Libro: Ein Urteil fordert die Justiz

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Ob die viel kritisierte Libro-Entscheidung des Obersten Gerichtshofs nur ein Ausreißer ist, weiß derzeit niemand. Die Generalprokuratur hätte die Möglichkeit, das herauszufinden.

Wien. SPÖ und ÖVP haben jüngst einen Initiativantrag eingebracht, mit dem der strafrechtliche Tatbestand der Untreue präzisiert werden soll. Damit werde sichergestellt, dass unternehmerische Fehlleistungen nicht per se als Untreue-Handlungen gewertet werden, sagten die Justizsprecher, Michaela Steinacker (ÖVP) und Hannes Jarolim (SPÖ), unisono. Mehrere Urteile des Obersten Gerichtshofs (OGH) hätten nämlich die Sorge verstärkt, „dass Unternehmer und Geschäftsführer wegen Fehlentscheidungen im Kriminal landen“. Wie etwa im Fall Libro für die Ausschüttung einer Sonderdividende, obwohl die Gesellschafter, also die Eigentümer des Unternehmens, dieser Ausschüttung zugestimmt hatten, so die beiden.

Die Reaktionen auf den Entwurf waren sehr unterschiedlich. Während die Vertreter von Industrie und Wirtschaft laut applaudierten, fielen etwa die Stellungnahmen der Vereinigung Österreichischer Staatsanwälte und des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags (ÖRAK) missbilligend aus. Der vorliegende Entwurf sei in keiner Weise geeignet, die im Zusammenhang mit der Untreue entstandenen Probleme auch nur teilweise zu lösen, so der Tenor Letzterer.

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass es im Wesentlichen nur eine Entscheidung des OGH war, die zu der viel zitierten Verunsicherung in Wirtschaftskreisen geführt hat. Das berühmte Urteil 12Os 117/12s erging im Jänner 2014 in der Causa Libro. Der 12. Senat bestätigte die Verurteilung der Ex-Vorstände André Rettberg und Johann Knöbl wegen Untreue und widersprach damit der Rechtsmeinung der Generalprokuratur.

Libro-Urteil – ein Ausreißer?

Selten wurde bisher ein Urteil von Wissenschaft und Praxis so einhellig in Grund und Boden kritisiert. Und ob der OGH sich in einem ähnlich gelagerten Fall wieder der Untreue-Interpretation des 12er-Senats anschließen würde, weiß heute niemand. Fest steht, dass man bei einer Einzelentscheidung nicht von einer gesicherten oder ständigen Judikatur des OGH sprechen kann.

Bleibt die Frage, ob es daher sinnvoll ist, auf diese Entscheidung mit einer Gesetzesänderung zu reagieren. Vor allem, ob aufgrund dessen der von ÖVP und SPÖ gewünschte Satz „Missbrauch liegt nicht vor, wenn der Machtgeber oder der wirtschaftlich Berechtigte der Vertretungshandlung zugestimmt hat“ in den §153 Absatz2 des Strafgesetzbuches aufgenommen werden soll.

Nach der österreichischen Rechtsordnung gibt es jedenfalls einen Weg, um zu erfahren, ob sich der OGH in dieser Rechtsfrage erneut wie gehabt entscheiden würde: Die Generalprokuratur kann von Amts wegen gegen Urteile der Strafgerichte, gegen jeden Beschluss oder Vorgang, der auf einer Verletzung oder unrichtigen Anwendung des Gesetzes beruht, eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes einbringen. Über diesen Rechtsbehelf hat – und das macht das Instrument so gewichtig – der OGH zu entscheiden.

Gelegenheit für eine solche Wahrungsbeschwerde böte gerade die Causa Meinl. Die Staatsanwaltschaft hat die Vorstände und Aufsichtsräte der Meinl Bank nach einer Ausschüttung einer Sachdividende an die Mehrheitsaktionärin der Bank wegen des Verdachts der Untreue angeklagt. Doch die Anklage ist nicht rechtskräftig, nachdem ein Einspruch der Meinl-Anwälte Erfolg hatte. Das Oberlandesgericht (OLG) stellte die Anklage der Staatsanwaltschaft zurück – mit der Feststellung, dass nach dem derzeitigen Ermittlungsstand keine Hauptverhandlung durchführbar ist. Wäre der Sachverhalt jedoch erwiesen, so lässt sich aus dem Beschluss schließen, wäre eine Anklage wegen Untreue berechtigt.

Weg für eine rasche Klärung

Der Generalprokurator könnte also den Beschluss des OLG zum Anlass nehmen, um jene Rechtsfrage an den OGH heranzutragen, die sowohl für den Fall Libro als auch die Causa Meinl relevant ist bzw. war:Ist die Gewinnausschüttung innerhalb einer Aktiengesellschaft auch dann Untreue, wenn die Gesellschafter zustimmen? Würde der OGH mit Ja antworten, hieße das wohl, er hält auch weiter an der Libro-Entscheidung fest. Ein Nein müsste hingegen bei den vielen beunruhigten Vorständen und Geschäftsführern zu Aufatmen führen.

Ob die Generalprokuratur in diesem Fall Wahrungsbeschwerde einbringen wird, darauf sind viele gespannt. Sie könnte damit jedenfalls die Kritik des OGH-Präsidenten, Eckart Ratz, widerlegen. Anlässlich der Eröffnung der Richterwoche in Ottenstein monierte er, dass die Generalprokuratur den Rechtsbehelf derzeit nicht dazu nütze, um ungeklärte Strukturfragen an den OGH heranzutragen. Wer weiß, vielleicht irrt er sich da.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2015)

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