Weltkriegsschau "An meine Völker": Kinder, zeichnet eine Exekution!

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Menschen aus der ganzen Monarchie sandten ab 1914 Alltagsdokumente an die k.k. Hofbibliothek: Jetzt zeigt die Nationalbibliothek die raren Zeugnisse.

Ein Schüler schreibt einen Aufsatz darüber, „wie er die Engländer besiegen würde“; andere kriegen als Zeichenthema Verräter, die gerade exekutiert werden. „Meine lieben Schüler“, beginnt der Brief eines Lehrers, der bemüht lustig von seinen Fronterlebnissen erzählt; ein Plakat für die „lieben Kinder“ lässt auch der Kriegsminister aufhängen. Und passend zum Krieg gibt es Granatenpuzzles zu kaufen.

Splitter dieser Art aus dem Alltag der Zivilbevölkerung im Ersten Weltkrieg werden seit heute, Donnerstag, im Prunksaal der Nationalbibliothek in historischen Dokumenten präsentiert. Diese gehören zu einer lange unbeachteten Sammlung, die so nicht existieren würde, wäre Österreich am Anfang des Krieges nicht überzeugt vom baldigen Sieg gewesen.

Für die Welt nach dem Sieg

Einen glorreichen Krieg wollte die k.k. Hofbibliothek 1914 von Anfang an für die Nachwelt dokumentieren. Also appellierte sie an die Zivilbevölkerung, bald auch an die Soldaten, ihr zu schicken, was österreichischen Helden- und Opfermut, Begeisterung und Alltag in Kriegszeiten dokumentieren konnte: Dinge, Texte, Zeichnungen, Plakate, Eintrittskarten... Mit „enormem Rücklauf“, wie Direktorin Johanna Rachinger erzählt. Doch nach dem Krieg wollte man diese Zeugnisse des vierjährigen Schreckens lieber vergessen. Jetzt, 100 Jahre danach, sind sie Gegenstand der Ausstellung „An meine Völker“. Zur denkwürdigen Geschichtsstunde wird sie vor allem dank dem von Kurator und Historiker Manfried Rauchensteiner herausgegebenen Katalog, der ausführlich und hochinteressant die Exponate vorstellt und ihre Hintergründe erläutert.

Kriegskarten sind ein Thema. Da soll etwa eine satirische Europakarte aus England, „ohne die gnädige Erlaubnis des englischen Vetters von einem deutschen Drucker nachgedruckt“, die „Perfidität Albions“ kommentieren. Sie zeigt auf der Halbinsel einen Briten mit gezogenem Schwert Richtung Europa eilen; darunter die Aufschrift „Business as usual“. Eine andere Karte zeigt Deutschland als Dachshund, Österreich als Mischling, Frankreich als Pudel ...

Um je eine Krone gab es ein „Kriegsrätsel“ mit den Fragen „Wer begann den Krieg?“, „Wer gewinnt den Krieg?“ zu kaufen, ein Buchstabenspiel, für dessen Auflösung man 2500 Kronen gewinnen konnte. Plakate gibt es zu sehen, auf denen dazu aufgerufen wird, Maikäfer als Tierfutter zu sammeln oder Brennnesselstängel für Textilien. Aber auch unbeschriebene Blätter können Bände sprechen – etwa wenn Zeitungen mit weißen Spalten zu sehen sind: der im Kriegsalltag einzige sichtbare Ausdruck der täglich waltenden Zensur.

„Schmerzerfüllt“ verkündet Erzherzog Friedrich 1915, dass das k. und k. Infanterieregiment Nr. 28 „für ewige Zeiten aus der Liste der österreichischen Regimenter gestrichen“ werde, weil es sich „ohne die Feuerwaffe gebraucht zu haben, einem einzigen russischen Bataillon ergeben“ habe. Schmerzerfüllt ruft auf einem anderen Plakat Erzherzog Karl Stephan dazu auf, kriegsblinden Heimkehrern zu helfen: „Ihre Sorge möge schwinden, ihre Tränen trocknen, wenn sie im Kreise ihrer Lieben von jener Sonne sprechen, von jener Sonne wahrer Menschlichkeit, die ihre Tage nach dem Krieg erhellen wird.“ Barmherzigkeit gab es viel, ein Kind zeichnete dazu eine Frau, die einem Soldaten zu trinken gibt. Nur dem „Feind“ gegenüber war das Gefühl ausgeschaltet.

„Parallelen“ zu Krim-Konflikt?

So was verbindet mit dem Heute, immer wieder. Er habe vor drei Jahren nicht geahnt, dass sich Europa bei Eröffnung der Schau wieder „an der Schwelle eines bewaffneten Konfliktes“ finden würde, sagte Manfried Rauchensteiner am Mittwoch: „Man beginnt wohl oder übel, Parallelen zu ziehen.“

Aber die politische Lage auf der Krim ist nicht das Einzige, was einen an die Gegenwart denken lässt. Da ist auch die Tatsache, dass die Schau nur österreichische Exponate zeigt, Symptom des schockierenden Faktums, dass Europa kein gemeinsames Gedenken an den Ersten Weltkrieg gelungen ist; dass vielmehr, wie Rauchensteiner sagt, nicht nur Serbien, sondern auch Länder wie Frankreich und Italien ein „krass nationalistisches Gedenken“ kultivieren.

Bis 2.November im Prunksaal der Nationalbibliothek (Josefsplatz 1).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2014)

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