Wir brauchen ein Ablaufdatum für das Ablaufdatum

Einkauf im Supermarkt
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Eine Studie zeigt: Lebensmittel halten länger als angegeben. Höchste Zeit, die kalkulierte Wertvernichtung im Supermarkt zu stoppen.

Die Zahlen sind so alarmierend wie bekannt. Im Schnitt wirft jeder EU-Bürger rund 123 Kilogramm Lebensmittel im Jahr weg. Und das, obwohl 80 Prozent der Ware noch bedenkenlos hätten konsumiert werden können, schrieb das Joint Research Centre schon 2015. Schuld an der gigantischen Wertvernichtung ist offenbar ein weit verbreitetes Missverständnis: Denn ein Großteil der Joghurts, Suppen und Konserven wandert sofort in den Müll, sobald das „Mindesthaltbarkeitsdatum“ überschritten wird. Obwohl das Datum nur wenig Auskunft über den tatsächlichen Verfall eines Produkts gibt, sitzt der Wegwerfreflex nach Erreichen des vermeintlichen „Ablaufdatums“ bei vielen Österreichern tief. Ein Missverständnis, das Umwelt und Konto gleichermaßen belastet.

Wie lange „abgelaufene“ Lebensmittel noch genießbar sind, zeigt eine Studie im Auftrag von Greenpeace. Vier Monate lang testet das Labor der Lebensmittelversuchsanstalt alle zwei Wochen, ob Produkte mit überschrittenem Mindesthaltbarkeitsdatum verdorben sind. Die ersten Ergebnisse überraschen wenig: Eier, Käse, Joghurt, Tofu, Gebäck und Salami waren zwei Wochen nach dem „Ablaufdatum“ noch in einwandfreiem Zustand. Einzig der vegane Brotaufstrich musste tatsächlich entsorgt werden.

Schon im Vorjahr starteten Länder wie Deutschland oder Österreich eine Initiative, um das irreführende Mindesthaltbarkeitsdatum in der EU abzuschaffen. Tatsächlich wäre das Problem leicht gelöst: Bei leicht verderblichen Lebensmitteln könnte das Mindesthaltbarkeitsdatum durch ein „Verbrauchsdatum“ ersetzt werden, wie es heute schon bei abgepacktem Fleisch der Fall ist. Lebensmittel wie Reis oder Nudeln kämen wohl mit dem Produktions- und Verpackungsdatum aus. Wer taufrische Ware kaufen will, kann das damit weiter tun. Der subtile Druck, Lebensmittel vorschnell zu entsorgen, wäre jedoch verschwunden.

Handel und Konsumentenschützer laufen gegen die Pläne Sturm. Die Konsumenten wären überfordert, argumentieren die Verbraucherschützer. Es gibt guten Grund, das zu bezweifeln. So war in Österreich bis zum EU-Beitritt 1995 auf vielen Lebensmitteln nur das Herstellungsdatum aufgedruckt, und die Menschen stellten sich der Herausforderung bravourös. Bei frischem Obst, Gemüse, Backwaren, Essig, Salz, Zucker oder Öl gibt es noch heute kein verpflichtendes Mindesthaltbarkeitsdatum, und die Kunden greifen trotzdem kaum daneben.

Als Zwischenschritt könnten wenigstens ältere Lebensmittel aus Supermärkten sinnvoll verwertet werden. Derzeit gibt der heimische Handel von 500.000 Tonnen brauchbarer, aber „abgelaufener“ Produkte nur 11.000 Tonnen an soziale Einrichtungen weiter. Ist die Sorge zu groß, sich mit zu viel Freigiebigkeit das Geschäft zu vermiesen? In Kopenhagen haben Unternehmer den Wert der ausrangierten Ware erkannt. Seit heuer verkauft der Supermarkt Wefood nur Lebensmittel, die andere Geschäfte aussortiert haben, zur Hälfte des Originalpreises. Das Konzept funktioniert: Binnen weniger Monate mussten die Macher einen zweiten Supermarkt eröffnen.

matthias.auer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2017)

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