Der deutsche Multi kommt beim radikalen Stellenabbau in der Kraftwerkssparte um betriebsbedingte Kündigungen nicht herum.
München. Nichts scheuen deutsche Konzerne mehr als betriebsbedingte Kündigungen – wissen sie doch, dass das bei den Gewerkschaften ein rotes Tuch ist. Genau darum dürfte Siemens nun nicht herumkommen: Es geht um die schwächelnde Kraftwerkssparte (Power & Gas), in der Konzernchef Joe Kaeser den Rotstift ansetzt. Es geht nicht um ein paar Stellen – Insidern zufolge sind in Deutschland 3000 bis 4000 der 8000 Arbeitsplätze in der Produktion in Gefahr, darunter auch ganze Standorte, vor allem in den östlichen Bundesländern. Für einen heftigen Schlagabtausch mit den Arbeitgebervertretern ist daher gesorgt.
Noch hat die Sparte, in der Siemens vor allem große Gas- und Dampfturbinen für fossile Kraftwerke baut, Aufträge im Wert von fast 40 Mrd. Euro. Doch der Weltmarkt schrumpft angesichts des Trends zur dezentralen Energieversorgung und der Energiewende dramatisch. Wurden 2011 250 große Gasturbinen mit mehr als 100 Megawatt Leistung verkauft, sind es heuer nur rund 120. Bis 2020 wird sich der Markt auf 110 Turbinen pro Jahr einpendeln, glaubt Siemens. Allein in den ersten neun Monaten des Geschäftsjahres 2016/17, dessen Zahlen Kaeser am Donnerstag präsentiert, gingen die Orders um 40 Prozent zurück.
Die Misere trifft nicht nur Siemens. Rivale General Electric, bei Turbinen doppelt so groß, bekam den Preiskampf mit Siemens und der japanischen Mitsubishi in Form eines „fürchterlichen Quartals“ zu spüren, wie Konzernchef John Flannery betonte. Die Weltmarktpreise für Turbinen sind um 30 Prozent gesunken.
Perspektive statt Rendite
Kaeser, von dem am Donnerstag Details zu den Restrukturierungsplänen erwartet werden, war bisher beim Konzernumbau nicht zimperlich. Jetzt allerdings will das Siemens-Management bei den Verhandlungen über den massiven Stellenabbau auf die Arbeitnehmer zugehen, heißt es. Siemens sei zu Abstrichen bei der Rendite bereit, sagte ein hochrangiger Manager. „Vielleicht muss man einen Prozentpunkt Marge aufgeben, wenn man den Leuten dafür eine Perspektive geben kann.“ Es gehe um einen solidarischen Ausgleich der Interessen von Aktionären und Belegschaft.
Um betriebsbedingte Kündigungen werde man aber nicht herumkommen. Denn: „Es geht um nennenswerte Kapazitätsanpassungen, um große Einschnitte“, sagte der Insider.
Die Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern sollen in der zweiten Novemberhälfte beginnen. Die Gewerkschaft IG Metall hat bereits Widerstand gegen die Pläne angemeldet. Sie pocht auf einst getroffene Absprachen über Standortgarantien und den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen. Diese sind nur möglich, wenn IG Metall und Betriebsrat zustimmen.
Die Siemens-Aktie verhält sich vorerst neutral und hat sich am Mittwoch kaum bewegt. Vom Allzeithoch vom 26. April dieses Jahres mit 133 Euro ist das Papier nach einem Absturz im August auf unter 110 Euro jetzt nur mehr 6,8 Prozent entfernt. (eid/ag.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2017)