„Nicht kündigen, wenn Entlassung gerechtfertigt ist“

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Arbeitsrecht. Kann ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer entlassen, wenn zuvor schon eine Kündigung ausgesprochen worden ist? Das hängt davon ab – wie zwei aktuelle Entscheidungen zeigen.

Wien. Im letzten Quartal des Jahres 2016 gab es einige interessante Entscheidungen zum Thema Entlassung und Kündigung:

• In einem Fall kündigte der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer, nachdem aufgefallen war, dass der Mitarbeiter gleich an mehreren Tagen unrichtige Zeitaufzeichnungen gemacht hatte. Doch schon am Tag danach entschied sich der Arbeitgeber dazu, den Arbeitnehmer doch zu entlassen. Er hatte nämlich zwischenzeitlich entdeckt, dass der Gekündigte bei seinen Zeitaufzeichnungen nicht nur an einigen wenigen Tagen geschummelt hatte, sondern habituell, und zwar seit langer Zeit.

Der Arbeitnehmer bekämpfte die Entlassung – mit Erfolg. „Die Entscheidung wurde damit begründet, dass es durch die Kündigung zu einem Verzicht auf das Entlassungsrecht gekommen sei“, sagt Arbeitsrechtsexperte, Rechtsanwalt Horst Lukanec. Es ist also nicht möglich, einen Arbeitnehmer wegen desselben Fehlverhaltens zunächst zu kündigen und ihn in weiterer Folge doch zu entlassen. Lukanec: „Eine Entlassung wäre laut Berufungsgericht nur möglich, wenn nach der Kündigung ein anderer, neuer Sachverhalt bekannt wird.“ Für die Praxis empfiehlt der Experte Arbeitgebern deshalb, keinesfalls vorab eine Kündigung auszusprechen, wenn ein Arbeitnehmer ein Fehlverhalten gesetzt hat, das vielleicht eine Entlassung rechtfertigen könnte. „Sollte zunächst unklar sein, ob eine Entlassung tatsächlich gerechtfertigt ist, sollte der Arbeitnehmer zunächst dienstfrei gestellt werden.“ Diese Vorgehensweise sollte es möglich machen, die notwendigen Erhebungen anzustellen, ohne auf ein Entlassungsrecht zu verzichten.

• In einem anderen Fall wollte ein Arbeitnehmer zur Versicherungsagentur seines Bruders wechseln und kündigte sein Arbeitsverhältnis. Die Bitte, seinen Kundenstock mitnehmen zu können, schlug der Arbeitgeber aus. Vielmehr stellte er den Mitarbeiter dienstfrei und verbot ihm jedweden Kontakt zu seinen Kunden. Dennoch informierte der Arbeitnehmer seine Kunden über den bevorstehenden Wechsel und erklärte, sie auch danach weiterhin betreuen zu wollen. Als dies der Arbeitgeber erfuhr, sprach er – zwei Tage vor dem Kündigungstermin – die Entlassung aus. Zu Recht, wie das Berufungsgericht feststellte. „Sofern ein wichtiger Grund – wie hier – vorliegt, kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung beenden. Eine Entlassung ist auch nach einer bereits ausgesprochenen Kündigung möglich, sofern ein Entlassungsgrund gesetzt wird“, erklärt Rechtsanwältin Angelika Pallwein-Prettner. Für den Arbeitnehmer sei dies relevant: „Denn im Falle einer berechtigten Entlassung steht dem Arbeitnehmer generell keine Abfertigung zu, wenn das System der Abfertigung alt anwendbar ist. Zudem muss der Arbeitnehmer das Urlaubsentgelt für zu viel verbrauchten Urlaub rückerstatten“, so die Arbeitsrechtsspezialistin. (hec)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2017)

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