Ein toter Anwalt sorgt für Erklärungsnot

Elisabeth Rech.
Elisabeth Rech.(c) Stanislav Jenis
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"Presse"-Exklusiv: Ein Wiener Anwalt hinterließ nach seinem Tod ein finanzielles Fiasko. „Hätte die Wiener Rechtsanwaltskammer früher eingreifen können und müssen?“, fragte „Die Presse“ das Präsidium.

Wien. „Dass man niemandem mehr trauen kann, steht fest. Das ist schon ein Rückschlag“, sagt Rechtsanwältin Elisabeth Rech. Das sei eine der Lehren, welche die Vizepräsidentin der Wiener Rechtsanwaltskammer (RAK Wien) aus der Causa Mathes zieht. Rech ist in der Kammer für die Berufsüberwachung, also Kontrolle ihrer Mitglieder, zuständig.

Zur Erinnerung: Der Rechtsanwalt Michael Mathes erschoss sich im Oktober 2014 in seiner Kanzlei – und hinterließ ein wirtschaftliches Fiasko, das seinesgleichen sucht. Insgesamt haben 78 Gläubiger Forderungen in der Höhe von 12,7 Mio. Euro angemeldet, davon laufen 7,9 Mio. Euro unter dem Titel „veruntreute Klientengelder“. Und es gibt noch einige andere Gläubiger, die es vorzogen, ihre Forderungen lieber nicht anzumelden.

Wie es passieren konnte, dass die Machenschaften von Mathes, der immerhin auch Rechnungsprüfer in der Wiener Rechtsanwaltskammer und Vizepräsident des Österreichischen Juristenverbandes war, auch von der Kammer völlig unbemerkt geblieben sind, wollte „Die Presse“ schon im Jänner von der RAK Wien wissen. Man habe sich geschäftsordnungsgemäß verhalten, ließ der Präsident der Kammer, Michael Auer, damals ausrichten. Auf 18 konkrete Fragen wollte er nicht eingehen.

Mathes wurde einfach geglaubt

Wochen später – und nach vielen zornigen Reaktionen aus den eigenen Reihen – entschlossen sich nun die beiden Vizepräsidentinnen der RAK Wien, Elisabeth Rech und Brigitte Birnbaum, sowie Anwalt Georg Brandstetter doch, der „Presse“ vergangenen Dienstag Rede und Antwort zu stehen. Denn tatsächlich gibt es einiges zu erklären: Immerhin hatte die RAK schon 2012 erfahren, dass Mathes Schwierigkeiten mit einem seiner Klienten, der Allianz Versicherung, hatte. Die Kammer beschäftigte sich jedoch erst 2013 näher mit ihrem Funktionär. Nachdem Mathes über Monate verabsäumt hatte, die Miete für seine Kanzlei im ersten Bezirk zu zahlen, machte nämlich der Anwalt der Vermieterin bei der Kammer im April eine Meldung. Eine Überprüfung der Kanzlei wurde veranlasst. Die Anwälte Georg Brandstetter und Andreas Nödl führten sie im 13.Juni 2013 durch, fanden jedoch nichts Auffälliges. Die ausstehenden Mietzinse hatte Mathes wohlweislich bezahlt. Man habe ihn auch nach weiteren Verbindlichkeiten gefragt, sagt Brandstetter, nicht jedoch, ob Exekutionen gegen ihn laufen würden: „Dazu hat es keinen Anhaltspunkt gegeben.“

Tatsache ist, dass schon 2012 und auch zum Zeitpunkt der Nachschau seitens der Wiener Gebietskrankenkasse Exekutionen anhängig waren. Jedoch habe, so die Auskunft des Prüfers, weder ein Anwalt, ein unzufriedener Klient noch sonst jemand eine Beschwerde bei der Kammer eingebracht. „Da gab es nichts!“, sagt Brandstetter.

