Kupferdruck aus Dürers Zeit

„Die Presse ist noch nicht alt – nur aus den Vierzigern“, sagt Wolfgang Schön.
„Die Presse ist noch nicht alt – nur aus den Vierzigern“, sagt Wolfgang Schön.(c) Katharina Fröschl-Roßboth
  • Drucken

In Wolfgang Schöns Atelier versinkt man in der Vergangenheit. Hier schlägt das Fax das Mail und der Druck von der handgestochenen Kupferstichplatte die vollautomatisierte Maschine.

Eberhard Schön hat sein Kupferdruckeratelier noch nicht verlassen. An der Tür mit der Hausnummer 4 in der engen Naglergasse steht sein Name – gleich über den gewöhnungsbedürftigen Öffnungszeiten: Von 5:30 bis 15:00 wird Kundschaft empfangen, freitags bis 11:30. „Der Vater war über 60 Jahre in der Firma, den Namen abzunehmen, bring' ich nicht zusammen“, sagt sein Sohn und Nachfolger Wolfgang Schön. Er zeigt über die alte Werkstatt mit den dünnen Doppelfenstern und den von vielen Arbeitsjahren abgenutzten Möbeln hinweg auf die Parte: Eberhard Schön, gestorben 2006.

Vor den Fenstern schimmern die goldenen Logos von Prada und Louis Vuitton durch das Sommergewitter. „Irgendwie gemütlicher war es früher“, sagt Wolfgang Schön. Da hätten die Fenster, die sommers die drückende Stadthitze und winters Temperaturen nahe Null hereinlassen, noch auf die Banken, Antiquitätenhändler und Handwerksbetriebe der Bognergasse hinausgesehen. Heute blickt einem das unnahbare Goldene Quartier entgegen.


Die Zeit steht still.
Einen größeren Kontrast zwischen dem Luxus vor dem Fenster und der Kunst, die hier im Mezzanin betrieben wird, könnte man sich schwer vorstellen. Wie zu Albrecht Dürers Zeiten fertigt Schön Visiten- und Postkarten, Briefkuverts und kolorierte Miniaturen Stück für Stück in handgedrucktem Kupferstich an. Als jüngst die Innung bei ihm vorbeischaute, staunten sogar manche Mitglieder, wie frei von jeglicher Automatisierung Tiefdruck heute noch vor sich gehen kann. Schöns jüngste Handpressen sind aus den 1940er- und 50er-Jahren. „Noch nicht so alt“, konstatiert er. Auch er selbst sei „nur“ 43 Jahre im Betrieb, der 1922 von Großonkel Josef Lamser gegründet wurde. Zeit wird hier in großzügigen Einheiten gemessen.

Die Branche hielt ihren Umsatz mit 1,7 Mrd. Euro jüngst zwar konstant hoch, das Personal schmilzt bei gleicher Leistung aber jährlich dahin. Da ist eine Werkstatt wie die von Wolfgang Schön ein kleines gallisches Dorf. Man sollte ihn vielleicht unter Artenschutz stellen, merkt er an.

Anders als bei Prada ist Schöns Luxus einer, der im Verborgenen blüht – schon weil der Meister auf alle technologischen Hilfsmittel außer Telefon, Fax, Licht und Gas verzichtet. Seine Kunden bräuchten keine Homepage, die kämen sowieso selbst vorbei, um die Schriftmuster auszusuchen. Oder manchmal auch einfach nur zum Plaudern.

Die Kundschaft, das seien „Menschen mit Kulturbewusstsein“. Früher zählte dazu die gesamte erste Riege der österreichischen Innenpolitik, erzählt Schön und schlägt einen dicken Band mit gesammelten Visitenkarten auf. Zu jedem weiß der 59-Jährige im dunkelgrauen Arbeitskittel eine Anekdote. Da ist das Briefpapier von Bruno Kreisky, der im Ministerrat einst allen anderen den Kupferstich ans Herz gelegt habe. Da liege die Visitenkarte von SPÖ-Politiker Leopold Gratz – „der über seinen Freund, den Udo Proksch und den Club 45 gestolpert ist“. Und da gleich daneben, die Karte von Kurt Waldheim, den Gratz einige Jahre zuvor in der „Waldheim-Affäre“ scharf angegangen war. Feinsäuberlich liegen daneben die von Vranitzky, Mock und Haider – verschiedene Lager, aber alle Kunden der Schöns.

