Vergaberechtsreform: Rückschritt beim Bestbieterprinzip?

(c) FABRY Clemens
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Der Begutachtungsentwurf liegt vor, in manchen Bereichen lockert er das Bestbieterprinzip. Die einen sehen das als Rückschritt, den anderen geht es nicht weit genug.

Wien. Lang hat sie auf sich warten lassen – die „große“ Novelle zum Vergaberecht. Nötig wurde sie, weil ein EU-Richtlinienpaket umzusetzen ist. Der Entwurf liegt nun zur Begutachtung vor, die Begutachtungsfrist läuft noch bis 3. April. Aber auch jetzt schon wird hinter den Kulissen heftig – und wohl auch hektisch – diskutiert. Die Zeit drängt: Wird das Gesetz nicht bis Ende Juni beschlossen und im Herbst in Kraft gesetzt, drohen Österreich Strafzahlungen an die EU. Ein Vertragsverletzungsverfahren wegen der verspäteten Umsetzung der Richtlinien läuft bereits.

Worin bestehen nun aber die Knackpunkte bei der Neuregelung? Unter anderem geht es wieder einmal ums Bestbieterprinzip: Kritiker meinen, die Reform verwässere es. Besonders scharf formulierte es die Bundeskammer der Ziviltechniker: Das Billigstbieterprinzip werde durch die Hintertüre wieder eingeführt, es drohe ein drastischer Preis- und Qualitätsverfall. Selbst von einem „Keulenschlag“ für heimische Klein- und Mittelbetriebe war in einer Aussendung die Rede.

Vergaberechtsspezialist Stephan Heid geht mit seiner Kritik nicht so weit – von einem „Rückschritt gegenüber dem Status quo“ spricht jedoch auch er. Unter anderem wegen der vorgesehenen Ausnahmen für Sektorenauftraggeber (zum Beispiel aus den Bereichen Elektrizität, Wasser, Verkehr). Begründet würden diese Ausnahmen damit, dass dort ohnehin ein entwickelter Wettbewerb herrsche, sagt Heid. Das stimme aber nicht überall: Etwa bei der Schieneninfrastruktur in Städten – Wiener Linien, Linz AG, Graz Holding etc. – sei kaum Wettbewerb gegeben.

Zudem gibt es Bereiche, in denen Auftraggeber mehr Spielraum haben, wie sie qualitätsbezogenen Aspekte, die das Bestbieterprinzip vorsieht, berücksichtigen: Sie müssen sie nicht unbedingt in die Zuschlagskriterien aufgenommen werden, sondern können sie auch in der Leistungsbeschreibung, den technischen Spezifikationen oder den Eignungskriterien unterbringen. Vorgesehen ist das bei bestimmten Dienstleistungen im Gesundheits- und Sozialbereich, aber auch bei Verkehrsdiensten im Personennah- und Regionalverkehr sowie bei der Beschaffung von Lebensmitteln. Das werde „horizontales Bestbieterprinzip“, genannt, was aber kaum mehr sei als ein Marketingbegriff, kritisiert Heid. Aus seiner Sicht müssen bei einem „echten“ Bestbieterprinzip die Qualitätsaspekte systembedingt in den Zuschlagskriterien enthalten sein – nur dann seien sie für die Bieter überprüfbar und einklagbar. Alles andere tendiere in Richtung „Mogelpackung“.

Im „echten“ Bestbietersystem soll auch in Zukunft die Bauwirtschaft bleiben (wie bisher bei Aufträgen ab einer Million Euro). Neu in diesen Bereich aufgenommen werden sollen Reinigungs- und Bewachungsdienstleistungen. Darum werde aber, wie Heid sagt, noch „heftig gekämpft“.

„Preis ist transparent“

Denn nicht jeder begeistert sich für das Bestbieterprinzip – übrigens auch nicht bei den mit dem Thema befassten Anwälten. So meinen etwa Manfred Essletzbichler und Sebastian Oberzaucher – beide sind Partner bei Wolf Theiss – dass man dem extremen Preisdruck, den es bei Bauaufträgen unbestreitbar gibt, so nicht beikommen kann. Im Gegenteil: „Wenn Unternehmen bei den zusätzlichen Kriterien – etwa Beschäftigung von Lehrlingen oder Älteren – nicht punkten können, werden sie umso mehr mit dem Preis hinuntergehen“, meint Essletzbichler. Auch gegen Lohn- und Sozialdumping oder Korruption richte man mit Qualitätskriterien nichts aus.

Dementsprechend begrüßen die beiden Juristen die in der Novelle vorgesehenen Lockerungen. Dass in bestimmten Bereichen die Auftraggeber künftig selbst entscheiden dürfen, auf welcher Ebene des Vergabeprozesses sie Qualität bewerten, sei „gescheit“, sagt Oberzaucher, „in Wahrheit hätte man das überall so machen sollen“. Überhaupt kann er die fundamentale Kritik am Billigstbieterprinzip nicht teilen: „Es ist das Transparenteste, was es gibt.“ Die Qualität werde trotzdem gesichert, und zwar durch die „in Österreich sehr hohen“ Qualitätsanforderungen bei den Leistungsbeschreibungen.

Wobei, wie Essletzbichler sagt, auch bei preisbezogenen Vergaben nicht unbedingt der billigste Preis der beste sein müsse: In anderen Ländern orientiere man sich beispielsweise am Medianpreis – das könnte Preisdruck herausnehmen, meint er. „Solche Modelle sollte man sich anschauen.“

Das Bestbieterprinzip ist aber nicht das einzige große Thema der Novelle. Laut Bernt Elsner, Leiter der Praxisgruppe Vergaberecht bei CMS, schafft sie „in vielen, auch für die Praxis bedeutenden Bereichen Rechtsklarheit“. Unter anderem betrifft das Kooperationen zwischen öffentlichen Auftraggebern: In welchen Konstellationen sie miteinander Verträge abschließen können, ohne die Bestimmungen des Vergaberechts beachten zu müssen, werde nun gesetzlich geregelt. Bisher habe es dazu lediglich einzelfallbezogene EuGH-Urteile gegeben.

Nachträgliche Änderungen

Auch für das heikle Thema, inwieweit Aufträge nach Zuschlagserteilung abgeändert werden dürfen, sind Regelungen vorgesehen. Das schaffe mehr Rechtssicherheit, sagt Elsner – wenn auch gewisse Unschärfen bleiben, bei denen „die Rechtsprechung eine entscheidende Rolle spielen wird“.

Eine weitere Änderung betrifft ganz generell Dienstleistungen: Bisher wurde zwischen prioritären und nicht prioritären Dienstleistungen unterschieden, nur Erstere zählten zum Vollanwendungsbereich des Vergaberechts. Diese Unterscheidung wurde nun aufgegeben, dafür aber eine neue Kategorie „besonderer“ Dienstleistungen geschaffen, vor allem aus dem Gesundheits- und Sozialbereich. Für diese gilt auch künftig ein erleichtertes Regime. Die vergaberechtliche Zweiteilung werde somit im Ergebnis nicht abgeschafft sondern neu gestaltet, sagt Elsner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2017)

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