VW und die Politik: Merkel auf dem Abgas-Prüfstand

Beschämte Kanzlerin? Der Eindruck trügt: Merkel zeigt sich vor dem U-Ausschuss zur VW-Abgasaffäre keiner Schuld bewusst.
Beschämte Kanzlerin? Der Eindruck trügt: Merkel zeigt sich vor dem U-Ausschuss zur VW-Abgasaffäre keiner Schuld bewusst.(c) APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ (TOBIAS SCHWARZ)
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Als letzte Zeugin trat die Kanzlerin auf. Die große Frage: Wusste Berlin Bescheid?

Wien/Berlin. Zumindest eines hat der deutsche Untersuchungsausschuss zur VW-Abgasaffäre eindeutig ans Licht gebracht: Deutsche Politiker sehen die „Tagesschau“ und lesen Zeitung. Alle Geladenen des Berufstandes beteuerten, sie hätten von den Manipulationsvorwürfen erst aus den Medien erfahren. So auch die letzte Zeugin am Mittwoch: Angela Merkel. Weniger leicht konnte sich die Kanzlerin bei einer anderen Frage aus der Affäre ziehen: Warum sie sich 2010 bei einem Treffen mit Arnold Schwarzenegger, damals Gouverneur von Kalifornien, für niedrigere Stickoxid-Grenzwerte einsetzte? Das ist nämlich von Zeugen belegt. Merkels Rechtfertigung: Damals hielt sie den Klimawandel und die Senkung von CO2-Emissionen für viel wichtiger.

Grüne und Linke, die auf den Ausschuss gedrängt hatten, wollen ein „organisiertes Staatsversagen“ nachweisen, das die Betrügereien der Autobauer erst ermöglicht habe. Ins Visier nahmen sie vor allem Verkehrsminister Alexander Dobrindt. Der CSU-Politiker hatte argumentativ einen schweren Stand. Nach Auffliegen des Skandals hatte er erklärt: Zu Abschaltvorrichtungen „liegen keine Erkenntnisse vor“. Derlei habe man sich gar nicht vorstellen können, ergänzte er vor dem Ausschuss.

Einem Kreuzverhör hätten diese Beteuerungen kaum standgehalten. Denn am Anfang befragte der Ausschuss Dutzende Sachverständige, die eine ganze andere Geschichte nachzeichneten. Schon 1999 entdeckte die US-Umweltbehörde bei Lkws eine Software, die dafür sorgt, dass Abgase nur am Prüfstand gereinigt werden. Auch ihre deutschen Kollegen wurden fündig. Aber während die Lkw-Hersteller in den USA hohe Strafen zahlen mussten, passierte in Deutschland nichts. Dass solche Manipulationen illegal sind, steht seit 2007 schwarz auf weiß in einer Verordnung der EU-Kommission. Im Juli 2015, kurz bevor der Skandal publik wurde, beantworte Dobrindts Ministerium eine parlamentarische Anfrage so: Man teile die Ansicht Brüssels, „dass das Konzept zur Verhinderung von Abschaltvorrichtungen“ sich „nicht umfänglich bewährt hat“ – also Maßnahmen gegen jene Schummelei, die sich der Minister „gar nicht vorstellen“ konnte.

Damit nicht genug. ADAC, Umweltbundesamt, die EU-Forschungsstelle JRC: Sie alle schlugen ab 2008 Alarm. Brüssel hatte die NOx-Grenzwerte für Dieselfahrzeuge verschärft, aber die Luft wurde nicht sauberer. Denn die Autos stießen auf der Straße nicht weniger, sondern mehr Stickoxide aus. Bei den meisten Herstellern deshalb, weil ihre Abgasreinigung bei niedrigen Temperaturen nicht arbeitet, um den Motor nicht zu beschädigen. Briefe an Umwelt- und Verkehrsministerium blieben ohne Reaktion. Der damalige SPD-Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee hatte, wie er dem Ausschuss freimütig erklärte, angesichts der Finanzkrise und der existenziellen Bedrohung für die deutsche Autoindustrie andere Sorgen.

Brüssel setzt VW Frist bis April

Aber auch sein CSU-Nachfolger Peter Ramsauer zuckte 2011 mit den Schultern, als die Umwelthilfe noch viel brisantere Messungen eines Whistleblowers vorlegte: Sie bewiesen eine Manipulation bei jenem VW-Motor, um den es später den US-Behörden ging. Die Reaktion des Ministeriums: Man kenne und wisse das alles, aber Grenzwerte müssten ja nur im Prüflabor eingehalten werden. Hat also die deutsche Regierung den Skandal verschleppt und vertuscht? Auch Dobrindt rettete sich vor dem Ausschuss in legistische Ausflüchte: Das ihm unterstellte Kraftfahrbundesamt müsse sich bei seinen offiziellen Abgastests an die gesetzlichen Vorgaben halten, und für Abschaltvorrichtungen gebe es eben keine Prüfprozeduren. Warum aber hat man sie nicht geschaffen, nach allem, was auf den Tischen der Beamten lag? Die Antwort blieb Dobrindt schuldig.

Neues Ungemach kommt für VW nicht aus Berlin, sondern aus Brüssel. Die EU-Kommission hat für ihre Forderung, dass auch europäische VW-Käufer eine finanzielle Entschädigung erhalten sollen, nun eine Frist bis Ende April gesetzt. Das Justizministerium winkt ab: Gewährleistungen seien in Deutschland eine Sache der Gerichte. Was zeigt: An der engen Allianz von deutscher Politik und Autoindustrie hat auch der VW-Skandal nichts geändert. (gau)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2017)

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