Sozialdumping: Entsendungen kann man nicht verbieten

Reuters
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Welche rechtlichen Änderungen geplant sind. Und warum es keine gute Idee wäre, die Entsenderichtlinie abzuschaffen.

Wien. „Ich finde, diese Entsenderichtlinie gehört überhaupt eingestellt.“ Das sagte der burgenländische Landeshauptmann, Hans Niessl, vor einer Woche im Ö1-„Morgenjournal“. Und löste damit eine heftige Diskussion aus.

Es geht um die Frage, ob Österreich seinen Arbeitsmarkt etwa in der Bauwirtschaft gegen ausländische Arbeitskräfte abschotten soll – und ob das EU-rechtlich überhaupt möglich wäre. Entsendungen sind da ein wichtiges Thema: Weil österreichische Unternehmen ausländische Arbeitskräfte nur zu gleichen Bedingungen anstellen dürfen wie inländische Mitarbeiter, und weil das jetzt auch schärfer kontrolliert wird, behilft man sich oft mit Auslandsfirmen, die Mitarbeiter hierher entsenden.

Aber ließe sich das abstellen, gäbe es die Entsenderichtlinie nicht? Nein, sagt Wolfgang Kapek, Leiter des Arbeitsrechtsteams bei Taylor Wessing CEE. „Das würde nicht bedeuten, dass niemand mehr nach Österreich entsendet werden dürfte. Sondern das Gegenteil wäre der Fall.“ Es gäbe dann nur noch den EG-Vertrag, der nicht nur die Freizügigkeit von Arbeitnehmern normiert, sondern auch die Dienstleistungsfreiheit: Jedes Unternehmen in der EU darf in allen Mitgliedsländern tätig werden. Und folglich Mitarbeiter dorthin entsenden. Eingeschränkt werden darf die Dienstleistungsfreiheit nur aus zwingenden Gründen und wenn keine Diskriminierung vorliegt.

„Österreich ist Musterschüler“

Die Entsenderichtlinie aus dem Jahr 1996 setzte Mindeststandards fest und erklärte in bestimmten Branchen (Bauwirtschaft) auch die lokalen Tarifverträge für verbindlich. Und zwar für folgende Fälle: Ein in einem EU-Land ansässiges Unternehmen entsendet Mitarbeiter in ein anderes Mitgliedsland, um dort bei einem Kunden einen Auftrag auszuführen. Mitarbeiter werden innerhalb desselben Konzerns von einem EU-Land in ein anderes geschickt. Oder Arbeitskräfte werden einem Unternehmen in einem anderen Mitgliedsland überlassen (Personalleasing). Die Mindestanforderungen, die dafür normiert wurden, betreffen Bezahlung, Urlaubsanspruch und Arbeitnehmerschutz. Seit Mai 2014 gibt es auch eine Durchsetzungsrichtlinie, die die Einhaltung der Entsenderichtlinie durch die EU-Länder verbessern soll. Die Umsetzungsfrist dafür endet am 18. Juni 2016.

Österreich sei bei der Umsetzung der EU-Vorgaben Musterschüler, sagt Kapek. Die österreichischen Regeln gehen in vieler Hinsicht weiter als die Entsenderichtlinie: Sie kennen keine Beschränkung auf Branchen, seit 2015 sind entsendete ausländische Mitarbeiter den in Österreich angestellten beim Entgelt praktisch gleichgestellt (abgesehen von einzelnen Zusatzleistungen), und es sind auch Entsendungen erfasst, bei denen der ausländische Arbeitgeber keinen Vertrag mit einem Kunden in Österreich hat. Letzteres führt zu etlichen Unklarheiten und ist entsprechend umstritten.

Ausweitung auf alle Branchen

Aber warum zahlen sich dann in der Baubranche, bei der es nicht um spezielles Know-how geht, Entsendungen nach Österreich überhaupt noch aus? Wegen der in CEE-Ländern niedrigeren Lohnnebenkosten, weil teilweise eben doch ausländisches Arbeitsrecht gilt – und letztlich, weil österreichische Behörden ausländische Arbeitgeber nur zum Teil kontrollieren können. Unter anderem darum geht es bei den Diskussionen über eine Nachschärfung der Richtlinie (auch Niessl sprach zuletzt davon und nicht mehr von ihrer Abschaffung).

Einen Vorschlag für eine Überarbeitung gibt es bereits, auch beim EU-Sozialministertreffen am Dienstag und Mittwoch war das ein Thema. Der Rohentwurf sieht unter anderem vor, dass für Entsendungen, die länger als 24 Monate dauern, zur Gänze das Recht des Staates gelten soll, in dem der Mitarbeiter tätig ist. Zudem nähert sich der Richtlinienentwurf in manchem der österreichischen Rechtslage an: Entsendeten Mitarbeitern soll künftig der gesamte Lohn nach den Vorschriften ihres Einsatzlandes zustehen, auch die Einschränkung auf einzelne Branchen soll wegfallen.

Kapek meint, wichtig sei nicht nur eine vernünftige Regelung auf EU-Ebene, sondern auch, dass sie dann „durch die EU-Länder gleichmäßig umgesetzt wird“. Letzteres sei derzeit noch nicht der Fall. An der österreichischen Rechtslage kritisiert der Jurist, sie sei zum Teil überschießend und unklar, und die Strafen, die etwa bei kollektivvertraglichen Einstufungsunklarheiten oder selbst bei bloßen Formfehlern drohen (z. B. wenn auf eine Meldung vergessen wird oder bestimmte Unterlagen nicht bereitgehalten werden), seien extrem hoch.

Auch in Österreich ist eine Neuregelung geplant: Mit 1. Jänner 2017 soll ein neues Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) in Kraft treten, die Begutachtungsfrist endete am 11. April. Die derzeit noch über mehrere Gesetze verstreuten Regelungen sollen dort zusammengefasst werden, auch ein paar Änderungen sind geplant (etwa eine Lockerung bei Entsendungen hoch qualifizierter Mitarbeiter in Konzernen). Detailliert geregelt werden soll auch der Informationsaustausch mit Behörden anderer Länder.

AUF EINEN BLICK

Die EU-Entsenderichtlinie (96/71/EG) normiert Mindeststandards für Entsendungen. Weiters gibt es eine Durchsetzungsrichtlinie (2014/67/EU), die den Zweck hat, die Einhaltung dieser Standards in allen EU-Ländern zu forcieren. Für die Durchsetzungsrichtlinie endet die Umsetzungsfrist am 18. Juni 2016.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2016)

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