EuGH-Urteil: Chaos um Urlaubsberechnung bei Teilzeit

Beachgoers lie on their towels on Tamarama beach during a hot spring day in Sydney
Beachgoers lie on their towels on Tamarama beach during a hot spring day in Sydney(c) REUTERS (DAVID GRAY)
  • Drucken

Wie ist mit altem Urlaub umzugehen, wenn man von Teilzeit- zu Vollzeitarbeit wechselt – oder umgekehrt? OGH und EuGH berechnen das unterschiedlich. Ein gestern ergangenes Urteil entschärft das Problem nur zum Teil.

Wien. Über die Vor- und Nachteile von Teilzeitarbeit lässt sich trefflich streiten – Faktum ist, dass viele Arbeitnehmer und vor allem Arbeitnehmerinnen oft gar keine andere Wahl haben. Faktum ist aber auch, dass viele, die Teilzeit arbeiten, so bald wie möglich wieder auf Vollzeit umsteigen wollen.

Veränderungen beim Ausmaß der Arbeitsstunden kommen deshalb recht häufig vor. Bei der Berechnung des Urlaubsanspruchs kann das zu Verwirrungen führen – nämlich dann, wenn sich innerhalb des Berechnungszeitraums die Zahl der Arbeitsstunden ändert. Wie ist dann mit Resturlaub umzugehen, den man vorher erworben hat? Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat dazu einen klaren Standpunkt, der EuGH ebenfalls – nur stimmen beide nicht miteinander überein. Gestern, Mittwoch, erging dazu ein EuGH-Urteil, das die Diskrepanz bestätigt, das Problem aber trotzdem teilweise entschärft.

Worum geht es konkret? Angenommen, jemand arbeitet nur zwei Tage in der Woche: Dann entsprechen für ihn zwei Urlaubstage einer ganzen Urlaubswoche, weil er die restlichen Tage ohnehin frei hat. Wechselt er während des Jahres zu Vollzeitarbeit, stellt sich die Frage, ob ihm dann Urlaubstage, die er aus der Teilzeitperiode mitnimmt, nur im Ausmaß eins zu eins zustehen oder ob sie auf volle Urlaubswochen aufzuwerten sind. Oder umgekehrt: ob, wenn man zuerst Vollzeit und dann Teilzeit arbeitet, der aus der Vollzeitperiode mitgenommene Resturlaub entsprechend abgewertet wird.

Gewinner und Verlierer

Nur bei Auf- bzw. Abwertung bleibt es unter dem Strich beim gesetzlich vorgesehenen Urlaubsanspruch von fünf Wochen pro Jahr (oder sechs Wochen nach 25 Jahren im selben Unternehmen). Ohne Auf- und Abwertung würde man beim Wechsel von Teil- zu Vollzeit um Urlaubswochen umfallen (weil zwei Urlaubstage dann eben wirklich nur zwei Tage sind und keine ganze Urlaubswoche). Im umgekehrten Fall, beim Umstieg von Voll- auf Teilzeit, kann man dagegen auf viel mehr freie Wochen kommen, als einem von Gesetzes wegen zustehen.

Wie vorzugehen ist, ist nicht nur in Unternehmen oft unklar – auch OGH und EuGH sind sich darüber uneins. Laut OGH sei es „Sinn und Zweck des Urlaubsgesetzes, dass ein Arbeitnehmer im Ergebnis fünf bzw. sechs Wochen Urlaub im Sinne eines kalendarischen Zeitraumes erhalten soll“, sagt Arbeitsrechtsexpertin Brigitte Sammer, Partnerin bei Taylor Wessing. Der Urlaubsanspruch sei den geänderten Arbeitszeitverhältnissen beim Wechsel von Teilzeit zu Vollzeit anzupassen – also auf- oder abzuwerten. Das gehe aus der OGH-Entscheidung 8 Ob A 35/12 y hervor.

Der EuGH vertritt den gegenteiligen Standpunkt. Im aktuellen Fall ging es um einen Wechsel von Teilzeit zu Vollzeit. Bereits erworbener Jahresurlaub müsse, wenn sich die Zahl der Arbeitsstunden erhöht, laut Unionsrecht nicht rückwirkend neu berechnet werden, heißt es in seinem Urteil. Eine Nachberechnung sei nur für den Zeitraum erforderlich, in dem sich die Arbeitszeit erhöht hat.

