"Licht ohne Docht?": Als die Gaslaterne die Stadt erhellte

Gaslaterne in Berlin-Kreuzberg.
Gaslaterne in Berlin-Kreuzberg.(c) Imago Stock&People
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Mit dem Siegeszug der Gaslichts beginnt vor 200 Jahren die Industrialisierung der Beleuchtung. Heute verbindet man mit Gaslaternen vor allem Nostalgie.

Am 1. April 1814 werden im Londoner Stadtteil um die St. Margaret's-Kirche die alten Öllampen gegen deutlich hellere und leichter bedienbare Gaslaternen getauscht. Es gilt als der weltweite Beginn der gasbetriebenen Straßenbeleuchtung. Genau genommen wurde zwar schon ein Jahr früher die Londoner Westminster Bridge vom Big Ben zum Südufer der Themse mit Gas beleuchtet. Und bereits 1807 erstrahlte die Prachtstraße Pall Mall im Gaslicht. Dabei handelte es sich jedoch um die Beleuchtung von Prestigeprojekten, nicht von Wohnstraßen. Der weltweite Siegeszug des Gaslichts setzte also nach April 1814 ein - und wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts mit Erfindung der Glühbirne gestoppt.

Natürlich ist die Skepsis zu Beginn groß. "Wollen Sie uns sagen, dass es möglich ist, ein Licht ohne Docht zu haben", fragt ein fassungsloser Abgeordneter des britischen Unterhauses bei einer Anhörung im Jahr 1810. Sicherheitsbedenken überwiegen. Nicht ohne Grund: Die ersten Versuche mit dem Kohlegas führten nicht selten zu Explosionen. Das zehn- bis zwölfmal heller leuchtende Gaslicht beginnt dennoch unaufhaltsam seinen Siegeszug rund um die Welt.

"Beginn der Industrialisierung der Beleuchtung"

In Wien werden vier Jahre später, 1818, die ersten 25 Straßenlaternen in Betrieb genommen: In der Krugerstraße, der Walfischgasse sowie Teilen der Kärntner Straße. Aufgrund von Störungen wird die Anlage wenige Monate später allerdings wieder außer Betrieb genommen. Erst 1845 sind alle Straßen der Inneren Stadt (und die Hauptstraßen der Vorstädte) mit Gas beleuchtet. 1913 sind 45.000 Gaslaternen verzeichnet.

Das Gaslicht stellt laut dem deutschen Historiker Wolfgang Schivelbusch den Beginn "der Industrialisierung der Beleuchtung" dar. Tausende Jahre kamen die Menschen mit Kerzenlicht und Öllampen aus. Doch nun brennt das Licht ohne Docht. Schon bald wird das Gas über beträchtliche Entfernungen durch Rohrleitungen in Fabriken und etwas später auch in Wohnungen geleitet. Die zwei entscheidenden Vorteile liegen auf der Hand: Das Licht ist heller und kann reguliert werden.

Ein neuer Beruf entsteht: Laternenanzünder

Laternenanzünder im Zentrum von Prag.
Laternenanzünder im Zentrum von Prag.(c) Imago Stock&People

Ein neues Berufsbild entsteht: Bei Einbruch der Dunkelheit sieht man die Laternenanzünder ("Bogner") durch die Straßen der Großstädte huschen. Mit Hilfe langer Stangen bzw. auf Leitern stehend entfachen sie Abend für Abend das Gaslicht. Kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs gibt es in Wien über 600 Laternenanzünder. Im Wiener Stadtteil Grinzing gehören die auf Leitern stehenden Bogner bis in die 1930er Jahre zum ganz normalen Stadtbild.

Heute ist der Beruf hingegen nahezu ausgestorben. Aber nicht ganz - in der deutschen Hauptstadt Berlin etwa gibt es noch 40.000 Gaslaternen. Da gilt für die wenigen verbliebenen Laternenanzünder noch immer das Motto: "Leiter raus, rauf auf die Laterne". Allerdings nur, wenn es etwas zu reparieren gibt. Laternenanzünder Peter Herzog weiß laut "Tagesspiegel" so einiges zu berichten: Von Vögeln, die tagsüber in den Gaslaternen nisten und sobald das Licht angeht, sich die Flügel verbrennen. Auch vor Spinnen dürfe man keine Angst haben.

Noch heller: Eine Revolution aus Österreich

1886 gelingt dem österreichischen Chemiker Carl Auer von Welsbach mit seinem Glühstrumpf eine Erfindung, die das Licht deutlich heller macht. Brannte bis dahin das Gas selbst (genau genommen der im Gas enthaltene Kohlenstoff), dient es bei Auers Gasglühlicht als Heizquelle. Der aus Baumwolle bestehende Glühstrumpf wird durch das brennende Gas bis zur Weißglut erhitzt und leuchtet viel heller als das Gas selbst. Hauptvorteil: Es wird wesentlich weniger Gas verbraucht. Nur durch diese Erfindung konnte sich das Gaslicht noch länger gegen die aufkommende Konkurrenz der aber vorerst noch teureren elektrischen Beleuchtung durchsetzen.

Mit der Erfindung der Glühbirne Ende des 19. Jahrhunderts beginnt dennoch unaufhaltsam der Siegeszug der elektrischen Beleuchtung. Bereits 1855 berichtet die Zeitung "Gazette de France" über die ersten elektrischen Bogenlichter in Paris: "Die Spaziergänger, die sich gestern Abend gegen neun Uhr in der Umgebung des Chateau Beaujou aufhielten, wurden plötzlich von einer Lichtquelle überschwemmt, die so hell wie die Sonne war. Tatsächlich hätte man annehmen können, die Sonne sei aufgegangen, und diese Illusion war so wirksam, dass die aus ihrem Schlaf geweckten Vögel in diesem künstlichen Tageslicht zu singen anfingen."

Berliner kämpfen um ihre Gaslaternen

In Wien werden 1902 die ersten sechs elektrischen Bogenlampen installiert. 60 Jahre später, am 27. November 1962, wird in Wien-Hietzing in der Sauraugasse 28 die letzte öffentliche Gaslaterne gelöscht. Ganz im Gegensatz zu Berlin: Dort werden wie erwähnt 40.000 Straßenlaternen gasbetrieben. Noch. Denn die Stadt will bis 2020 deren Abschaffung umsetzen. Wirtschaftliche Begründung: 270 Euro kostet die Pflege einer Gaslaterne pro Jahr - sieben Mal so viel wie die Wartung einer LED-Leuchte. Dagegen wehren sich die Bürger allerdings lautstark. Sie kämpfen vehement für die Erhaltung der "Gaslichtkieze", also Viertel, deren Straßen flächendeckend mit Gaslicht beleuchtet werden.

Inzwischen stellt die Helligkeit auch bei Nacht ein Problem dar. Sternenklare Nächte sind in Großstädten zu einer Seltenheit geworden. "Viele Kinder wachsen heute auf und können nicht mehr die Milchstraße sehen", sagt Bob Mizon von der britischen Vereinigung Darksky. Aber nicht nur das, die Auswirkungen sind umfassender: Lichtverschmutzung verhindert neuesten Erkenntnissen zufolge die Regeneration der Regenwälder.

>>> Bericht über Lichtverschmutzung/Regenwälder

>>> Bericht über Berliner Gaslaternen-Kampf

>>> Tagesspiegel-Bericht über Laternenanzünder

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