Die Edeltasche aus dem Währinger Altbau

Lechner schlug in Währing ihr kreatives Zelt auf.
Lechner schlug in Währing ihr kreatives Zelt auf.(c) Stanislav Jenis
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Wo früher das Bett stand, thront nun die Nähmaschine. Lederdesignerin Nicole Lechner meinte es ernst mit der Wiederbelebung des Taschnerhandwerks und eröffnete in ihrem Schlafzimmer eine provisorische Werkstatt.

Es sei ein Kompromiss, den man eingehen müsse, sagt Nicole Lechner. Man kann ihren persönlichen Einsatz nur bewundern, wenn man weiß, worin der Kompromiss besteht. Der Tausch lautete Atelier gegen Schlafzimmer. Dafür haben ihre handgefertigten Ledertaschen nun sogar an einem verregneten Herbstvormittag viel Licht, das durch die hohen Altbauflügelfenster hereinströmt, und dürfen auf dem Kleiderständer über echtem Fischgrätparkett hängen.

„Ich bin flexibel, was meine Ziele betrifft“, sagt die 29-jährige Designerin. Eines stehe aber fest: Sobald ihre Marke, Maison NYCA, an Fahrt gewinnt und sie es sich leisten kann, hätte sie gern einen kleinen Laden am Spittelberg. Am liebsten einen wie ihr Vorbild und Lehrer Árpád Mészáros. Der gebürtige Ungar ist einer der letzten Wiener Meister für Ledergalanteriewarenerzeugung. Nach seiner Pensionierung verpachtete er sein Atelier an die Wiener Universität für angewandte Kunst. So lernten er und Nicole Lechner, die dort Kurse besuchte, einander kennen.


Zurück aus dem Himmel. Das Zusammentreffen hätte so nie stattfinden müssen. Vor allem, da Lechner der klassische Lehrlingsweg versperrt war. Und auch, weil ihre Berufswahl erst im zweiten Anlauf auf Lederdesignerin fiel. Ursprünglich hatte sie als Flugbegleiterin begonnen. Als sie schwanger wurde, sah sie sich nach etwas Bodenständigerem, Gesetzterem um. Schon während sie um die Welt geflogen war, hatte Lechner kleine Lederportemonnaies für ihre Kolleginnen angefertigt. „Ich habe das Leder massakriert“, erinnert sie sich mit einem Lachen. Sie hatte weder die richtige Nähmaschine noch das handwerkliche Wissen. Aber die Stücke gefielen. So klopfte sie nach dem Ende ihrer luftigen Karriere bei den etwa zehn verbliebenen Taschnermeistern Wiens an. Der Tenor sei immer in etwa gewesen: „Das ist sehr lieb, dass du dich interessierst. Aber wir nehmen keine Lehrlinge.“

Eine Alternative tat sich mit der Fachschule für Lederdesign auf. Dort seien ihre Mitschüler zwar durchschnittlich 15 Jahre alt – sie war zu Schulbeginn 26 –, und auch die Theorieklassen würde sie keinem unbedingt ans Herz legen. Aber die 32 Wochenstunden, die sie in der Werkstätte stand, hätten die ihr verwehrte Lehrlingszeit vollkommen aufgewogen.

Im Herbst 2015 machte die gebürtige Steirerin die Meisterprüfung. „Job hätte ich damit keinen gefunden.“ In der Jury saßen zwei der Wiener Taschnermeister. Sie gaben ihr wenig aufbauende Worte mit: „Du weißt, dass es schwer wird und du keine Stelle kriegst?“ Also dachte sich Lechner, warum bei der überschaubaren Zahl an Möglichkeiten nicht gleich alles auf die verbliebene Karte setzen und ein eigenes Unternehmen gründen?

Was sie mit etwas Vorlaufzeit und einem guten, betriebswirtschaftlich geschulten Geist an ihrer Seite im Sommer auch tat. In dieser Woche kommt ihre erste Taschenkollektion auf den Markt. „Mittlerweile weiß ich, warum Prada so teuer verkauft“, sagt Lechner, die es sich nicht nehmen lässt, jedes Leder, jeden Faden, jeden vergoldeten Beschlag selbst auszuwählen und ihre Taschen im Alleingang per Hand zu nähen. In Wien. Das kostet. Zurzeit veranschlagt sie pro Tasche rund 900 Euro. Fünf Taschen produziert sie pro Woche an ihrer Nähmaschine im umfunktionierten Währinger Schlafzimmer. Ihre Marke, Maison NYCA, steht so nicht nur für eine Mischung aus ihrem Vornamen und der Metropole New York – sondern bildet auch die Tatsache ab, dass die Stücke tatsächlich daheim gefertigt werden. Eben à la maison. Sie sei noch nicht die Schnellste an der Nähmaschine, gibt Lechner zu, aber schließlich stehe sie auch ganz am Beginn ihrer handwerklichen Laufbahn. Sich wie andere Taschner mit zunehmender Größe nicht mehr selbst um die Produktion zu kümmern, sondern nur mehr als kreatives Mastermind im Hintergrund zu wirken, will sie sich nicht vorstellen. „Sonst friert das handwerkliche Können ein.“

Vorerst muss sie sich als Ein-Frau-Betrieb aber noch nicht um Dinge wie die Aufgabendelegierung an potenzielle Mitarbeiter kümmern. „Und solange Árpád Mészáros da ist, ist alles o. k.“, sagt die junge Designerin. Mag sein, dass sie ihre Ausbildung an der Fachschule für Lederdesign absolviert hat. Die wichtige Bezugs- und Ansprechperson ist eindeutig der pensionierte Taschnermeister vom Spittelberg, der sie auch einmal beim Falten einer Ledernaht berät oder ihr quasi umsonst Ösen und Beschläge aus seinem Fundus überlässt.

Für kreativen Austausch war dank ihm stets gesorgt. Die wirtschaftliche Komponente lag bis zum Frühling aber brach. „Ich musste schauen, wie ich jemanden finde, der sich gut mit Zahlen auskennt – meiner absoluten Schwachstelle“, erzählt Lechner von ihrer Suche. Fündig wurde sie in der Unternehmensberaterin Claudia Melchert-Strohmaier. Diese machte sich daran, Lechners Geschäftsidee auf den Boden zu bringen – mit handfesten Zahlen. Zwischen Liquiditätsplänen, Preiskalkulationen und der Erstellung eines Business-Plans konnte sie der Jungdesignerin die frohe Nachricht verkünden. „Du kannst es wirklich machen, da steckt Potenzial drin“, teilte sie ihr nach Anhörung ihrer Ideen mit. Gemeinsam erstellten sie einen Geschäftsplan, der die kommenden drei Jahre abbildet, steckten das Best-Case- wie auch das Worst-Case-Szenario ab und formulierten die Anträge an die Finanzierungsquellen, sprich die Bank und die Start-up-Förderstelle.


Weiche Ideen, harte Zahlen.
Melchert-Strohmaier, die seit 15 Jahren in der Unternehmensberatung und hier besonders gern im kreativen Bereich unterstützend tätig ist, wo man den Enthusiasmus für das Handwerk spüre, kennt die anfänglichen Klippen, die es zu umschiffen gilt. Viele Handwerksbetriebe mit fantastischen Ideen würden an der Startkapitalisierung scheitern, weil sie bei der Bank ohne handfeste Zahlen, Grafiken und vertrauenserweckende Rechenmodelle einritten. Für eine schöne Idee allein bekäme man heute keinen Bankkredit mehr, sagt die Unternehmensberaterin.

Nicole Lechner bekam einen. Ihre Start-up-Förderung wird derzeit geprüft. Melchert-Strohmaier ist sichtlich stolz auf ihre Klientin. Sobald die finanziellen und organisatorischen Anfangshürden in trockenen Tüchern sind, will sie sich aber wieder zurückziehen – zumindest bis der nächste große Schritt für Lechners Label ansteht. „Ich bin ihr Sparringspartner, aber schaffen muss sie es später allein. Ich führe ja nicht das Unternehmen.“

Schaffen will Lechner es mit unverstellter Authentizität und Individualität – „Modelle, die es so nicht gibt“, soll es bei ihr zu kaufen geben. Um das Gefühl des Originals noch zu verstärken, prägt sie jeder einzelnen Tasche beim Kauf eine Plakette mit der Kollektionsnummer und dem Namen der Kundin ins Innenfutter ein. Sie will, dass die Leute bei ihren Taschen dieses einmalige Gefühl übermannt, das sie immer bei Betrachtung der Werke ihres großen Vorbilds, des für seine exzentrischen Entwürfe bekannten Moschino-Designers Jeremy Scott, überkommt: das Verlangen, dieses schöne, einzigartige Ding sofort zu besitzen – vielleicht auch nur, um es lang und ausführlich zu betrachten.

Nicole Lechner ist zu bescheiden, um bei ihrer eigenen Kollektion einen sofortigen Effekt dieser Art zu erwarten. Aber das Bett, das hätte sie schon gern zurück – und zwar, wenn möglich, bald.

MAISON NYCA

Online
findet man Jungdesignerin Nicole Lechner und ihre erste Kollektion The One Show unter www.maisonnyca.at.

Offline, im klassischen Handel
ist Lechner mit Ausstellungsstücken unter anderem in der Damenmodenboutique 4 Jahreszeiten vertreten.

Telefonisch
kann man sie auch einfach unter 0664 4337 007 erreichen und nach Voranmeldung in ihrem Atelier in der Gentzgasse 144 vorbeischauen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2016)

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