Höchstgericht: Wenn ÖNORMEN zu Recht werden

Der Verfassungsgerichtshof entschied, dass Normen, die für verbindlich erklärt worden sind, gratis zugänglich sein müssen.

Wien. Bekannt ist das Dilemma seit Jahrzehnten, wirklich gelöst wurde es bis heute nicht: Einerseits hat laut Normungsgesetz nur das Normungsinstitut (ASI) das Recht, ÖNORMEN herauszugeben und zu vervielfältigen (oder gegen Entgelt die Vervielfältigung zu gestatten). Darauf beruht sein Geschäftsmodell, mit dem es sich zu 95 Prozent selbst finanziert. Andererseits wurden viele ÖNORMEN durch Gesetz oder Verordnung für verbindlich erklärt, auf noch mehr wird zumindest verwiesen. Auf Bundesebene betrifft das aktuell 380 nationale Normen, auf Landesebene 369.

Muss man für verbindlich erklärte Normen auch beim ASI kaufen? Oder müssten sie im Sinne der Rechtsstaatlichkeit gratis zugänglich sein? Wiederholt landete diese Frage beim Verfassungsgerichtshof (VfGH): Einmal 1996, zuletzt im Dezember 2014 (G 104/2013-10). Beide Anträge wurden zurückgewiesen; die Betroffenen dürften sich aber über ihre „Niederlagen“ nicht besonders gekränkt haben. Denn der VfGH sprach jeweils aus, dass die Regeln des Normengesetzes im konkreten Fall nicht gelten.

„Zu eigen gemacht“

In der ersten Causa ging es um eine im Bundesgesetzblatt abgedruckte Norm – laut Höchstgericht ist das ein „freies Werk“. Im kürzlich entschiedenen Fall war die ÖNORM zwar durch Landesverordnungen für verbindlich erklärt, aber nicht kundgemacht worden. Der Vervielfältigung steht laut VfGH trotzdem nichts im Weg – denn der Verordnungsgeber habe sich den Inhalt der Norm „gleichsam zu eigen gemacht“. Bleibt die Frage: Wer muss diese Inhalte nun gratis bereitstellen? Nicht das Normungsinstitut, sondern der Gesetz- oder Verordnungsgeber, der auf die Norm verwiesen hat, ist der Standpunkt des ASI. Mit dem Bund gibt es dazu eine Vereinbarung aus dem Jahr 1991, mit den Ländern noch nicht.

Matthias Öhler, Partner in der Kanzlei Schramm Öhler, die den Fall vor den VfGH gebracht hat, meint jedoch, dass hier weit mehr nottut: „Das ist ein Anstoß an die Bundesregierung, endlich tätig zu werden“, sagt er. Das Thema sei lange ignoriert worden, „jetzt geht das nicht mehr“. Vielleicht bringt ja das neue Normengesetz die ersehnte Klarheit. (cka)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2015)

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