Aufwerten darf man trotzdem

Zwei Tage Resturlaub aus der Teilzeitperiode im obigen Beispiel wären dann eben wirklich nur zwei Tage und keine ganze Woche – die Zahl der Urlaubswochen würde damit insgesamt weniger. Heißt das nun, dass der OGH bislang in solchen Fällen zu großzügig war und österreichische Unternehmen das Recht hätten, aus Teilzeitperioden mitgenommene Urlaubsansprüche zu kappen? Das nun auch wieder nicht: Der EuGH hielt auch fest, dass es Mitgliedstaaten und Sozialpartnern unbenommen bleibt, für die Arbeitnehmer günstigere Vorschriften anzuwenden oder zu erlassen und eine Nachberechnung der Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub vorzusehen. „Und der OGH legt das österreichische Recht eben so aus, dass nachzuberechnen ist“, sagt Sammer.

Diesbezüglich hat das EuGH-Urteil also aus Arbeitnehmersicht Entwarnung, jedenfalls aber eine Klarstellung gebracht. Nach wie vor ungeklärt ist der konträre Fall – was nämlich beim Wechsel von Voll- auf Teilzeit mit den alten Urlaubsansprüchen geschieht. Sammer verweist dazu auf eine EuGH-Entscheidung, die Österreich betraf (C-486/08), und zwar die Landeskrankenhäuser Tirols. Hier entschied der EuGH, dass ein aus einer Vollzeitbeschäftigung stammender Urlaubsanspruch nicht gekürzt werden darf, wenn er erst später während einer Teilzeitbeschäftigung in Anspruch genommen wird. Jener Urlaub, der in der Zeit einer Vollbeschäftigung entstanden ist, stehe dem Arbeitnehmer weiterhin in voller Höhe zu. „In diesem Fall ging es um fünf Arbeitstage entsprechend einer Arbeitswoche in Vollzeitbeschäftigung“, erklärt Sammer. Der Arbeitnehmer durfte laut EuGH diese fünf Tage zur Gänze an den nunmehr reduzierten Arbeitstagen (die weniger als zwölf Stunden pro Woche ausmachten) verbrauchen. Allerdings nur dann, wenn er nicht die Möglichkeit hatte, den Urlaub noch während der Vollzeitbeschäftigung zu nehmen. „Wird die Änderung der Arbeitszeit kurzfristig entschieden und umgesetzt – was oft vorkommt – wird es meist nicht zumutbar sein, dass man den Urlaub noch vorher verbraucht“, sagt Sammer. Im Sinn der EuGH-Rechtsprechung bleibe dann wohl der volle Anspruch bestehen.

Der OGH sieht das dennoch anders. Sein Argument: Dem Tiroler Landesvertragsbedienstetenrecht liege eben ein anderer Urlaubsbegriff zugrunde als dem Urlaubsgesetz (ein freistellungsorientierter und kein kalendarischer). Ob diese Argumentation hielte, sollte ein Angestellter, dessen Ansprüche sich nach dem Urlaubsgesetz bemessen, vor den EU-Gerichtshof ziehen, ist aber fraglich. In einem weiteren Fall aus Deutschland sei ganz ähnlich argumentiert worden, der EuGH sei dem aber entgegengetreten, sagt Sammer.

Wenn man in Teilzeit nicht weniger Wochentage, sondern halbtags statt ganztags arbeitet, gilt all das wohl sinngemäß: Der EuGH hielt im aktuellen Urteil auch fest, dass die Ruhezeit nach Tagen, Stunden oder Teilen davon zu berechnen ist. Nach EuGH-Berechnung könnte man somit beim Wechsel von Voll- zu Teilzeit wohl genauso freie Wochen dazugewinnen.

AUF EINEN BLICK

Urlaubsanspruch. Der OGH geht davon aus, dass einem grundsätzlich immer fünf (oder sechs) Wochen zustehen – egal, ob man Vollzeit oder Teilzeit arbeitet. Das sei kalendarisch zu sehen. Der EuGH beurteilt das anders: Alte Ansprüche vor der Änderung des Stundenausmaßes müssen demnach nicht neu berechnet werden. Zugunsten des Arbeitnehmers dürfe man von diesem Grundsatz abgehen, zu seinen Lasten jedoch nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.