Bankomatkarte nähert sich auch im Strafrecht dem Bargeld an

(c) Bloomberg (Simon Dawson)
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Begehung im Familienkreis. Wie Diebstahl in Familie wird auch Wegnahme einer Bankomatkarte künftig nur auf Verlangen des Opfers verfolgt.

Innsbruck. Das Strafrechtsänderungsgesetz 2015, das mittlerweile im Nationalrat beschlossen wurde und am 1. Jänner 2016 in Kraft tritt, sieht eine erfreuliche, eher unscheinbare Verbesserung vor, die in den Diskussionen über die Erhöhung von Wertgrenzen, Einschränkung der Gewerbsmäßigkeit und Strafbarkeit des Po-Grapschens weitgehend untergegangen ist.

In § 166 Abs 1 StGB („Begehung im Familienkreis“) werden die Delikte zum Schutz unbarer Zahlungsmittel neu aufgenommen. Unbare Zahlungsmittel sind vor allem Bankomat- und Kreditkarten. Das bedeutet, dass in Zukunft die „Entfremdung unbarer Zahlungsmittel“ (§ 241e StGB) sowie die „Annahme, Weitergabe oder der Besitz entfremdeter unbarer Zahlungsmittel“ (§ 241f StGB) privilegiert sind, wenn sie zum Nachteil eines Angehörigen begangen werden.

Die Privilegierung bewirkt einerseits eine wesentlich niedrigere Strafdrohung, vor allem aber wird die Tat nicht mehr von Amts wegen (durch die Staatsanwaltschaft) verfolgt, sondern nur auf Verlangen des Geschädigten (§ 166 Abs 3 StGB). Das bedeutet, dass der geschädigte Angehörige, wenn er den Täter bestraft wissen will, Privatanklage erheben muss, und das kommt in der Praxis kaum je vor.

Bei der Einführung der Tatbestände zum Schutz unbarer Zahlungsmittel 2004 wurden diese Delikte nicht privilegiert, weil sie nach herrschender Auffassung ein Rechtsgut der Allgemeinheit schützen, nämlich das unbare Zahlungsmittel als solches bzw. das Vertrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Instrumente des bargeldlosen Zahlungsverkehrs.

Damit besteht – noch – folgende kuriose Situation: Ein 16-Jähriger, der seiner Mutter 20 Euro aus der Geldtasche nimmt, weil er in Geldnöten ist, begeht einen Diebstahl im Familienkreis. Daher könnte er nur bestraft werden, wenn die Mutter Privatanklage erhebt (was sie in den meisten Fällen nicht tun wird).

Viel schlechter sieht es derzeit für den Sohn aus, wenn die Mutter kein Bargeld in der Börse hat – so soll ja womöglich die Zukunft aussehen – und der Knabe deshalb Mutters Bankomatkarte herausnimmt und in einem Geschäft an der Bankomatkassa für 20 Euro einkauft. Indem er mit der fremden Karte zahlt, begeht der Sohn einen betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauch (§ 148a StGB). Nur dieser ist, weil zum Nachteil der Mutter begangen, nach § 166 StGB privilegiert und wird wohl nicht verfolgt. Zugleich hat sich der Bursche durch die Wegnahme der Bankomatkarte aber wegen Entfremdung unbarer Zahlungsmittel strafbar gemacht. Diese ist mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bedroht. Das Zurückstecken der Karte in die Geldtasche hebt die Strafbarkeit nicht auf, weil er sie schon verwendet hat.

Er ist daher von der Staatsanwaltschaft von Amts wegen zu verfolgen – auch gegen den Willen der Mutter. Sie könnte den Fall ahnungslos angezeigt haben, weil ihr die Abhebung seltsam vorkam. Zwar wird ein solcher Fall zu keiner Verurteilung führen, sondern diversionell behandelt oder wegen Geringfügigkeit eingestellt. Aber es macht einen Unterschied, ob der Staatsanwalt ermittelt oder nicht.

Daher fordern manche (auch der Verfasser) seit Langem, § 166 StGB wenigstens analog auf die Entfremdung unbarer Zahlungsmittel anzuwenden, um die geschilderten, im Grund gleichartigen Sachverhalte auch gleich zu behandeln. Die Entfremdung der Karte schädigt ja in Wahrheit nur die Mutter, nicht die Allgemeinheit im diffusen Rechtsgut Vertrauen in die Sicherheit von Bankomatkarten.

Nun erscheint diese Situation auch dem Gesetzgeber nicht mehr sachgerecht, heißt es doch in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage: Ungeachtet des „eigentlich“ geschützten Rechtsguts der Allgemeinheit erscheint es lebensnah und sachgerecht, die Privilegierung auf die Kartendelikte auszuweiten.

Geldabhebung nicht erfasst

Das ist sehr erfreulich. Einen noch weiteren Schritt ist der Gesetzgeber aber leider nicht gegangen: nämlich das freiwillige Zurückgeben einer entfremdeten und schon verwendeten Karte als tätige Reue zu werten. Wenn man anerkennt, dass die Entfremdung der Bankomatkarte ihrer Natur nach ein Vermögensdelikt ist, das nur den Eigentümer der Bankomatkarte tangiert, wäre es logisch, den Täter, der den Schaden ersetzt und die Karte zurückgibt, bevor die Strafverfolgungsbehörde von seinem Verschulden erfahren hat, ganz straflos zu stellen. Abheben am Bankomat bleibt übrigens weiterhin nicht privilegiert, weil der OGH darin einen Diebstahl am Geld des Aufstellers sieht und dieser nicht zur Familie gehört.

Univ.-Prof. Dr. Schwaighofer lehrt am Institut für Strafrecht der Universität Innsbruck.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2015)

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