Ob sich Brandstetter und Nödl bei der Prüfung auch angesehen hätten, wie Mathes seine Schwierigkeiten mit der Allianz Versicherung gelöst hatte, wollte „Die Presse“ weiters wissen. Nein, sagt Brandstetter. Die Sache mit der Allianz sei nicht im Fokus der Prüfung gestanden, zumal Nödl und ihm dazu keine Details bekannt gewesen seien. Nur, dass Mathes der Allianz etwas zurückzahlen müsse, habe man gehört. Vizepräsidentin Elisabeth Rech allerdings war, wie sie selbst bestätigte, schon Ende 2012 von einem Kollegen darauf hingewiesen worden, dass Mathes mit der Allianz Versicherung gröbere Probleme habe. Sie habe ihn damals auch angerufen und sich erkundigt, was denn los sei. Mathes habe ihr bestätigt, dass er Rückzahlungen an die Allianz zu leisten hätte, weil er ihr zu viel Honorar verrechnet hätte. In Kürze sei die Geschichte jedoch erledigt, meinte er. Mit dieser Auskunft gab sich Rech zufrieden. Sie habe sich weder nach Details der Vereinbarung erkundigt noch nach Summen. Denn auch der Anwalt der Allianz Versicherung habe sich nicht bei der Kammer gemeldet.

Nähere Infos darüber wären wohl – auch für die beiden Prüfer – sehr wertvoll gewesen. Aus dem Notariatsakt, den Mathes mit der Allianz bereits im Frühjahr 2012 geschlossen hat, geht nämlich hervor, dass sich der Anwalt zu einer monatlichen Zahlung von 50.000 Euro verpflichtet hatte, nachdem er bei der Allianz schon mit 1,8 Mio. Euro in der Kreide stand.

Ein Betrag, den auch gut verdienende Anwälte nicht mir nichts, dir nichts aufbringen könnten. „Freilich, hätten wir etwas von einem vollstreckbaren Notariatsakt gewusst, dann hätten wir den sehen wollen“, sagt Brandstetter. Das kammerinterne Screening von Mathes, das es in Vorbereitung der Prüfung gab, habe all das jedoch nicht zutage gebracht.

Bestätigung erst auf Nachfrage

War Mathes vor der Prüfung denn je mit Kammerbeiträgen im Rückstand? „Nein, nie“, betonen Birnbaum und Brandstetter synchron. Aktuellen „Presse“-Recherchen zufolge entspricht das aber nicht den Tatsachen. In einem Brief vom April 2013 forderte Vizepräsidentin Birnbaum Mathes auf, seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Kammer nachzukommen. Andernfalls sei die zuständige Abteilung gezwungen, exekutive Maßnahmen zu ergreifen.

Auch die Frage, ob die Kammer denn je von Mathes' Berufshaftpflichtversicherung über Rückstände informiert worden sei, verneinte Rech mehrfach und dezidiert. „Zum Zeitpunkt der Nachschau nicht“, ergänzt Brandstetter. „Wenn eine Haftpflichtversicherung nicht gezahlt wird, wird der Anwalt sofort gesperrt, weil er keinen Versicherungsschutz hat.“

Nun, es mag durchaus sein, dass Mathes zum Zeitpunkt der Kanzleiüberprüfung seine Prämien bezahlt hatte. Jedoch dürfte sich das unmittelbar danach geändert haben, was auch Vizepräsidentin Rech gewusst haben muss.

Das ergibt sich aus einem weiteren Brief vom August 2013, von dem „Die Presse“ am Dienstagabend erfuhr: „Von der Generali erhielten wir eine Verständigung, dass zu Ihrem Vertrag ein Prämienrückstand besteht“, schrieb Vizepräsidentin Rech damals an Mathes. Im Februar 2014 sandte sie noch einmal ein gleichlautendes Schreiben an ihn. All das blieb im Gespräch mit der „Presse“ unerwähnt. Erst am Mittwoch, nach Vorhalt der „Presse“-Recherchen, bestätigten Rech, Birnbaum und Brandstetter die Existenz dieser Briefe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2015)

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