Stressige Tage für EU-Lobbyisten

PK INDUSTRIELLENVEREINIGUNG (IV) ´VORSTELLUNG DES IV-PRIORIT�TENPROGRAMMS 2020 DURCH DAS NEU GEW�HLTE BUNDESPR�SIDIUM´: KAPSCH
PK INDUSTRIELLENVEREINIGUNG (IV) ´VORSTELLUNG DES IV-PRIORIT�TENPROGRAMMS 2020 DURCH DAS NEU GEW�HLTE BUNDESPR�SIDIUM´: KAPSCH(c) APA/GEORG HOCHMUTH
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Der EU-Rechtsrahmen für autonomes Fahren steht zur Diskussion, um die Festlegung einer Starttechnologie herrscht heftiges Gezerre. Es geht um Wahlfreiheit für die Nutzer – und um ein Riesengeschäft.

Wien. „Wir treten dafür ein, dass es eine Vielfalt an Technologien gibt“, sagt Georg Kapsch zur „Presse“. Käme es zu einer Monopolsituation, wäre das „nicht im Interesse der Konsumenten und auch nicht im Interesse der EU“. Es geht um autonomes Fahren. Und um eine Richtungsentscheidung, die in Brüssel dieser Tage ansteht – vielleicht schon morgen, Freitag. Seit 2014 bastelt eine Expertengruppe an einem Rechtsrahmen für Fahrzeuge, die nur mehr zum Teil oder, irgendwann in der Zukunft, gar nicht mehr von Menschen gesteuert werden. Was nun ins Haus steht, ist die Verabschiedung eines finalen Textes für den sogenannten C-ITS-Masterplan.

Dieser muss dann noch den Sanktus der EU-Kommissare bekommen. Trotzdem: Was nach der Finalisierung des Dokuments daliegt, das pickt. Zumindest fast. Keine Frage also, dass Lobbyisten in Brüssel derzeit stressige Tage haben. Denn obwohl die Arbeitsgruppe schon so lang daran werkt, scheint kurz vor der Finalisierung plötzlich gar nichts mehr zu picken. Zumindest nicht, was die Frage der Starttechnologie für das autonome Fahren betrifft. Eine – namens ITS G5 – lag gut im Rennen, man hatte sich schon darauf geeinigt, fürs Erste diese zu empfehlen. „Sie ist marktreif, es fehlt nur noch der Rechtsrahmen“, sagt Kapsch.

Keine Frage, Kapsch hat daran durchaus ein Eigeninteresse – der österreichische Konzern arbeitet seit Jahren mit dieser Technologie und entwickelt darauf basierte Sicherheitslösungen für das autonome Fahren. Aber von Anfang an: C-ITS steht für kooperative intelligente Transportsysteme, gemeint ist damit Kommunikation zwischen Fahrzeugen sowie zwischen diesen und der Straßeninfrastruktur. Klingt utopisch, ist aber technisch bereits möglich – und für das autonome Fahren eine zwingende Voraussetzung. Seit 2014 befasst sich, wie gesagt, auf EU-Ebene eine Expertenplattform damit. Mit dem Masterplan will die EU-Kommission die künftige Richtung vorgeben.

„Autonome“ LKW-Konvois

Genau da bestehen jetzt aber plötzlich massive Divergenzen. Es gibt Kräfte, denen die Empfehlung von ITS G5 als Starttechnologie gar nicht passt. Der Druck, das aus dem Papier zu streichen, soll vor allem aus den Reihen der Mobilfunk-Lobby kommen. Warum? Weil auch die Mobilfunkbranche am autonomen Fahren tüftelt, basierend auf einem anderen System. Könnte sie sich den ITS-G5-Standard quasi einverleiben, existierte ITS G5, aus regulatorischer Sicht, nicht mehr als eigenständige Starttechnologie und – längerfristig – als Alternative zum Angebot der Mobilfunker, befürchtet die Gegenseite. Es gäbe dann auch nur mehr ein Geschäftsmodell, das der Mobilfunker.

Aber was ist ITS G5? Vereinfacht gesagt, ein drahtloses System für die Kommunikation im Nahbereich, das auf einem amerikanischen WLAN-Standard beruht, in den USA läuft ein Schwestersystem bereits. Beim autonomen Fahren könnten Fahrzeuge so miteinander kommunizieren, auch wenn kein Sichtkontakt besteht – Stichwort: Kreuzungen. Platooning ist ein anderer Anwendungsfall, gemeint sind Konvois von LKW, wobei nur mehr im ersten ein Lenker sitzt und die anderen in knappem Abstand folgen. Feldversuche dafür laufen schon, sagt Kapsch und betont im selben Atemzug, dass das nichts mit den berüchtigten Gigalinern zu tun habe. Es gehe um normale Laster, die dann umweltschonender und weniger unfallträchtig unterwegs wären. Vielleicht auch weniger störend für andere Verkehrsteilnehmer, wenn sie – das gehört ebenso zu den Zukunftsvisionen – durch Verkehrsleitsysteme in verkehrsarmen Zeiten auf den Weg geschickt würden.

Aber warum soll all das nicht genauso gut über Mobilfunk funktionieren? Ein Unterschied liegt laut Kapsch darin, dass es sich bei ITS G5 „um eine Technologie handelt, die zum Fahrzeug gehört“ und – ähnlich wie das WLAN daheim – nur im Nahbereich funktioniert. Das prädestiniere es für Sicherheitsanwendungen. Beim Mobilfunk könne man zwar bestimmte Verbindungen priorisieren, „aber trotzdem nützen alle dieses Netz“.

Hauptrisiko: Hacking

Ist es dadurch weniger sicher? Das will Kapsch nicht behaupten und betont nochmals, dass man keineswegs eine Alleinstellung für eine bestimmte Technologie anstrebe. Sondern ein „Miteinander oder zumindest Nebeneinander“.

Wobei man sich auch der generellen Gefahren bewusst ist. Hacking sei das Hauptproblem, sagt Kapsch, er bezweifle, dass sich das jemals ganz ausschalten lasse. Und rein rechtlich, etwa was die Frage der Haftung bei Unfällen betrifft, sei noch alles offen. Wobei die riskanteste Situation die ist, auf die wir zusteuern: dass es mehr oder weniger autonom gesteuerte und von Menschen gelenkte Fahrzeuge nebeneinander geben wird – die künftige Realität für Jahrzehnte. Die Nachrüstung Letzterer mit Warnsystemen wird dann ein Riesenthema. Keine Frage: Es geht um ein gigantisches Geschäft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2016)

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