Toter Rechtsanwalt beschäftigt seine Kammer

Michael Auer, Präsident der Rechtsanwaltskammer Wien.
Michael Auer, Präsident der Rechtsanwaltskammer Wien.(c) Bruckberger - Die Presse
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Ein Wiener Anwalt nahm sich im Oktober 2014 das Leben und hinterließ ein wirtschaftliches Fiasko. Es geht um 7,9 Millionen Euro Klientengelder, um Privatdarlehen – und die Haltung der Wiener Standesvertretung.

Wien. Am 13.Oktober 2014 erschoss sich der Wiener Rechtsanwalt Michael Mathes in den Räumlichkeiten seiner Kanzlei. Als zuvorkommend, liebenswert und hervorragend gekleidet beschreiben ihn seine Kollegen. Er sei ein blendender Akquisiteur, ein „seriöser Anwalt, wie man ihn sich nur vorstellt“ gewesen, heißt es. Noch dazu hatte er die Bereitschaft, sich für seinen Stand tatkräftig zu engagieren. Mathes war nicht nur Vizepräsident des österreichischen Juristenverbandes, sondern auch Rechnungsprüfer der Rechtsanwaltskammer Wien (RAK Wien). Groß war daher die Betroffenheit über den Suizid des 54-Jährigen. Doch zur Betroffenheit gesellten sich rasch Empörung und Wut. Denn eines stellte sich nach seinem Tod in Windeseile heraus: Mathes hinterließ ein finanzielles Fiasko.

Schon am 15.Oktober 2014 stellte der Anwalt Franz Marschall, der sofort zum Stellvertreter bestellt worden war, fest, dass nach seinen Erhebungen 8,4 Mio. Euro an Klientengeldern fehlten. Zusätzlich hatte er bemerkt, dass Mathes offenbar keinerlei Treuhand- oder Anderkonto geführt hatte, sondern die Finanzgebarung wohl ausschließlich über das Kanzleigirokonto erfolgt war. Eine Trennung zwischen Privat- und Fremdgeld dürfte es also nicht gegeben haben. Ein schwerer Verstoß gegen die für Rechtsanwälte geltenden Richtlinien (siehe Artikel unten).

Da die Verlassenschaft des Anwalts hoffnungslos überschuldet war, wurde am 28.November die Insolvenz eröffnet. Am vergangenen Montag berichtete nun der zuständige Masseverwalter, Christof Stapf, den Gläubigern vom aktuellen Stand.

78 Gläubiger haben sich gemeldet

Die Fakten: Bis 20.Jänner 2015 haben insgesamt 78 Gläubiger Forderungen in der Höhe von insgesamt 12,7 Mio. Euro angemeldet. Davon laufen allein 7,9 Mio. Euro unter dem Titel „veruntreute Klientengelder“ – Forderungen, die der Masseverwalter allerdings noch nicht anerkannt hat. Darüber hinaus dürfte es auch noch einige andere Gläubiger geben, die es vorzogen, ihre Forderungen nicht anzumelden. Unter den Gläubigern (das Anmeldeverzeichnis liegt der „Presse“ vor) finden sich neben Banken, Versicherungen, dem Finanzamt, der Wiener Gebietskrankenkasse und Dienstnehmern etwa auch Freunde, Bekannte und (Ex-)Schwiegermütter, die dem Verstorbenen Privatdarlehen in sechsstelliger Höhe gewährt haben.

Einer der Gläubiger, er ist Arzt und ein langjähriger Vertrauter von Mathes, kann sich bis heute nicht erklären, wie es möglich gewesen ist, dass die RAK Wien so gar nichts von den Malversationen ihres Rechnungsprüfers bemerkt hat. Mathes zweiter Exfrau geht es ähnlich. Weil es auch um die Frage einer eventuellen Haftung der Kammer ging, baten sie den Präsidenten der RAK Wien, Michael Auer, bereits im November des Vorjahres um einen Termin. Auer erschien nicht selbst, sondern entsandte zu dem Gespräch am 17.November 2014 Kammeramtsdirektor Walther Gatterbauer und Oda Geishofer, die Leiterin der Abteilung für Berufsüberwachung in der RAK Wien.

