Amazon: Darf Onlinehändler Kunden sperren?

Zu viele Rücksendungen machen Onlinehändlern zu schaffen. Dürfen sie mit Kontosperren reagieren?
Zu viele Rücksendungen machen Onlinehändlern zu schaffen. Dürfen sie mit Kontosperren reagieren?(c) REUTERS
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In Deutschland häufen sich Beschwerden über den Händler: Dieser schließt Kundenkonten, wenn zu viele Waren zurückgeschickt werden. Wann darf er das – und wann nicht?

Wien. In Deutschland gibt es Aufregung um den Versandhändler Amazon. Denn dieser zeigt gegenüber Kunden, die nach seinem Geschmack zu oft Waren zurückschicken, nur mäßige Geduld, immer wieder werden Kundenkonten gesperrt oder gar geschlossen. Die Geschichte eines Betroffenen geht gerade durch deutsche Medien: 15 Artikel im Wert von rund 600 Euro hat er laut eigenen Angaben im Jahr 2014 bei Amazon bestellt und keinen einzigen zurückgeschickt. 2015 gingen von 19 Bestellungen vier retour, genauso viele waren es bis dato im heurigen Jahr.

Dem Händler war das sichtlich zu viel. Wie teltarif.de und „Stern“ berichten, schrieb er den Kunden zunächst an und fragte nach dem Grund für die Retouren. Der Kunde schrieb zurück – Amazon nahm seine Antwort aber sichtlich nicht wahr. Was folgte, war ein weiteres Mail, in dem eine Begründung für die Rücksendungen eingemahnt wurde. Sonst behalte man sich vor, das Konto zu schließen.

Zumindest vorerst darf dieser Kunde noch bestellen. Viele andere offenbar nicht mehr – so viele, dass das Thema sogar schon für Ratgeberseiten gut ist. „Amazon-Konto gesperrt: Warum, wie lange und was tun?“ titelte etwa der Blog Schnäppchenfuchs Anfang Juni. Dort lässt man freilich auch Verständnis für den Händler anklingen: „Es gibt natürlich Kunden, die das kulante Retourensystem ausnutzen“, heißt es in dem Beitrag. „Oft kommt es vor, dass Kleidung oder Technik bestellt wird, für einige Tage in Gebrauch ist und dann retourniert wird.“ Fast 50 Prozent aller bestellten Artikel würden an Amazon zurückgeschickt, das komme das Unternehmen teuer.

Zalando-Effekt

Auch anderen Onlinehändlern machen Kaufrücktritte zu schaffen. Zum Teil so sehr, dass es sogar volkswirtschaftlich spürbar werden kann, siehe Schweiz: Nach dem Markteinstieg von Zalando erhöhten sich dort plötzlich die Exporte von Textilien und Schuhen, vor allem im ersten Halbjahr 2015 jubelte man über einen Boom. Die Ernüchterung kam schnell: Wie Statistiker errechneten, lag es bloß am Zalando-Effekt. Denn der Zoll zählt bei den Warenausfuhren auch die Retouren mit. Nach Schätzungen waren jeweils rund ein Drittel der vermeintlichen Schuh- und Bekleidungsexporte Rücksendungen an ausländische Versandhändler.

Aus Sicht der Branche ist das ein Riesenproblem. Trotzdem werben viele Händler weiterhin mit der kostenlosen Rückgabemöglichkeit. Zum Teil werden sogar längere Rücksendefristen angeboten als die gesetzlich vorgeschriebenen zwei Wochen. Auch Amazon hat die Frist auf 30 Tage verlängert, im Weihnachtsgeschäft gilt sogar eine noch großzügigere Regelung.

Was bedeutet das aber? Darf ein Händler, der damit wirbt, trotzdem Kunden aussperren, die sein Angebot annehmen? Oder womöglich gar solche, die nur von ihrem gesetzlichen Rücktrittsrecht Gebrauch machen? Und wann darf überhaupt ein Anbieter ein Kundenkonto schließen?
Bei einer Verletzung von Vertragspflichten durch den Kunden ist die Sache klar: Wenn jemand etwa nachweislich Produkte verwendet und dann wieder zurückschickt, um sich das Geld zu sparen, ist ein Rausschmiss berechtigt.

Grundsätzlich gibt es auch keinen Kontrahierungszwang: Ein Unternehmen kann es ablehnen, jemandem weitere Waren zu liefern. Trotzdem seien Sperren problematisch, wenn sich ein Händler zuerst mit kulanten Rücktrittsregeln als besonders kundenfreundlich dargestellt hat, meint Lukas-Sebastian Swoboda, Unternehmensrechtsexperte bei PHH. Damit zu werben und dann Kunden auszusperren, könnte sogar wettbewerbswidrig sein – auch Konkurrenten könnten dann dagegen vorgehen. Zudem komme in den Geschäftsbedingungen von Amazon nicht klar genug zum Ausdruck, wann wirklich eine Sperre droht. Denn darin heißt es lapidar: „Wir behalten uns das Recht vor, Ihnen Services auf der Website vorzuenthalten oder Mitgliedskonten zu schließen. Das gilt insbesondere für den Fall, dass Sie gegen anwendbares Recht, vertragliche Vereinbarungen oder unsere Richtlinien verstoßen.“

Zugang zu gekauften Inhalten

Besonders heikel werde das im Zusammenhang mit sogenannten Prime-Mitgliedschaften, die der Händler anbietet, meint der Jurist Dafür zahlt man 49 Euro im Jahr und bekommt Zusatzleistungen wie Gratisversand, Zugriff auf Filme, E-Books zum Ausleihen. Zum Teil gibt es auch Klebeetiketten für die Gratisrücksendung. „Weil die Mitgliedschaft jeweils für ein Jahr gilt, also befristet ist, kann der Anbieter sie nur aus wichtigem Grund kündigen“, meint Swoboda. Das an sich erlaubte Zurückschicken von Waren könne kaum ein solch wichtiger Grund sein.

Eine weitere Frage ist, was nach einer Sperre mit digitalen Inhalten, etwa E-Books oder Gutscheinen, geschieht, für die man bereits bezahlt hat. Vieles davon lässt sich bei Amazon nur in Verbindung mit einem Kundenkonto nützen. Dazu gibt es bereits ein Urteil des Oberlandesgerichts Köln: Demnach darf der Händler Kunden den Zugang zu bereits gekauften digitalen Inhalten nicht verwehren.

Auf einen Blick

Kein Kontrahierungszwang. Grundsätzlich darf ein Händler entscheiden, wem er etwas verkauft und wem nicht. Er kann deshalb auch Kundenkonten schließen. Bereits bezahlte digitale Inhalte müssen aber zugänglich bleiben, entschied ein deutsches Gericht. Fraglich ist auch, ob sogenannte Prime-Mitgliedschaften vom Anbieter einfach aufgekündigt werden dürfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2016)

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