Früher, da sei ein nobler Herr danach beurteilt worden, ob seine Visitenkarte hinten glatt war. Das war das eindeutige Zeichen, dass es sich nicht um eine billige Prägung, sondern um echten Kupferdruck handelte, der nur das typische Relief auf der Vorderseite hinterlässt. Aber heute sei das anders, da seien auch schon die Prägewerkstätten eine Rarität. Und handgedruckte Visitenkarten gehören für Österreichs Politiker auch nicht mehr notgedrungen zum guten Ton, weshalb die Aufträge aus dieser Richtung irgendwann versiegten. 150 Euro (plus 20 Prozent Mehrwertsteuer) verlangt Wolfgang Schön für 100 handgedruckte Visitenkarten. Dazu kommen acht Euro für die einmalige Anschaffung der blanken Kupferplatte und drei bis fünf Euro für jeden gestochenen Buchstaben.

Wenn man die Werkschritte beobachtet, erklärt sich der Preis. Mit einem Pantographen ritzt Schön die spiegelverkehrte Schrift auf die mit einer dünnen Asphaltschicht bestrichene Platte. Anschließend ätzt er die Vertiefungen mit einem Tropfen Eisen-III-Chlorid aus und sticht die Buchstaben mit Spezialwerkzeugen aus. Dann ist aber erst die Blaupause für die Karte fertig.


Alles wieder von Anfang.
Danach wird die Farbe am Arbeitsrost erhitzt – Schön nimmt ein leuchtendes Dunkelgrau – und mit einem Buchsbaumspachtel in die Vertiefung gefüllt. Sorgsam poliert er das Kupfer, bis die Farbe wirklich nur mehr in den Löchern steht. Sonst wäre das weiße Büttenpapier später nicht nur an den gewünschten Stellen grau. Und dann wird gedruckt, manuell natürlich. Bei jeder Visitenkarte wiederholt sich das Prozedere, keine gleicht ganz der anderen.

Man kann sich den Aufwand vorstellen, der anfiel, als früher Politiker, Künstler und Unternehmenschefs 200 bis 300 Stück in Auftrag gaben. Heute kaufen hauptsächlich Private bei Schön ein. Da geht es oft um kleinere Mengen und auch das Aufgedruckte ist reduzierter als früher. Die Meisten wollen nur ihren Namen auf der Karte stehen haben und anschließend je nach Gesprächspartner selbst weitere Details vermerken. Die Zeiten, wo man leutselig auf wenigen Zentimetern Beruf- und Privatkontakt kommunizierte, sind vorbei. Im Fall einer bei Schön in Auftrag gegebenen Karte kommt die Anonymität sogar praktischerweise günstiger, da weniger Lettern verrechnet werden.

Schön selbst kennt die Adressen seiner Kundschaft – und hat es sich in Wien zur Angewohnheit gemacht, die Drucke, eingeschlagen in Seidenpapier, selbst zu liefern. Das sei Teil des Service – und es erklärt, warum in der Naglergasse um 15 Uhr Schluss sein muss.

Das Atelier

Wo. Wolfgang Schöns „Kunstanstalt für Kupferdruck“ liegt im Mezzanin der Naglergasse Nr. 4.

Wie. Eine Homepage gibt es nicht. Dafür kann man Schön gut per Telefon (01 533 42 63) oder Fax (selbe Durchwahl) erreichen.

Wann. Oder man kommt direkt vorbei. Frühaufsteher haben es hier leichter. Die Öffnungszeiten sind:

Mo-Do: 5:30-15:00

Fr: 5:30-11:30

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.