Stornos durch Fluglinien: Schauen, was durchgeht

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US-AS-LONG-LINES-IN-AIRPORTS-RISE,-TSA-STRUGGLES-TO-CUT-WAITING-(c) APA/AFP/GETTY IMAGES/SCOTT OLSON
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Immer wieder stornieren Airlines Rückflüge, wenn ein Kunde den Hinflug nicht in Anspruch genommen hat. Der OGH hat allerdings längst entschieden: Das ist rechtswidrig.

Wien. Zuerst war Anna P. erstaunt. Sie hatte einige Monate beruflich in London verbracht, am 18. Juni sollte sie die Heimreise nach Wien antreten. Tags davor wollte sie den Web–Check-in bei der AUA machen. Sie gab ihre Buchungsnummer ein und sah – genau nichts. Ihren Rückflug gab es nicht mehr.

Dann war Anna P. erzürnt. Ihr Anruf bei der Hotline der Fluggesellschaft war nämlich ziemlich unerfreulich abgelaufen. Nicht nur, weil die Dame am anderen Ende der Leitung einigermaßen unfreundlich war. Vielmehr, weil ihr beschieden wurde, dass ihr Rückflug storniert worden sei. Begründung: Anna P. hatte den Hinflug im März nicht angetreten.

Stimmt. Anna P. hatte ihn versäumt. Sie hatte damals kurzerhand auf die Konkurrenz Easyjet umdisponiert. Deswegen durfte sie – so sah es jedenfalls die AUA – auch nicht den Rückflug antreten. Oder besser gesagt: nicht mit ihrem ursprünglichen Ticket. Die Dame am Telefon bot ihr für denselben 18. Juni ein Flugticket um rund 350 Euro an. Daraus wurde nichts – abermals dank Easyjet.

Zurück in Wien schrieb Frau P. der AUA einen geharnischten Brief. Und siehe da: Nach zwei Wochen war das Geld für ihr Rückflugticket wieder auf ihrem Konto. Wiewohl die AUA daraus so etwas wie einen Kulanzfall machte: „Wir ersuchen alle Passagiere, die schon vor dem Hinflug wissen, dass sie diesen nicht antreten werden, uns darüber zu informieren. So kann gewährleistet werden, dass der Rückflug nicht automatisch aus dem System storniert wird. Leider wurden wir hier nicht rechtzeitig informiert“, hieß es im Antwortschreiben.

Stornierung immer tabu

Glück gehabt? Nein, meint Anwalt Eike Lindinger. Der Reiserechtspezialist verweist auf einschlägige OGH-Entscheidungen, die keinen Zweifel lassen: Fluggesellschaften dürfen Tickets, die nur teilweise in Anspruch genommen wurden, nicht einfach stornieren. In zwei knapp aufeinanderfolgenden Urteilen von 2012 und 2013 ließ der OGH den Fluglinien keinen Argumentationsspielraum: Automatische Stornierungen sind jedenfalls tabu. Aufpreiszahlungen nur dann erlaubt, wenn es sich um das schwarze Schaf von Fluggast handelt, vor dem sich die Unternehmen schützen wollen – sprich vor jemandem, der das Kombiangebot mit dem Vorsatz bucht, nur einen der Flüge zu nutzen, da das billiger kommt als ein Singleticket.

Laura Ruschitzka, Rechtsexpertin beim Verein für Konsumenteninformation (VKI), der die maßgeblichen Urteile erstritten hat, weist auf den kundenfreundlichen OGH-Tenor in der Sache hin: Nicht bloß Krankheit oder Unfall gelten nicht als „bewusstes Ausnutzen der Tarifstruktur“. Auch eine nachträgliche Änderung der Reisepläne wie im Fall von Anna P. muss gestattet sein. Detail am Rande: Selbst wenn der Fluggast mit Umgehungsabsicht gehandelt haben sollte, trägt die Fluglinie dafür die Beweislast. Wenn sie – wie wohl meistens – nichts Belastendes in der Hand hat, wird er am längeren rechtlichen Hebel sitzen. „Die meisten Fluggäste gehen aber gar nicht davon aus, dass dem Unternehmen ein Schaden entstehen könnte, sondern denken, sie schenken ihm noch etwas“, sagt Ruschitzka. Rund einmal im Monat wendet sich jemand, der ohne „Umgehungsabsicht“ in die Falle getappt ist, um Hilfe an den VKI. Auch wenn die Fluglinien ihre Beförderungsbedingungen der Judikatur angepasst haben, sieht die gelebte Praxis anders aus. Sie funktioniert nach dem Prinzip „Schauen, was durchgeht“. Gäste, die ihre Rechte selbst geltend machen oder für die der VKI ein Interventionsschreiben aufsetzt, bekommen ihr Geld zurück. Der Rest ärgert sich still – und die Fluglinie freut sich.

Geduldprobe

„Auch aktuell sind Fälle bei uns anhängig“, sagt Adrian Zeller von der VKI-Beratungsstelle. Oft dauere es Monate, bis die Beinahegäste die Kosten für Ticket, Ersatzflug oder den zu Unrecht bezahlten Aufpreis erstattet bekommen. „Solange die Linien ersetzen, was wir fordern, und die Beschwerden nicht häufiger werden, gehen wir nicht gegen sie vor“, so Zeller. Im Moment habe man für eine neue Klage zu wenig in der Hand, erklärt er – und setzt nach: „Aber natürlich ist es eine Frechheit.“

AUF EINEN BLICK

Rechtsprechung. Der OGH hat das Verbot der automatischen Stornierung des Rückflugs bei Nichtantritt des Hinflugs klar in zwei Entscheidungen aus den Jahren 2012 und 2013 festgeschrieben. Darüber hinaus urteilte er, dass ein Aufpreis bei Nichtantritt eines Flugs im Kombinationsangebot nur gerechtfertigt ist, wenn der Kunde in der Absicht gebucht hat, das Tarifsystem bewusst zu umgehen. Neben Krankheit, Unfall oder unvorhergesehenen Terminen fällt laut OGH auch die spontane Änderung der Reisepläne nicht unter das „bewusste Ausnutzen der Tarifstruktur“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2016)

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