Ihnen berichtete der Mediziner, dass er von Schwierigkeiten seines Freundes mit der Allianz Versicherung schon 2012 erfahren habe. Mathes hätte Gelder aus Forderungseintreibungen nicht weitergeleitet. Er habe daraufhin einen Vergleich mit der Versicherung abgeschlossen, in dem er sich verpflichtet hätte, ihr 50.000 Euro (!) monatlich zurückzuzahlen. Um diese hohen Raten tilgen zu können, soll Mathes sein Haus und einige seiner Autos versilbert, aber eben auch Fremdgelder verwendet haben. Auch der Arzt habe ihm – trotz großen Unbehagens – noch 400.000 Euro geliehen.

Schon damals habe er nicht verstanden, dass die RAK Wien nichts von den Machenschaften von Mathes bemerkte. Wie das denn sein könne, habe er Mathes immer wieder gefragt. Dieser habe aber jedes Mal betont, einzelne Funktionäre würden „schützend die Hand über ihn halten“. Überdies sei er, Mathes, als Rechnungsprüfer selbst ein bedeutender Funktionär. Dass die Kammer schon 2012 hätte einschreiten müssen, sagte der Mediziner nicht nur den Kammer-Repräsentanten im November, sondern auch jüngst zur „Presse“. Nach „Presse“-Recherchen hat das Präsidium tatsächlich schon 2012 von Mathes' Schwierigkeiten mit der Allianz-Versicherung erfahren, aber nicht weiter reagiert, weil man „die Sache schon für erledigt gehalten“ habe.

Aktenkundig wurde die „Causa Mathes“ erst ein ganzes Jahr später. Nachdem der Anwalt über Monate verabsäumt hatte, die Miete für seine Kanzleiräumlichkeiten zu bezahlen, machte der Anwalt der Vermieterin Meldung bei der RAK Wien. Am 7.Mai 2013 entschloss sich das Plenum zu einer Kanzleiüberprüfung. Und zwar, wie RAK-Vizepräsidentin Elisabeth Rech kürzlich vor dem Ausschuss betonte, „obwohl bei derartigen Meldungen nie Kanzleiüberprüfungen vorgenommen werden“. Die Untersuchungen bei Mathes führten die beiden Anwälte Andreas Nödl und Georg Brandstetter am 7.Mai 2013 durch und fanden dabei nichts Auffälliges. In der Ausschusssitzung vom 18.Juni wurde sogar lobend protokolliert, Mathes sei „vorbildlich vorbereitet“ gewesen. Tatsache ist jedoch, dass 2012 bereits eine und 2013 sieben Exekutionen gegen die Kanzlei Mathes im Gange waren. Dem aktuellen Bericht des Masseverwalters zufolge traten „erste mögliche Hinweise auf finanzielle Probleme des Schuldners (...) im Zusammenhang mit Fremdgeldweiterleitungen schon im Jahr 2007 auf“.

Viele Fragen – keine Antworten

Rech, die in der RAK Wien auch für die Berufsüberwachung zuständig ist, war trotz mehrmaliger „Presse“-Anfrage nicht für eine Stellungnahme erreichbar. Dem Präsidium der RAK Wien übermittelte „Die Presse“ einen umfassenden Fragenkatalog zu ihrem Verhalten in der „Causa Mathes“. Ist die RAK Warnhinweisen von Rechtsanwälten Mathes betreffend nachgegangen? Was wurde bei der Kanzleinachschau genau überprüft? Gibt es dazu einen Bericht? Das sind nur drei von 18 Fragen, die unbeantwortet blieben. Präsident Auer teilte dazu nur folgendes mit: „Die RAK Wien hat den Sachverhalt, soweit er in ihren Kompetenzbereich gefallen ist, ermittelt. Wir haben uns, wie in jedem anderen Fall auch, in dieser Sache geschäftsordnungsgemäß verhalten. In die laufenden Verfahren (Verlassenschaft, Insolvenz) sind wir nicht eingebunden. Die von Ihnen zitierte Aussage, wonach ,Funktionäre der RAK Wien von den Schwierigkeiten von Dr. Mathes schon länger gewusst‘ und ,schützend die Hand über ihn gehalten‘ hätten, stimmt nicht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2015)

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