Ametsreiter: „Von 100 Bewerbern nehmen wir 5“

Hannes Ametsreiter
Hannes Ametsreiter(c) Die Presse - Clemens Fabry
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Der Telekom-Austria-Chef warnt davor, dass Europa die digitale Revolution verschläft, leidet an der Überregulierung und lässt ausbilden, statt sich auf das Bildungssystem zu verlassen.

Die Presse: Wovon reden wir, wenn wir von Industrie 4.0 reden?

Hannes Ametsreiter: Wir reden von der nächsten industriellen Revolution, die eine digitale Revolution sein wird. Diese Entwicklung ist erst am Beginn. Sie wird aber unsere Produktion revolutionieren, wird sich maßgeblich am Konsumenten orientieren und Abläufe effizienter und effektiver gestalten.


Wird sie sich nur am Konsumenten orientieren, oder wird sie ihn auch kontrollieren?

Sie wird den Konsumenten einbeziehen. Das ist ein riesiger Unterschied, weil das den Konsumenten stützt und für mehr Transparenz sorgt. Wenn ein Fahrrad aus Holland angeliefert wird, kann der Kunde nachschauen, wo es sich gerade befindet, er weiß genau, wann es bei ihm ankommt. Das ist sicher ein positiver Aspekt für den Konsumenten.


Und wenn ihm das Rad gestohlen wird, sieht er, wo es hinfährt.

Ja, da sind wir beim nächsten Bereich – beim Orten von wertvollen Gegenständen, und da gehört ein Fahrrad auch dazu.


Und wer sich nicht digitalisieren lässt, den bestraft die Geschichte.

Wir sehen, dass plötzlich uralte Gewerbe wie Taxifahren und Hotels eine Konkurrenz durch das Handy bekommen. Und zwar von Applikationen wie Uber oder Airbnb. Das hätte niemand erwartet – und plötzlich sind das Firmen, die milliardenschwer sind und den Markt in atemberaubenden Tempo erobern.


Wo steckt Industrie 4.0 in der Telekom?

Etwa in unserer Tochterfirma Machine-to-Machine, sie verbindet Dinge mit dem Internet. Wir statten Schneepflüge mit GPS und SIM-Karte aus, damit der Bürger abfragen kann, wo in seiner Gemeinde der Schnee geräumt worden ist. Es hat noch nie eine Zeit gegeben, in der so viele Innovationen von weltweiter Bedeutung auf den Markt gekommen sind – Facebook, YouTube, Uber, AirBnB, Netflix . . .


Und all das kommt aus den USA.

Aber es gibt auch in Europa sehr viele gute Ideen. Doch der Politik muss klar sein, dass wir Wohlstand nur halten, wenn wir bei Bildung und Infrastruktur unsere führende Rolle beibehalten.


Bei Infrastruktur denken Sie vermutlich an Breitbandinternet.

Ich denke an alle Zugangstechnologien, die man braucht. Da ist Glasfaser natürlich maßgeblich. Wir haben in der EU vergessen, Industriepolitik zu machen. Und das sollte man schleunigst nachholen.


Warum sind uns die Amerikaner plötzlich voraus?

Weil die Politik in Europa oft sehr populistisch agiert, indem sie etwa Preise vorschreibt, alles billiger macht. Dabei wird aber auf wesentliche Fragen vergessen. Etwa: Wie schaffe ich Arbeitsplätze? Wie schaffe ich Vorsprung? Wie schaffe ich eine starke Position im weltweiten Wettbewerb? Europa war einmal führend im GSM- und Mobilfunkbereich. Marken, die einst Weltmarktführer waren, gibt es nicht mehr – ohne den Namen jetzt nennen zu wollen.


Man muss Nokia nicht beim Namen nennen.

Es ging in Europa viel schief. Wenn wir nicht eine Kehrtwende schaffen, werden wir weiter in die falsche Richtung fahren.

Was konkret muss sich ändern?

Wir sind überreguliert. Man muss Marktkräfte wieder zulassen. Nur so schafft man Anreize für Investitionen. Wenn es um die Zukunft geht, zählt nicht der billigste Preis, sondern die beste Infrastruktur. Qualität hat sich immer noch durchgesetzt.


Was sind für Sie die drei wichtigsten Zukunftsfragen in Europa?

Energiepolitik, Infrastrukturpolitik und Bildungspolitik. Darauf haben wir keine ausreichende Antwort.


Reden wir über Bildung. Finden wir mit dem alten Humboldt'schen Bildungskanon noch das Auskommen?

Ich halte einen humanistischen Ansatz für gut. Ich glaube, dass die Art, wie Lerninhalte vermittelt werden, einer Erneuerung bedürfen. In dem heutigen Schulsystem wird die Neugierde der Kinder nicht ausreichend geweckt. Wenn wir aus allen Rankings fliegen, wenn unsere Universitäten nicht mehr unter den besten 200 der Welt sind, dann ist das alarmierend.

Wie schwer tut sich die Telekom mit ihrem Nachwuchs?

Ich sehe, wie viele junge Menschen sich bei uns als Lehrlinge bewerben und nicht sinnerfassend lesen und schreiben können.


Sie sind also mit dem Bildungsniveau in Österreich nicht zufrieden.

Deshalb machen wir eine eigene Lehrlingsausbildung, mit eigenen Lehrern in Kooperation mit Berufsschulen. Wir haben unsere eigene Corporate University gegründet, unsere eigene Business School, in der wir Mitarbeiter trainieren und mit den besten Universitäten der Welt kooperieren.


Wie viele Leute gehen in der Telekom zur Schule?

Wir nehmen jährlich etwa 70 Lehrlinge auf. Und wir haben einige hundert Mitarbeiter, die Programme unserer Business School absolvieren.


Wo orten Sie die größten Bildungsdefizite?

Bei den Lehrlingen: Von 100 Bewerbern nehmen wir fünf.

Zur Person

Hannes Ametsreiter ist seit April 2009 Vorstandschef der Telekom Austria Group. Das Unternehmen erzielte 2013 einen Umsatz von 4,2 Milliarden Euro. Das Betriebsergebnis belief sich auf 377,6 Millionen Euro. Hauptaktionär América Móvil hält 59,70 Prozent der Anteile, die Staatsholding ÖIAG 28,42 Prozent.

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