenn es um große Vermögen geht, fordern die Verfassungshüter eine konkrete Prüfung, ob sich nicht Erbe und Firma die Steuer problemlos leisten können. Der Erbe, weil er neben den Anteilen über genug anderes Vermögen verfügt, etwa Geld oder Kunstwerke. Oder die Firma (wenn der Erbe auf ihre liquiden Mittel zugreifen kann), weil sie ausreichend freie Rücklagen hat, um die Steuer zu stemmen– ohne dass sie Investitionen einschränken oder Jobs kürzen muss.

Freilich: Das fair zu überprüfen ist für den Fiskus sehr aufwendig. Das Urteil ist dazu widersprüchlich: An einer Stelle wird – neben Stundungen – auch eine solche Bedürfnisprüfung abgelehnt, weil sie wegen der Bewertungsfragen „Erschwernisse bei der Erhebung“ mit sich bringe.

Geht es aber um viel Geld für den Fiskus und gegen das „Großkapital“ (dieses Wort nahm einer der Richter in der Verhandlung in den Mund), halten die roten Roben den Aufwand und die heikle Einschätzung offenbar für durchaus legitim. Was bedeutet das für die Große Koalition in Berlin? Sie muss das Gesetz bis Mitte 2016 korrigieren – auch für Schenkungen. Bis dahin gelten die alten Paragrafen. Es sei denn, man ändert sie rückwirkend, wovor sich das Kabinett Merkel hüten wird. Finanzminister Schäuble würde am liebsten gar nichts anrühren, um die Familienunternehmen als Rückgrat der deutschen Wirtschaft zu schonen. Vermutlich wird künftig der Aufwand für die Erhebung stark steigen und das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei der wenig effizienten Erbschaftssteuer noch weiter verschlechtern.

Die Hände reiben dürfen sich deutsche Anwälte und Notare. Zu erwarten ist nämlich ein Boom an Schenkungen. Viele Unternehmer werden ihre Betriebe noch zu Lebzeiten an ihre Kinder übertragen, bevor das Gesetz verschärft wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2014)

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