Ein neues Urteil beschäftigt Alpine-Anleger

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Alpine Bau logo is pictured through raindrops on a window in Vienna(c) REUTERS
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Wer behauptet, aufgrund eines falschen Prospekts zum Kauf von Wertpapieren verleitet worden zu sein, sollte ihn auch tatsächlich gelesen haben – und zwar vor seiner Investitionsentscheidung.

Wien. Wenn sich ein Anleger vor Gericht darauf beruft, ein unvollständiger und irreführender Kapitalmarktprospekt habe ihn zum Kauf bestimmter Wertpapiere verleitet, sollte er den Prospekt auch tatsächlich gelesen haben – und zwar vor dem Kauf des Wertpapiers. Diese Aussage trifft das Handelsgericht Wien sinngemäß in einem aktuellen Urteil vom 12.Juni 2015. Vor allem enttäuschte Anleger der Alpine-Anleihen wird es interessieren.

Jene nämlich, die ihre Ansprüche nicht nur darauf stützen, von ihrer Bank vor dem Kauf der Wertpapiere falsch beraten worden zu sein, sondern ihre Forderungen auch mit folgendem Argument zu untermauern versuchen: Der Kapitalmarktprospekt, in dem die Alpine-Anleihen beschrieben worden sind, sei unvollständig und irreführend gewesen. Wären die Informationen in dem Prospekt jedoch richtig gewesen, hätten sie die Wertpapiere sicher nicht gekauft.

So klang auch das Vorbringen des Klägers im Anlassfall, das zu dem brisanten Urteil führte: Ein Anleger klagte neben der Beraterbank auch zwei der Emissionsbanken. Solche Banken begleiten Anleiheemissionen im Auftrag der Emittentin, treten aber gegenüber dem Anleihezeichner nicht auf. Diesen Emissionsbanken warf er vor, sie hätten an der Gestaltung des Kapitalmarktprospekts mitgewirkt, mit der das Wertpapier beworben worden sei. Deshalb seien sie ebenfalls für die darin enthaltenen – angeblich – irreführenden Informationen verantwortlich. Ihm als Anleger „sei es aufgrund dieser Informationen gar nicht möglich gewesen, sich ein exaktes und den Tatsachen getreues Bild hinsichtlich der Gesellschaftsstruktur und Liquidität der Emittentin, also der Alpine, zu machen“.

War der Prospekt kausal?

Seine Entscheidung, die Anleihe zu kaufen, hätte er auch aufgrund der Informationen im Prospekt und der Bewerbung durch die beiden Emissionsbanken gefasst. Wären sie nur ihren Informationspflichten nachgekommen, nie und nimmer hätte er sich zu dem Erwerb der Alpine-Anleihen entschlossen.

Die Rechtsfragen, die der Richter zu beurteilen hatte, sind zweifellos interessant: Dass Banken haften müssen, wenn sie Kunden beim Erwerb von Wertpapieren schlecht, unvollständig oder falsch beraten, steht schon lang fest und wird auch durch das vorliegende Urteil bestätigt. Ob die bloßen Emissionsbanken für die (angeblich) unzureichenden Prospektangaben zu haften haben, dazu gibt es bis dato noch keine rechtskräftigen Urteile.

Die Emissionsbanken, eine davon ist im konkreten Fall die Bawag PSK, verneinte wenig überraschend eine Haftung: Ihre Aufgabe als Joint-Lead-Managerin eines Bankenkonsortiums sei es lediglich gewesen, die Anleihe zu platzieren. Die Erstellung des Kapitalmarktprospekts und die wirtschaftliche Überprüfung der Emittentin sei Aufgabe der Wirtschaftsprüfer und der Transaktionsanwälte gewesen. Nicht ihre. Sie sei daher gar nicht Adressat einer Prospekthaftung.

Abgesehen davon hätten die Prospekte der jeweiligen Anleihen eine ausführliche Beschreibung aller Risken und rechtlicher Grundlagen enthalten, betont die Bawag. Sie seien sehr wohl richtig, vollständig, nachvollziehbar und verständlich gewesen und von einer Rechtsanwaltskanzlei erstellt und geprüft worden. Auch die Abschlussprüfer hätten überprüft, ob die Zahlen darin mit dem Jahresabschluss übereinstimmen.

