Heute vor ... im April: Was soll der Mittelstand noch alles ertragen?

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Vor 100 Jahren: Die Preise steigen, die Steuern lasten, der Mittelstand stöhnt.

Heute vor 100 Jahren: Der Balkan - absolut kein Grund zur Besorgnis

Neue Freie Presse am 30.4.1914

Unser Verhältnis zu den einzelnen Balkanstaaten ist von größtem Wohlwollen für die freie und selbständige Entwicklung dieser uns unmittelbar benachbarten Staatswesen beseelt, und wir wollen der Hoffnung Raum geben, dass die friedliche Regenerierungsarbeit, welcher sie sich nun nach dem blutigen und verlustreichen Kriege der jüngeren Vergangenheit hingeben wollen, der weiteren Ausgestaltung unserer Beziehungen zu denselben förderlich sein werde. Serbien hat sich überzeugen können, dass wir seiner Entfaltung weitgehendes Entgegenkommen bezeigen. So hat das nüchterne Urteil die Oberhand gewonnen, dass die Monarchie in einer Epoche allgemeinen Umsturzes im nahen Oriente, hart an unseren Toren, als stark konservativer Machtfaktor, als Element der Ordnung und Ruhe, als Bollwerk des Friedens aufgetreten ist.

Heute vor 100 Jahren: Was soll der Mittelstand noch alles ertragen?

Die Preise steigen, die Steuern lasten, der Mittelstand stöhnt.

Neue Freie Presse am 29.4.1914

Auf dem Mittelstande liegt ja alles. Er zahlt alle Steuern, direkte und indirekte, er opfert einen großen Teil seines Einkommens der Allgemeinheit, er zahlt die Steuer des Hausbesitzers, er leistet beim Einkauf jedes Nahrungsmittels seine Abgabe an den Staat, auf ihn wird alles überwälzt, jeder schiebt ihm seine Last zu, und wenn das Parlament beschließt, dass irgendeine Steuer um einen Heller hinaufgesetzt werde, so zahlt der Mittelstand diesen Heller: der Mittelstand, das Karnickel, wird schon blechen. So ist es denn so weit gekommen, dass der Gehalt eines Majors, eines Bezirksrichters in Wien kaum mehr dazu ausreicht, das nackte Leben zu fristen, dass der kleine Kaufmann ein menschenwürdiges Dasein fast nicht mehr zu führen imstande ist.

Heute vor 150 Jahren: Merkwürdige Mode bei den Taufnamen

Wie kommt das Kind zu seinem Vornamen?

Die Presse am 28.4. 1864

Die Mode ist eine Allerweltstyrannin; sie beherrscht das Leben von der Wiege bis zum Grabe, sie ziert unser Taufkissen und schmückt den Sarg. Schon bei dem Säugling vertritt sie die Patenstelle und gibt ihm in seinem Vornamen ein Angebinde, oft weniger charakteristisch für ihn, als für den Geschmack seines Zeitalters. Oder sind nicht auch die Taufnamen der Mode unterworfen, so gut wie die Kleidertrachten und die Grabschriften? Vater und Mutter wählen unter den tausend und abertausend Möglichkeiten hin und her; auch die würdigen Großeltern, Tanten und Muhmen erlauben sich ein Wörtlein dreinzureden; die Gründe für und wider werden reiflich erwogen; Wohlklang und Missklang, Ton- und Silbenfall sorgsam geprüft, und wurde endlich die allein richtige Onomatopoesie festgestellt, so ist dann das betreffende Menschenkind zu seinem Namen gekommen, es weiß nicht wie.

Heute vor 100 Jahren: Blamage für Österreichs Aviatik

Rundflug durch "Österreich-Ungarn" - Herausforderung nicht bestanden

Neue Freie Presse am 27.4.1914

Der Rundflug, der gestern beendet worden ist, hat ein Ergebnis gezeitigt, das leider kein günstiges Licht auf das Flugwesen in Österreich-Ungarn wirft. Von sieben Fliegern, die gestartet sind, haben nur zwei die ganze Strecke, die 1158 Kilometer Luftweg betrug, zur Gänze zurückzulegen vermocht, obwohl die Witterungsverhältnisse keineswegs abnormale waren. Zwei weitere Teilnehmer haben je zwei von den drei Etappen absolviert, die übrigen drei sind durch Sturz ausgeschieden, wobei einer den Tod gefunden hat. Was in den Fachkreisen längst bekannt war, ist nun aller Welt offenbar geworden: dass unser Zivilflugwesen hinter dem der anderen Großstaaten nicht unbeträchtlich zurücksteht. Der Grund ist wohl im Mangel an industrieller Konkurrenztätigkeit im Bau von Flugmaschinen zu suchen, schließlich haben wir in Österreich-Ungarn nur zwei größere Aeroplanfabriken.

Heute vor 100 Jahren: Wiens Bürger zurück vom Osterurlaub

Feuilletonistische Bummelei in der City.

Neue Freie Presse am 26.4.1914

Der Osterurlaub wird ja meist ohne Berechtigung genommen, und das ist natürlich das beste daran. Ein richtiger Urlaub ist es eigentlich nur dann, wenn die anderen fleißig arbeiten. Aber schließlich muss man doch wieder zurückkehren und seinen Geschäften und Pflichten nachgehen, namentlich zwischen zwölf und zwei, während der Korsoamtsstunden. Im Bummelschritt biegt man um die Stock-im-Eisen-Ecke und meldet seine Rückkehr pflichtschuldigst beim Grabenrapport. Nun muss man eine Stunde lang ein ambulantes Informationsbureau etablieren und ganz genau Auskunft erteilen, über wo und wie lange, über die Gesellschaft und die Temperatur im Schatten, ob es dort schöne Frauen gegeben hat und ob die Jause im Pensionspreis mitinbegriffen war. Dann wird man besichtigt und begutachtet, mit verschiedenen dunkelfarbigen Rassen verglichen, wobei immer jemand die überflüssige Bemerkung macht, dass man jetzt mindestens um zehn Jahre jünger aussehe. Die haben leicht reden, sie ahnen überhaupt nicht, wie schwer man sich das bisschen Teint und Osterjugend erworben hat.

Heute vor 100 Jahren: Skandalkonzert des italienischen Futuristen Marinetti

"Geräuschmusik" - wenig Verständnis bei Publikum und Zeitung.

Neue Freie Presse am 25.4.1914

Etwa 2000 Personen waren gestern abend trotz der hohen Eintrittspreise den Lockrufen Marinettis und seiner Jünger ins Theater Dal Verme in Mailand gefolgt. Der Theaterzettel versprach die Vorführung der "Kunst des Lärmes". Als Kapellmeister trat der Maler Russolo auf. Bei einer Kunstrichtung, wie sie Marinetti vertritt, fiel dies auch nicht weiter auf. Im Gegenteil, das Publikum war von vornherein so sehr von der Richtigkeit der neuen Kunstgrundsätze überzeugt, dass es sich auf eine kräftige Mitwirkung vorbereitet hatte. Getreu nach dem Motto des Programms: "Die Kunst, Lärm zu machen", hatte es sich mit einer reichen Auswahl der geeigneten Instrumente, wie Kindertrompeten, Blechtrichter, Automobilhupen usw. versehen, die an künstlerischer Wirkung das Orchester Marinettis noch weit übertrafen. Merkwürdigerweise war aber der Apostel durchaus nicht befriedigt von der Mitwirkung einer so zahlreichen Jüngerschaft.... Der Höllenlärm war auf keinen Fall noch steigerungsfähig. Als endlich der Vorhang fiel, trat Marinetti vor, aber nicht um dem Publikum für die gütige Mitwirkung zu danken. Leider gingen auch seine Worte im allgemeinen Tohuwabohu unter. Nur der außergewöhnlichen Kraft seiner Lungen ist es zu danken, wenn ab und zu Schmeichelworte wie "Esel!", "Rindsköpfe!", "Ich bin nicht verrückt, aber ihr gehört ins Tollhaus!" usw. an unsere Ohren drangen.

Heute vor 100 Jahren: Österreichischer Schlendrian bei der k.k. Staatsbahn

Neue Freie Presse am 24.4. 1914

Die Züge sind nicht sauber genug - eine Zuschrift Im Expresszug von Paris nach Wien reisend wollte ich mich nach Passierung der zahlreichen Arlbergtunnels mit ihrem starken Rauch im Toiletteraum waschen. Es war ein Waschbecken da, aber kein Wasser, ein Kästchen mit der Aufschrift "Handtuch", aber nichts darin, ein Behälter mit der Aufschrift "Seife", aber leer, und schließlich auch noch eine Papierrolle, aber ohne Papier. Es war ein Wagen der k.k. Staatsbahnen mit der Nummer 1749. So lange man nichts zur Bequemlichkeit der Reisenden tut, ist alle Fremdenverkehrspropaganda zwecklos. Wer in anderen Ländern namentlich in Deutschland, Skandinavenien und der Schweiz gereist ist, dem fällt der österreichische Schlendrian immer höchst unangenehm auf.

Heute vor 100 Jahren: Marianne Hainisch kämpft für die Rechte der Frauen

Innovative Propaganda der Frauenrechtlerinnen im Kaufhaus.

Neue Freie Presse am 23.4.1914

Der Bund österreichischer Frauenvereine veranstaltet am 24. April einen eigenartigen Propagandatag. Seine Vorsitzende, die Führerin der österreichischen Frauen, Marianne Hainisch, wird, umgeben von den anderen führenden Frauen Wiens, während des ganzen Tages im Erfrischungsraum des Warenhauses Gerngross empfangen, um Auskünfte über die Internationale Frauentagung zu geben, die im Mai in Wien stattfinden wird. Da auch Konferenzen über dieses Thema abgehalten werden und die Firma Gerngross einen Teil des Erlöses dem Fonds widmet, aus dem die KOsten der Internationalen Frauentagung bestritten werden, ist zu erwarten, dass alle fortschrittlichen Frauen Wiens sich an diesem Propagandatag beteiligen werden.

Heute vor 100 Jahren: Besuch des englischen Königspaares in Paris

Politische Spekulationen über ein engeres Bündnis zwischen Frankreich und England.

Neue Freie Presse am 22.4.1914

Das englische Königspaar ist heute in Paris eingetroffen und dort mit allen Ehren empfangen worden, die die Republik für solche Besuche bereit hat. Paris versteht, derartige politische Ereignisse mit größtem Glanze zu umgeben. Die Republikaner wissen fremde Monarchen zu feiern, wie kein monarchischer Staat der Welt. König Georg macht seinen ersten Besuch in der französischen Hauptstadt, und an diesen Besuch sind von französischer Seite Hoffnungen geknüpft worden, deren Erfüllung die internationale Politik sehr stark beeinflussen müsste. Man wünscht in Frankreich die Umwandlung der Tripelentente in ein festes Bundesverhältnis zwischen England, Frankreich und Russland. Aber der Gedanke ist schon bei seinem Auftauchen von der öffentlichen Meinung Englands geradezu erstickt worden. England will freie Hand haben. England will keinen Angriffskrieg für die Interessen Frankreichs und Russlands führen.

Heute vor 100 Jahren: Kaiser Franz Joseph arbeitet zu viel

Fast die gesamte Zeitung beschäftigt sich mit dem gesundheitlich angeschlagenen Monarchen.

Neue Freie Presse am 21.4. 1914

Die Bewohner der Monarchie, denen die Nachrichten aus Schönbrunn viel Kummer bereitet haben, sollten dem gescheiten Menschen, der früher aufsteht als die Sonne und zweiundfünfzig Millionen regiert und sich oft mit kaum glaublichen Einzelheiten befasst, die Frage vorlegen, ob das alles notwendig ist. Neben dem Briefe des Herrschers einer Großmacht, neben den Berichten unserer Botschafter und neben den wichtigsten Gesetzesentwürfen liegt auf seinem Schreibtisch das Verzeichnis der Gnadengaben an die Witwe eines kleinen in Armut verstorbenen Postbeamten oder Finanzkommissärs. Diese Arbeit übersteigt die Kraft eines Riesen und ein gescheiter Mensch soll darüber schlüssig werden, ob dieser Drang zur Tätigkeit nicht in bessere Übereinstimmung mit den Rücksichten auf die Gesundheit gebracht werden könnte.

Heute vor 100 Jahren: Katarrh des Kaisers - Österreich bangt

Der Bronchialkatarrh von Kaiser Franz Joseph beschäftigt die Zeitungen.

Neue Freie Presse am 20.4.1914

Der Kaiser leidet an einem Bronchialkatarrh, der sich aus einer Erkältung entwickelt hat, welche er sich beim Empfang des deutschen Kaisers auf dem Penzinger Bahnhof zugezogen hat. Gestern ist zu dem Hustenreiz, der ihm die Nächte vorher die Ruhe und den Schlaf gestört hatte, eine Temperatursteigerung hinzugetreten. Der Kaiser hat in den Wochen, seitdem die Erkältungserscheinungen aufgetreten sind, auch nicht einen Tag lang die Regierunsgeschäfte unterbrochen. Es ist daher zu hoffen, dass die unverwüstliche Konstitution des Kaisers, die bisher alle auftretenden Altersbeschwerden erfolgreich überwunden hat, auch über die Folgen der letzten Erkältung hinweghelfen wird.

Heute vor 100 Jahren: Ein tüchtiger, aber leider kein genialer Burgtheaterdirektor

Keine euphorische Begrüßung des neuen Direktors Hugo Thimig.

Neue Freie Presse am 19.4.1914

Das Burgtheater ist so eine Art Domkuppel für die Deutschösterreicher, und man begreift, dass sie von dem Wunsch beseelt sind, unter der hohen Wölbung den würdigsten aller Hohepriester walten zu sehen. Sie hätten sich eigentlich zusammentun sollen, um dies durchzusetzen, sie hätten die Wahl des Burgtheaterdirektors zu einer nationalen Sache machen sollen. Für das Burgtheater brauchten wir den genialen Mann und fanden nur den tüchtigen. Das ist auch etwas, sogar sehr viel, was wir dankbar anerkennen, und wer von der Voraussetzung ausgeht, dass der Geniale den Karren jedenfalls verfahren hätte, dem ist natürlich der Tüchtige lieber, der ihn leidlich vorwärts bringt. Aber ein Notbehelf bleibt er eben doch, ein faute de mieux.

Heute vor 100 Jahren: Spektakuläre Uhr auf dem Hohen Markt in Wien

Der Bezirksvorsteher des 1. Bezirks hat viel vor.

Neue Freie Presse am 18.4.1914

Die Innere Stadt soll der erste Bezirk werden, aus welchem das Granitpflaster völlig verschwindet. Nach der im Zuge befindlichen Asphaltierung der Lothringerstraße soll nun auch die Seilerstätte asphaltiert werden. In allen Straßen der Inneren Stadt soll geräuschverminderndes Pflaster eingeführt werden. Eines der wichtigsten Projekte ist die Ausgestaltung des Hohen Marktes. Dort soll die schönste Zierde die von Professor Matsch entworfene Aposteluhr auf der Fischhofbrücke werden. Bei jedem Stundenschlag werden die zwölf Apostel unter den feierlichen Klängen eines Chorals vorbeiziehen. Die Elektrische durch die Innere Stadt ist endgültig abgetan. Dagegen werden neue Autobuslinien vorgeschlagen, so eine vom Stephansplatz über die Tuchlauben zur Leopoldstadt, eine zweite soll vom Kohlmarkt am Deutschen Volkstheater vorbei durch die Neustiftgasse oder die Burggasse gehen.

Heute vor 100 Jahren: Den Italienern geht es nicht schlecht in Österreich

Als Südtirol noch bei Österreich war.

Neue Freie Presse am 17.4.1914

Die österreichischen Italiener, die übrigens seit vielen Jahrhunderten zu unserem Lande gehören und an der geschichtlichen Entwicklung des Königreiches Italien kaum jemals teilgenommen haben, sind nicht bloß gleichberechtigte Staatsbürger, sondern haben auch den Vorzug, dass von alters die äußere und die innere Amtssprache in den von ihnen bewohnten Gebieten italienisch ist. Deshalb soll nicht behauptet werden, dass sie nicht unerfüllte berechtigte Forderungen haben, wozu insbesondere die ihnen wahrlich längst gebührende Universität gehört. Allein es geht ihnen dabei nicht schlechter als den übrigen Volksstämmen der Monarchie, die auch nicht alles haben können, was in einem Nationalitätenstaate eben schwerer zu erreichen ist als in einem nationmalen Einheitsstaat. Die Italiener werden noch immer viel schonender behandelt als die Deutschen in Böhmen, die glücklich wären, im Prager Landtag das zu bekommen, was die Italiener im Innsbrucker Landtag durchgesetzt haben.

Heute vor 100 Jahren: Miss Sylvia Pankhurst, berühmte Suffragettenführerin, hält einen Vortrag

In Budapest spricht die Frauenrechtlerin über den Kampf der Suffragetten in England.

Neue Freie Presse am 16.4.1914 

Als die britische Regierung die Hoffnungen der Frauenrechtsbewegung so arg getäuscht hatte, beschlossen die Suffragetten, mit der friedlichen Kampfesweise zu brechen und nunmehr mit energischen Mitteln für ihre Rechte einzutreten. Aber da sollte es ihnen übel ergehen. Überall, wo sie Meetings abhielten und Demonstrationsaufzüge veranstalteten, wurden sie von Polizeiagenten in der unerhörtesten Weise misshandelt und geschlagen. Dann folgten die bekannten schweren Kerkerstrafen. In den Kerkern wurde den Frauenrechtlerinnen eine ganz unbarmherzige Behandlung zuteil. Die Strafen, die ihnen auferlegt wurden, standen nicht im Verhältnis zu den begangenen Verbrechen.

Heute vor 100 Jahren: Wireless - das drahtlose Mädchen für alles

Fortschrittliche Zeitgenossen bedienen sich der drahtlosen Telegraphie.

Neue Freie Presse am 15.4.1914

Die drahtlose Telegraphie beeinflusst schon heute das öffentliche und alltägliche Leben. Der Yankee, der ein- oder zweimal im Jahr von drüben nach Europa fährt, um die Dollars auf amüsante Weise in fünfmal so viel Francs oder viermal so viel Kronen umzusetzen, sieht heute kaum noch ein, wie er früher ohne "Wireless" existieren konnte. Denn wenn er jetzt auf dem Promenadendeck des Riesendampfers seinen Spaziergang macht, so bringt ihm der Steward mit artiger Verbeugung eine drahtlose Depesche, die ihn über die Vorgänge an der New Yorker Börse instruiert, und ein paar rasch hingekritzelte Zeilen, die wieder der Steward für den "Operator" entgegennimmt, retten dem Yankee vielleicht ein Vermögen oder - bringen ihm eines.

Heute vor 100 Jahren: Vorführung eines Loopings auf dem Flugfeld Aspern

Ganz Wien begeistert sich für die Flugvorführungen verwegener Piloten in Aspern.

Neue Freie Presse am 14.4.1914

Zuerst sind es die gewöhnlichen Flüge. Große Kreise um das Flugfeld in mäßiger Höhe, scharfe Wendungen nach auf- und abwärts. Und dann beginnt dieses ungeheuerliche, kaum fassbare Schauspiel. Der Riesenvogel stellt sich auf, ganz senkrecht, so dass er auf dem Schwanz zu stehen scheint, er beugt sich auf die rechte Tragfläche, dann auf die linke, er stürzt mit dem Kopf nach unten, dass man aufschreit. Schob aber wieder schwebt er sanft und leicht einher. Dann kommen Purzelbäume. Ganz einfach wilde, verwegene Purzelbäume in der Luft. Wie ein Junge auf der Wiese hintereinander sechs oder mehr Purzelbäume macht, so der Monoplan. Ein gellender Aufschrei in der Menge.

Heute vor 125 Jahren: Nur Phrasendrescherei im Parlament?

Die Abgeordneten arbeiten fleißig, aber es gibt auch viele leere Kilometer.

Neue Freie Presse am 13.4.1889

Müde und abgespannt treten die Abgeordneten die Osterferien an und kehren in den Kreis ihrer Wähler zurück. Die Mühe der letzten Wochen war sehr groß. Es übersteigt das geistige Leistungsvermögen des Parlaments und des Publikums, wenn dem Haus die Zumutung gestellt wird, täglich sechs bis sieben Stunden zu beraten und oft noch am Abend sich abermals zu versammeln. Solche Kraftleistungen können den Parlamentarismus nicht fördern, und sie verstärken im Volk den Eindruck, dass der österreichische Reichsrat vom Formalismus überwuchert wird und dass die Beratungen über längst entschiedene Dinge nur ein leeres Scheingefecht bilden. Wer die Protokolle überfliegt, wird gewiss eine beträchtliche Menge von unnützen Worten entdecken, und die parlamentarische Mühle erzeugt neben dem vortrefflichen Mehl auch ziemlich viel Kleie und Hülsen. 

Die Presse am 12.4. 1914

Eine weise Staatskunst sollte den russischen Staat davor bewahren, sich aufs neue in die europäischen Händel mit Erweiterungsgedanken nach Westen zu mischen, wie es jetzt den Anschein hat. Man spricht von dem Angriff auf Österreich-Ungarn; die außerrussische panslawische Bewegung schürt und hofft auf Russland. Frankreich ebenso. Doch zu keiner Zeit hatte Russland mehr Ursache zur Ruhe als jetzt. Seine großen Erfolge nach Osten und seine riesenhaften Aufgaben im Inneren müssten es belehren, dass Macht- und Gebietserweiterungen nach Westen ein Anachronismus sind, dass man nicht zu gleicher Zeit einen großen Teil Asiens sich angliedern und West- und Mitteleuropa bedrohen darf.

Heute vor 100 Jahren: Steuerprotest im Kurort Baden

Eindrucksvolle Kundgebung von Wutbürgern im Badner Kursaal.

Neue Freie Presse am 11.4.1914

Zu einer eindrucksvollen Kundgebung gestaltete sich das heutige Massenmeeting der Badner Steuerträger. Lange vor Beginn der Versammlung war der Kursaal dicht besetzt und selbst die Galerie von sehr vielen Frauen überfüllt. In sehr vielen Fällen, speziell aber bei den Gewerbetreibenden, wurde betont, habe eine enorme Erhöhung der Personaleinkommenssteuer für das Jahr 1913 Platz gegriffen. Die Erhöhungen bewegen sich zwischen 50 und 300 Prozent. Diese enormen Steuererhöhungen erscheinen umso ungerechtfertigter, als die Saison 1912/13 zu den schlechtesten gehöre, welche je in Baden herrschte. Baden ist zwar ein reizender Erdenfleck, aber zu nahe bei Wien. Alles geht nach Wien einkaufen. Trotzdem betrugen die Steuererhöhungen für die Gewerbetreibenden 50 bis 200 Prozent. Die Kundgebung solle dazu dienen, dass die Bevölkerung endlich einmal gegen die so unerhörten Steuererhöhungen vorgeht. Auch protestiert die Bürgerschaft dagegen, dass die Steuerbehörde in jedem Steuerträger einen Betrüger im vorhinein sehe.

Heute vor 100 Jahren: Unfälle auf der Straße - schuld sind nicht die Autos

Die Zeitung veröffentlicht eine Unfallstatistik, Kritik an Autos ist unberechtigt.

Neue Freie Presse am 10.4.1914

Von den 2147 Unfällen des Jahres 1912 entfielen auf das Pferdefuhrwerk 887, auf Autos und Motorräder 772, auf die Straßenbahn 488 Unfälle. 1913 verursachten die Autos und Motorräder 750 Unfälle. Also trotz der zweifellos im Jahr 1913 größeren Anzahl von automobilisierten Vehikeln findet man eine wenn auch geringe Verminderung der Unfallziffer, während die Straßenbahn 1913 eine um 48 Prozent höhere Unfallziffer aufweist. Das ist ein sehr erfreuliches Resultat insofern, als es der Achtsamkeit der Kraftwagenlenker ein glänzendes Zeugnis ausstellt. Bekanntlich besteht ja die Absicht, die periodisch alle Jahre vorzunehmende Untersuchung der Autotaxichauffeure durch Ärzte auch auf die große Zahl der Privatautoführer auszudehnen. Die Statistik zeigt aber, dass an keinem der bisherigen Autounfälle körperliche oder geistige Untauglichkeit des Chauffeurs die Schuld war und dass nicht anzunehmen sei, dass die ärztliche Untersuchung irgendwelche Garantien gegen Autounfälle zu bieten vermag.

Heute vor 100 Jahren: Wollen die Ukrainer zu Russland?

Russland betreibt massive Propaganda in der ruthenischen (ukrainischen) Bevölkerung Galiziens.

Neue Freie Presse am 9.4.1914

Der Aufschwung der russophilen Idee in Galizien wurde begünstigte durch den Mangel an Interesse seitens Österreichs für die Vorkommnisse unter den Ruthenen. Die „Altruthenen" sahen sich vereinsamt und suchten einen Gönner. Sie fanden sich in Russland. Die offiziellen Kreise in Petersburg lenkten die Aufmerksamkeit auf Galizien. Reiche Geldquellen wurden den russophilen Agitatoren erschlossen. Doch gar bald zeigte es sich, dass diese aufgebauschte, künstlich durch die aus Russland in Hülle und Fülle strömenden Geldmittel genährte Aktion an einem natürlichen Hindernisse scheitere: an der Unmöglichkeit, die russophile Idee in eine Massenbewegung umzusetzen. Der russische Gedanke drang höchstens zu vereinzelten Individuen vor, fand jedoch gar keine Entwicklungsbasis bei den Volksmassen. „Die nationale Einheit mit Russland" wurde vor tauben Ohren gepredigt.

Heute vor 100 Jahren: Strenge Regeln für Zeitungskolporteure

Wie darf die Zeitung auf der Straße verkauft werden? Und was darf drinnen stehen?

Neue Freie Presse am 8.4.1914

Die Behörde kann die Erlaubnis für den Straßenverkauf und den Hausierhandel gemeinsam oder gesondert erteilen. Der Straßenverkauf der Zeitungen ist täglich von 6 Uhr früh bis 10 Uhr nachts, an Sonntagen bis 12 Uhr nachts feilgeboten werden. Der Verkäufer darf lediglich den Titel und den Preis der Zeitung ausrufen. Die Verordnung enthält weiter Einschränkungen bezüglich der Veröffentlichung behördlicher Akten. