Vom Kopf der Braut zur UNO und retour

2016 eröffnete Niely Hoetsch ihr Atelier im dritten Bezirk. Es ist auch Showroom für Kleider von Michel Mayer und Solaine Piccoli, mit der Niely Hoetsch auch Brautkleider designt.
2016 eröffnete Niely Hoetsch ihr Atelier im dritten Bezirk. Es ist auch Showroom für Kleider von Michel Mayer und Solaine Piccoli, mit der Niely Hoetsch auch Brautkleider designt.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Niely Hoetsch ist in der Accessoires-Werkstatt ihrer Oma in Brasilien aufgewachsen. Sie kam für einen Job bei der UNO nach Wien und designt hier jetzt Kopfschmuck und Kleider für Bräute.

Eigentlich hat Niely Hoetsch Politikwissenschaft studiert. „Ich bin Brasilianerin, für mich gab's keine andere Ausbildungswahl. Man studiert einfach“, erzählt sie. Ihr Blickwinkel auf die Mode sei dadurch ein ganz anderer. Dabei ist ihr das Designen und filigrane Werken in die Wiege gelegt. „Meine Oma war die große Modistin in Brasilien. Sie und meine Tante haben hauptsächlich Accessoires gemacht, aber die Mode ändert sich sehr.“ In den 1970er-Jahren sei keine Frau auf einem Geburtstag oder einer anderen Feierlichkeit ohne Blume erschienen – egal ob am Kopf, am Hut oder als Brosche.

Im Laufe der Zeit verlagerte sich der Fokus auf Kopfschmuck für Bräute. „Unsere Familie ist befreundet mit jener von Solaine Piccoli, die vor 40 Jahren in die Branche kam und „ohne Zweifel die beste Hochzeitskleidermacherin“ sei. Ihre brasilianische Brautmode kann man im Showroom von Hoetsch probieren und kreieren lassen, ebenso wie jene von Michel Mayer.

Als ihre zwei Kinder Carmen und Bruno noch klein waren, hatte die Designerin ihr Atelier zuhause. Voriges Jahr eröffnete die 46-Jährige ihre Werkstatt für Kopfschmuck gemeinsam mit dem Showroom für Brautkleider in der ruhigen Ölzeltgasse in Heumarktnähe, zwischen Serbischer Botschaft und Polizeiakademie. Als selbstständige Unternehmerin feiert sie 2018 ihr zehnjähriges Jubiläum.


Handwerk bei Oma gelernt. Für einen Job bei der UNO kam Hoetsch nach Wien, wo sie ihren Mann kennengelernt hat. Eine Hochzeit und zwei Kinder später stellte sich die große Frage: „Was mache ich nun – als eine ausländische Frau, die fünf Jahre bei den Kindern zuhause geblieben ist?“ Hoetsch erzählt von einer Existenzkrise. Vor allem bei Besuchen in der Heimat war sie mürrisch. Bis die Großmutter schließlich sprichwörtlich auf den Tisch haute: „Ich kann das nicht mehr hören. Hör auf zu sudern!“, sagte sie und ermunterte ihre Enkelin, das Handwerk zu übernehmen.

Schließlich ist die kleine Niely einst in ihrer Werkstatt aufgewachsen. Die Eltern sind von Goiânia weggezogen, aber das Kind kam nach zwei Jahren zurück zur Großmutter, weil die Schule dort besser war. „Es war herrlich, bei der Oma zu wohnen!“, erzählt Hoetsch. „Ich habe geholfen, weil ich wollte, und manchmal auch, weil die Oma gesagt hat, dass man helfen muss.“ Nur eine Sache mochte sie nicht. Die Designerin holt eine Schachtel mit seidenumwickeltem Draht hervor. „Das nennt man Rouluté. Man braucht es für den Blumenschmuck. Der Stoff darf nicht synthetisch sein, weil er sonst schmelzen oder gar brennen könnte. Meist werden Organza oder Seide auf einem großen Rahmen aufgespannt und gesteift. Wenn der Stoff trocken ist, zerreißt man ihn in kleine Streifen. „Man hat den ganzen Tag das Reißgeräusch gehört. Wir Kinder haben diese Arbeit gehasst.“

Aber das war nicht das Schlimmste. Der mühsame Teil kam am Abend: das Roulieren. Onkel, Opa, Cousinen – alle halfen mit. Vor dem Fernseher wuzelten sie die schräggerissenen Stoffstreifen über den Draht. „Der Anfang war besonders schwer, und wir durften nicht fluchen!“, erzählt Hoetsch lachend und zeigt auf eine Maschine, die Großmutter selbst gebaut hat. „Damit geht es einfacher, aber die Oma hat gesagt, das ist für Faule.“

Die Maschinen, Pressen und Formen müssen erst im Container aus Goiânia geschickt werden, einen Schatz hat Hoetsch schon: Großmutters schlaues Buch versammelt nicht nur Muster und Schablonen für die Stoffblumen, sondern auch Rezepte für das Steifen – bei Bukram funktioniert das anders als bei Tüll. „Meine Oma konnte Färben wie niemand“, beginnt die Designerin zu schwärmen. Sie erzählt von der Werkstatt im Garten, wo die Oma jeden Tag eine Rose pflückte und danach die Farbe für die Stoffblumen mischte. Die Dämpfe der giftigen Farben, die man damals mit Alkohol verdünnte, haben sie krank gemacht.

Heute macht Niely Hoetsch Blumen nur, wenn eine Braut sich dafür entscheidet, denn es sei wirklich aufwendig, in Österreich aber ohnehin nicht gar so üblich und aktuell auch weniger im Trend, meint Hoetsch, die gerne mit Federn, Formen und Mustern arbeitet. Ihr ist stets bewusst: „Was ich mache, ist ein Accessoire. Ich habe keine Allüren, es muss zur Hauptsache, nämlich der Mode, passen.“

Dinge zu konstruieren, darin sieht sie ihre Aufgabe. „Zwar habe ich viele Techniken von meiner Oma gelernt, aber ich entwickle sie weiter“, sagt sie. Inspirieren lässt sie sich von vielem, zum Beispiel von Fliesen. Ihr Instagram-Profil ist voll mit Fotos von hübschen Fliesen, wie es sie in Wiener Stiegenhäusern oft gibt. Manchmal dient auch ein Gemälde als Vorlage. So zum Beispiel Klimts „Junius“, das im Kunsthistorischen Museum hängt und das Profil einer Frau mit Kopfschmuck zeigt. Alles, was sie formt, nennt Hoetsch ,Twist‘ – den geschlungenen Kopfschmuck aus Draht, besetzt mit Strass oder Perlen, die sie klebt, wickelt, fixiert. Das braucht viel Zeit und hat seinen Preis.


Geduld mit der Braut. „Meinen Stolz ziehe ich nicht daraus, dass ich teure Sachen verkaufe, sondern die Sachen sind so teuer, weil ich zwei Wochen daran arbeite“, sagt die Designerin. Daraus reifte die Entscheidung, aus den Stücken eine Prêt-à-porter-Kollektion zu machen, für die sie mit einer Werkstatt in Brasilien kooperiert. Im Herbst gibt es die ersten Stücke.

Mit Bräuten zu arbeiten, müsse einem liegen. Dazu braucht es Leidenschaft und Geduld. Dennoch sieht Niely Hoetsch ihr Geschäft nicht als Brautsalon. Es gibt keine Öffnungszeiten, die Bräute vereinbaren einen Termin. Vieles ist individuell und maßgeschneidert. Zwar gebe es auch entschlossene Bräute, denen gleich alles passt, aber meist sei es ein langer Prozess. Zuletzt hat sie eine Braut insgesamt 15 Stunden lang betreut. „Sie ist eine gute Freundin geworden. Sie heiratet standesamtlich in New York und kirchlich in der Steiermark. Dafür hat sie zwei Kleider, einen Kopfschmuck für New York und zwei für die Steiermark.“

Apropos: Als Hoetsch vor zwei Jahren die Goldreifen zu den Dirndln von Theresa Hirtzberger designte, beschäftigte sie sich mit Goldhauben und lernte: Wenn man nicht verheiratet ist, trägt man eine Mädchenhaube. Bei der Hochzeit entfernt sie die Schwiegermutter und setzt der Braut die Frauenhaube auf.

„Ich dachte mir: Das ist schon schön!“, sagt Hoetsch und erklärt strahlend: „Ich bin keine Konservative, aber ich liebe Tradition, weil sie immer einen Input für die Modernisierung der Zeit gibt.“ Da kommt dann doch wieder ein bisschen die Politikwissenschaftlerin durch.

Goldborten & Stierkampf

Die Preise für den Kopfschmuck von Niely Hoetsch beginnen bei 280 Euro, wobei sich der Durchschnittsgeschmack der österreichischen Bräute in ihrem Geschäft zwischen 360 und 590 Euro bewegt. Goldreifen kommen auf 480 bis 740 Euro. Material. Der Preis hängt vom Material ab, die Spitzenborten sind mitunter teuer. Die meisten kauft Hoetsch in Portugal oder Spanien. Die Designerin verrät ein Detail, für sie ein zweischneidiges Schwert: So lange es noch Stierkämpfer gibt, gibt es Leute, die Torero-Bekleidung mit den Borten machen, mittlerweile nur noch eine Handvoll Schneidermeister.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2017)

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