Wer hat nun recht? Ist der Prospekt der Alpine tatsächlich irreführend? Wer sich auf die Gretchenfragen Antwort erhofft hat, der muss noch weiter warten. Der Richter kam nämlich gar nicht so weit, sich mit dem Inhalt des Prospekts auseinanderzusetzen. Denn das Verfahren nahm eine für alle Beteiligten unerwartete Wendung.

Der Anwalt der erstbeklagten Partei legte dem Anleger bei seiner Befragung den Prospekt vor und fragte ihn, ob er ihn kenne. Nein, er habe ihn auch nie gelesen, antwortete der Kläger daraufhin mit entwaffnender Offenheit. Und für den Richter stand mit dieser ehrlichen Aussage wohl schlagartig eines fest: Der Prospekt, wie immer er auch gestaltet sein mag, konnte gar nicht für die Entscheidung des Klägers ausschlaggebend gewesen sein, die Alpine-Anleihen zu kaufen. Genau das hatte der Kläger aber behauptet. Die Konsequenz: Bejaht hat das Gericht zwar, dass die Bank, die den Anleger beim Kauf der Wertpapiere beraten hatte, zu haften hat. Ansprüche gegen die bloßen Emissionsbanken lehnte es aber ab.

Unter Eid ist alles anders

Ein Einschub am Rande: Wer sich jetzt insgeheim fragen sollte, weshalb der Kläger nicht einfach die Unwahrheit vor Gericht gesagt hat, sollte eines bedenken: Die Zivilprozessordnung verlangt auch von der Partei, vor Gericht die Wahrheit zu sagen. Hat der Richter das Gefühl, der Kläger lügt, kann er ihn nach seiner Aussage beeiden lassen. „Die Partei ist vor ihrer eidlichen Abhörung an die Pflicht zur Angabe der Wahrheit, an die Heiligkeit und Bedeutung des Eides sowie an die strafrechtlichen Folgen eines falschen Eides zu erinnern“, heißt es dazu im Gesetz. Dann muss die Partei unter Eid die Aussage wiederholen. Wer schwört, Falsches sagt und auffliegt, muss mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren rechnen.

Das Urteil ist auch für die Arbeiterkammer (AK) von Bedeutung. Anfang September plant sie, eine Sammelklage gegen die Emissionsbanken der Alpine-Anleihen, die UniCredit, Erste Bank, Bawag PSK und Raiffeisen International einzubringen, in der sie sich auf die Prospekthaftung stützt. Ob die AK sich zuvor auch informiere, ob die Anleger, die sie vertritt, den Prospekt gelesen haben? „Ja, wir klären das in unseren Fragebögen ab und wollen auch wissen, wie entscheidend der Prospekt für ihre Kaufentscheidung war“, sagt der AK-Jurist Robert Panowitz. Sein Fazit: „Der Großteil liest den Prospekt nicht, dazu sind sie auch zu kompliziert.“ Die Vollständigkeit des Prospekts sei jedoch immer kausal für die Kaufentscheidung, sagt er: „Die Berater hätten nämlich ihre Kunden anders beraten, wäre der Prospekt richtig gewesen. Das hat auch der Oberste Gerichtshof kürzlich in einer Entscheidung zum Herald Fond judiziert.“

Wie auch immer: Spannend wird es, wenn ein Gericht endlich über folgenden Sachverhalt entscheidet: Ein Anleger klagt die Emissionbank, hat aber den Prospekt zuvor tatsächlich gelesen.

AUSSAGEN VOR GERICHT

Jeder, ob Partei oder Zeuge, muss vor Gericht die Wahrheit sagen. Tut er das nicht, so sieht §288 Abs1 Strafgesetzbuch eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vor. Wenn der Richter glaubt, die Partei oder der Zeuge lügt, kann er ihn auch beeiden. Dann hat der Betroffene, nachdem ihn der Richter an die Heiligkeit und die Bedeutung des Eides erinnert hat, zu schwören, dass er die Wahrheit gesagt hat. Wird er dann jedoch der Lüge überführt, droht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren
(§288 Abs2 StGB).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2015)

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