Vom Beginn und Ende der Arbeitszeit

Mit dem Einstechen beginnt die Arbeitszeit – oder doch nicht? Auch der VwGH hat sich darüber schon den Kopf zerbrochen.
Mit dem Einstechen beginnt die Arbeitszeit – oder doch nicht? Auch der VwGH hat sich darüber schon den Kopf zerbrochen.TV-yesterday / Interfoto / picturedesk.com
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Soll das Umziehen am Arbeitsplatz zur Arbeitszeit zählen? In Deutschland wollte ein Kfz-Mechaniker sogar fürs Duschen nach Dienstschluss Entgelt. Wäre das in Österreich denkbar?

Wien. Zählt Umziehen vor und nach dem eigentlichen Arbeitsbeginn zur Arbeitszeit? Mit dieser Frage hatte sich vergangene Woche das Landesarbeitsgericht Düsseldorf auseinanderzusetzen.

Ein deutscher Kfz-Mechaniker hatte nämlich deshalb seinen Arbeitgeber, die Stadtwerke Oberhausen, geklagt. Und der Mann wollte nicht nur die Zeit für den Kleidungswechsel, sondern auch die für das Duschen nach Feierabend als Arbeitszeit angerechnet haben – und Entgelt dafür bekommen.

Im Frühling hatte die erste Instanz, das Arbeitsgericht Oberhausen, seinem Begehren stattgegeben. Damit wollte sich sein Arbeitgeber nicht abfinden und bekämpfte die Entscheidung. Denn der Ausgang des Verfahrens war für die Stadtwerke nicht nur in diesem Fall von Bedeutung. Gleich 15 weitere Kollegen des Kfz-Mechanikers hatten nach dem ermutigenden Ersturteil ebenfalls die Stadtwerke Oberhausen auf Nachzahlung für Umkleiden und Duschen geklagt.

Nun hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf zwar kein Urteil gefällt, jedoch den beiden Streitparteien einen Vergleich vorgeschlagen – den sie schlussendlich auch angenommen haben. Er sieht so aus: Die Stadtwerke zahlen ihrem Busmechaniker 375 Euro als Nachzahlung für die Zeit, die er in sieben Monaten für das tägliche An- und Ausziehen seiner Arbeitskleidung benötigt hat. Für das tägliche Duschen, das der Mitarbeiter auch noch gern in Rechnung gestellt hätte, müssen die Stadtwerke nicht aufkommen, sagte das Gericht. Dazu gebe es auch keinerlei gesicherte Rechtsprechung.

Nur zwei OGH-Entscheidungen

Auch in Österreich gibt es diese übrigens nicht, und zwar weder zu dem Themenkomplex des An- und Umziehens noch zu dem des Duschens nach getaner Arbeit.

Lediglich zwei Entscheidungen vom 4.9.2002 bieten Anhaltspunkte, wie der Oberste Gerichtshof (OGH) diese Rechtsfrage beurteilen könnte. Zirkusmusiker brachten dort folgenden Sachverhalt aufs Tapet: Sie mussten bei ihrem Auftritt, so wünschte es der Arbeitgeber, eine Uniform tragen. Diese zogen sie sich vor der Vorstellung in einem Wohnwagen an. Die Zeit fürs Anziehen müsse daher schon als Arbeitszeit gelten, so die Meinung der Musiker. Der OGH war anderer Ansicht: „Konkret kam der 9.Senat zu dem Schluss, dass Um- und Anziehen der Uniform nicht zur Arbeitszeit zu zählen sei“, sagt Rechtsanwalt Stephan Nitzl. Allerdings, so gibt der OGH in den zitierten Entscheidungen zu bedenken, könne man zu einem anderen Ergebnis kommen, wenn die Kostümierung vor Arbeitsbeginn sehr aufwendig sei und viel Zeit erfordere. „Denkbar wäre das bei Schauspielern oder Clowns“, sagt Nitzl, „doch entschieden hat der OGH solche Fälle noch nie.“

Doch unabhängig von dem Zirkusmusikerszenario vertrat der OGH in seiner Entscheidung die Ansicht, dass die Zeit, die ein Arbeitnehmer vor seinem Eintreffen am Arbeitsplatz zum Anziehen seiner Arbeitskleidung benötigt, im Allgemeinen nicht als Arbeitszeit zu werten ist. „Denn Arbeitszeit kann eben nur jene Zeit genannt werden, in der ich meinem Arbeitgeber tatsächlich zur Verfügung stehe und meine Arbeit anbiete“, so der Arbeitsrechtsexperte. „Das ist weder beim An- noch Ausziehen und schon gar nicht, wenn ich unter der Dusche stehe, möglich.“

Alles Vereinbarungssache

Diskussionen über das leidige Thema können relativ einfach vermieden werden. „Jedem Arbeitgeber steht es offen, mit seinem Mitarbeiter individuell Vereinbarungen einzugehen. Darin kann er ihm zugestehen, dass An- und Umziehen, ja sogar Duschen sehr wohl zur Arbeitszeit zählen sollen“, sagt Nitzl. Benötigt der Arbeitnehmer etwa besonders lang, um in sein Arbeitsgewand zu schlüpfen, weil er besonderen Hygiene- und Gefahrenschutzvorschriften folgen muss, kann der Arbeitsvertrag darauf Rücksicht nehmen. Ist das nicht der Fall, gibt es für das Anlegen noch so aufwendiger Montur kein Geld.

Was aber, wenn ein Betrieb die Arbeitszeit seiner Mitarbeiter mithilfe einer Stechuhr erfasst? Entscheidend ist dabei, wo die Stechuhr aufgestellt worden ist, gleich am Eingang des Betriebs oder etwa erst bei der Tür, die zur Fertigungshalle führt.

„Besteht keine besondere vertragliche Regelung, ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichthofs das Betätigen der Stechuhr die jeweils erste und letzte ,Arbeitshandlung‘“, sagt Reinhard Resch, Professor für Arbeits- und Sozialrecht in Linz. Innerhalb dieses Zeitraums unterliege der Arbeitnehmer nämlich den Weisungen des Arbeitgebers und halte sich zur Arbeit bereit: „Diese Zeit ist daher nach Ansicht des VwGH als Arbeitszeit zu qualifizieren.“

Diese Meinung teilt Nitzl: „Stehen die Stechuhren unmittelbar beim Eingang des Unternehmens, lässt sich daraus der Wille des Arbeitgebers ableiten, dass auch das Umziehen zur Arbeitszeit zählt. Sonst hätte er die Stechuhren woanders aufstellen müssen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.08.2015)

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