Stein für Stein zum Erfolg

Spielzeughersteller Sven Purns inmitten seiner bunten „Ainsteine“.
Spielzeughersteller Sven Purns inmitten seiner bunten „Ainsteine“.(c) Clemens Fabry
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Sven Purns standen als Maschinenbauer die großen Technologiekonzerne offen. Doch der Wunsch nach einem Produkt, das er am Ende des Tages anfassen konnte, führte ihn in die Selbstständigkeit.

Weit draußen auf der Grinzinger Allee, dort wo bereits die ersten Heurigen anfangen, liegt ein Gemeindebau. Er ist einer jener Bauten, die die Wiener Stadtregierung in den 1950er- und 1960er-Jahren im neunzehnten Bezirk errichtete, um dort eine gute soziale Durchmischung zu erzielen. Effizient und in seiner Schlichtheit unauffällig steht er da.

Auch sein Kellerlokal ist auf den ersten Blick wenig spektakulär. Heizung gibt es keine. Das Licht an diesem verregneten Wintertag tröpfelt durch die schmalen Oberfenster herein. In eine Mietwohnungskategorie fällt das Souterrain jedenfalls nicht. Insofern ist es der perfekte Ort für Sven Purns Werkstatt. Nichts deutet darauf hin, dass er in dem Döblinger Keller täglich 1000 Magnetbausteine fertigt. Erst beim Betreten fällt dem Besucher das stetige Klackern der Maschine auf, an der Purns Mitarbeiterin sitzt und Baustein nach Baustein an der Ultraschallschweißpresse verschließt. Eine eingebaute Heizung haben sie hier vielleicht nicht – aber dafür die neueste Technik.

Als Maschinenbauer hielt Purns die fehlende Wärme nicht vom Einzug ab. Er installierte flugs eine einst von ihm selbst vertriebene Infrarotheizung an der Wand. Mit Karibikmotiv. Das verschafft dem Döblinger Keller einen interessanten sommerlichen Flair. Das mit den Infrarotheizungen ist nur eine lange Geschichte in einer noch viel längeren Reihe von unterschiedlichen Berufen des 43-jährigen Wieners.

Am Ende dieser Kette aus Auslandsjobs und Start-ups steht ein Magnetbaustein. Genauer: ein Ainstein. So nannte Purns das Spielzeug, auf dessen Idee er bei der Geburt seiner Tochter Marie kam. Im März 2013 kam sie auf die Welt. An ihrem ersten Geburtstag konnte sie schon auf dem Prototypen herumkauen. Heute ziert nicht nur die karibische Zimmerheizung den Keller, sondern auch ein großes Foto eines dreijährigen Mädchens mit blonden Locken und blauen Augen, das konzentriert einen Baustein in seiner ausgestreckten Hand betrachtet. Stein wie Tochter sind größer geworden.

Der Ainstein gleicht nur äußerlich einem normalen Baustein à la Lego. An seinen Rändern sind viele kleine Supermagneten angebracht. Sie können das Tausendste ihres eigenen Gewichts tragen. Die längs geteilten Magneten können zudem in dem von Purns entwickelten Spielzeug auch um die eigene Achse rotieren und sich nach dem jeweiligen Gegenüber ausrichten. So entstehen die farbenfrohen Häuser, Türme und Boote, die auch die Werkstatt zieren. „Das billigste Spielzeug ist es nicht“, gesteht Purns. Das ginge bei den Materialkosten nicht – ein einzelner Supermagnet kostet im Handel 25 Cent. Seine Packungen verkauft Purns je nach Größe für zwölf bis 65 Euro. Zurückgeschickt habe sie aber noch nie jemand. Bei 800.000 verkauften Steinen seit vergangenem Herbst bestätige ihn das, auf dem richtigen Weg zu sein.


Der Vergleich macht sicher. „Es ist die schönste Sache, Kinderspielzeug herzustellen“, sagt Purns. Er muss es wissen. Schließlich ist die Vergleichsbasis, auf die er zurückgreifen kann, recht breit. Direkt von der Technischen Universität Wien abgeworben, begann er seine Arbeit als Fertigungstechniker bei dem international tätigen Tiroler Hochtechnologieunternehmen Plansee. Nachdem das Projekt in Deutschland und Frankreich, für das er ursprünglich geholt worden war, abgeschlossen war, zog es ihn weiter. Diesmal nach Stuttgart, wo er für Daimler Chrysler ein Technologiezentrum konzipierte. Auch dort hielt es ihn nicht lange. Als das Konzept stand und es an die tatsächliche Umsetzung ging, war Purns wieder sprungbereit.

