Arbeiten in der überwachten Freiheit

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Die fortschreitende Automatisierung der Arbeitsprozesse wirft Fragen im Spannungsfeld zwischen Arbeitszeitflexibilisierung und Datenschutz auf. Versuch einer Einführung.

Wien. Der österreichische Arbeitnehmer befindet sich angesichts der vierten industriellen Revolution in einer schizophrenen Gemütslage. Zwei von drei Befragten fürchten laut einer aktuellen Umfrage Arbeitsplatzverluste durch die Digitalisierung. Nur 13 Prozent glauben, persönlich betroffen zu sein. Dabei haben die Roboter die Werkbänke und Fließbänder schon hinter sich gelassen und erobern nach und nach den Dienstleistungssektor.

Ein Seitenblick in die USA, genauer in die Anwaltsfirma Baker & Hostetler, bestätigt das. Ihr juristischer Neuzugang heißt Ross. Er ist ein Roboter-Anwalt. Sein Aufgabengebiet sind Recherchearbeiten für Insolvenzrechtsfälle. „Tätigkeiten, die früher Heerscharen von Rechtsanwaltsanwärtern übernommen haben“, sagt Philipp Maier, Arbeitsrechtsexperte bei der Kanzlei Baker & McKenzie. Solche Standardtätigkeiten wären heute nicht mehr in dem Ausmaß bezahlbar. Der Druck bei der Technologisierung der Arbeitsprozesse komme auch von den Klienten, konstatiert er. Doch er fügt hinzu: „Was in den USA Realität ist, ist in Österreich noch eine Vision.“ Anna Mertinz, Arbeits- und Datenschutzrechtsexpertin bei KWR, ist auch dieser Meinung: „Österreich ist, was die Flexibilisierung des Arbeitsrechts betrifft, noch hinten nach, aber der digitale Wandel nimmt zu. Das hat nicht unbedingt positive Auswirkungen auf die Arbeitsplatzsituation.“

Algorithmen sind überall

Ein Roboter, der sich durch Aktenberge gräbt, ist zwar ein plastisches Bild, um den Wegfall der benötigten Arbeitskräfte zu illustrieren. Tatsächlich sind körperlose Algorithmen, von denen Mitarbeiter Weisungen empfangen, bereits im Einsatz. Etwa in Lagerhäusern der Online-Versandhändler, wo Computer Lagerbestand und Nachfrage erheben und Aufstockungen anordnen.

Was wäre aber, wenn der Algorithmus nicht mehr bloß den Warenbestand misst, sondern Leistung, Geschwindigkeit und Arbeitszeit der Angestellten? Und auf Basis dessen Boni auszahlt, Kündigungen ausspricht oder Einstellungen absegnet? Bei Bonizahlungen ist das bereits Praxis, beim weitaus sensibleren Bereich der automatischen Einstellung und Kündigung nicht.

Was sehr nach dem gläsernen Mitarbeiter klingt, hat nach Ansicht Maiers auch Vorteile. Bei Arbeitsrechtsprozessen stehe man andauernd vor der Herausforderung, dass die Kündigungsgründe nicht ausreichend dokumentiert sind. Unternehmen seien sich der neuen Beweismöglichkeiten durch die Digitalisierung aber noch nicht bewusst. „Man kann sich so vom Vorwurf frei machen, dass die Kündigung aufgrund persönlicher Animositäten ausgesprochen wurde oder es zu Mobbing gekommen ist.“

Eine objektive, weil frei von Emotionen getroffene Entscheidung im Tausch für vollkommene Durchsichtigkeit? Bevor das geschieht und Algorithmen so tiefgreifend in die Entscheidungsprozesse eingreifen können, braucht es die menschliche Zustimmung. Im § 96 des Arbeitsverfassungsgesetzes ist klar geregelt, dass immer das Okay des Betriebsrats in Form einer Betriebsvereinbarung nötig ist, wenn die Digitalisierung der Arbeitsabläufe dem Arbeitgeber ein so lückenloses Bild von der Tätigkeit des Mitarbeiters verschafft, dass dessen Menschenwürde berührt wird.

Mertinz wirft zudem ein, dass Betriebsräte in der jüngsten Vergangenheit besser auf die technologischen Veränderungen und ihre damit einhergehenden Rechte geschult seien. Und sich mit der Digitalisierung derzeit in Gesetz und Judikatur eher die Tendenz verstärke, beim Datenschutz nachzuschärfen, als der Überwachung Türen zu öffnen. Die nächste Verschärfung kommt in Form der EU-Datenschutz-Grundverordnung. Sie tritt im Mai 2018 in Österreich in Kraft und unterwirft die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Unternehmen höheren Standards.

Neben den Fragen bei der Auswertung von Mitarbeiterdaten eröffnet die Digitalisierung einen weiteren arbeitsrechtlichen Themenkomplex, der in scharfem Kontrast zur lückenlosen Überwachung zu stehen scheint: Die Flexibilisierung der Arbeitszeit. „Von der Unternehmensseite wird zu hundert Prozent wahrgenommen, dass etwas passieren muss“, sagt Maier. Politik und Gesetzgeber reagierten auf Wünsche nach agilen, wettbewerbsfähigen Modellen aber bislang nicht.

Spielräume vorhanden

Beide Anwälte orten im bestehenden Arbeitsrecht Potenzial, Abläufe bei Bedarf zu flexibilisieren, etwa in Form der Gleitzeitregelung und der Home-Office-Modelle. Bei alldem sind die gesetzlichen Arbeitszeitgrenzen aber strikt einzuhalten. Viele Klienten würden nach Vertrauensarbeitszeit fragen, bei der der Mitarbeiter selbstbestimmt und zeitlich ungebunden sein Pensum erledigt, erzählen sowohl Mertinz als auch Maier. „Das ist eher ein Kulturthema, aber unter den bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen kaum umzusetzen“, so Mertinz.

Es bleibt abzuwarten, was in Österreich zuerst kommt: Vertrauensarbeitszeit, automatische Kündigungen oder der Roboter-Anwalt, der durch den Firmenkorridor rollt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2016)

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