Die nächste Anstellung sollte ihn schließlich zurück nach Wien führen, genauer zu Siemens. Für den Konzern betreute er drei Jahre lang die Entwicklungsabteilung für Autoelektronik. „Das war nicht wirklich meins, ich wollte am Abend sehen können, was ich geschaffen hatte.“ Als Siemens ihm einen Jobwechsel nach Korea anbot, empfand er die Zeit reif, um zu gehen. Nicht nach Korea, sondern generell weg von den großen Konzernen, wo er sich nur noch wie die intelligente Schnittstelle zwischen den verschiedenen Abteilungen fühlte.

Diesmal wollte Purns es anders machen. Die eher ungewöhnliche Frage „Wollen wir Sonnensegel für Yachten bauen?“, die ihm ein Freund damals stellte, kam ihm gerade recht. Der Markt für Yachtsonnensegel erwies sich dann aber doch als begrenzt. Weshalb Purns und seine zwei Geschäftspartner zusätzlich windfeste Sonnenschirme entwickelten, die heute noch vor Restaurants in der Wiener Innenstadt oder in Moskau stehen. Doch dann wollte der unermüdliche Techniker expandieren, das Sortiment diversifizieren, schneller wachsen. Seine Partner nicht. Also trennten sich die Wege wieder.

Es folgte der angesprochene Vertrieb für Infrarotheizungen, den er für einen Freund aus China leitete. Und dann kam Marie. Und der Ainstein. Im Frühjahr 2015 übernahm Purns das Döblinger Kellerlokal. Ab dem Zeitpunkt floss seine gesamte Energie nur noch in den Magnetbaustein. „Am Anfang muss man alles selbst machen“, erzählt Purns aus seiner Erfahrung als Einzelunternehmer und zählt auf: Buchhaltung, Vertrieb, Logistik, Partnersuche. „Aber das ist auch gerade das, was mir Spaß macht“, ergänzt er.

Eine höhere Produktionsmenge als die 1000 Steine, die er und seine Mitarbeiterin hier am Tag mit Magneten füllen, kleben und verpacken, sei mit mehr Mann oder durch die Vollautomatisierung der Abläufe zwar zu bewerkstelligen. Aber das würde eine halbe Million kosten. „Das müssen wir erst einmal in Bausteinen verdienen“, sagt Purns. Die Firma trage sich zwar seit dem Start des Verkaufs im vergangenen Herbst inzwischen selbst, ihren Eigentümer aber noch nicht. Und die 100.000 Euro, die als Investition in sein Herzensprojekt geflossen sind, müssen erst wieder eingenommen werden. „Aber das war mit meiner Frau so abgesprochen“, sagt Purns beruhigend und lacht. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass er mit Ainstein bald wieder zum Familieneinkommen beiträgt. Die Resonanz sei jedenfalls – über die verschiedensten Altersklassen der Kinder hinweg – extrem positiv.


Trends beginnen im Norden.
Kindergärten und Fachspielzeughändler, vor allem aber Endkunden, die über die sozialen Medien auf das Spielzeug aufmerksam wurden, gehören zu Purns Käufern. Auch im Norden Deutschlands ist er mit seinen Steinchen bereits vertreten. Kundige Menschen, die sich in der Branche auskennen, hätten ihm gesagt, dass sich Spielzeugtrends immer von Nord nach Süd ausbreiteten. Dem Rat sei er gefolgt. Im neuen Jahr will er langsam den Rest Deutschlands erobern, außerdem in England starten und seine Fühler nach Asien ausstrecken. Wirkliche Zukunftsangst kann man seinem Gesicht nicht ablesen. „Ich bin optimistisch, dass wir es in einem halben Jahr schaffen, die Gewinnzone zu erreichen.“ Was ihn so sicher mache? Sein Geschäft mit den Magnetbausteinen sei extrem gut kalkulierbar. Und Deutschland zehn Mal so groß wie Österreich. Selbst wenn in beiden Ländern nicht die großen Ketten, sondern nur Kindergärten und Endkunden auf sein Spielzeug aufmerksam würden, sollte sich seine Rechnung ausgehen.

Eine andere ist bereits aufgegangen: Purns kann sein Tageswerk – 1000 Magnetbausteine – Abend für Abend angreifen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2016)

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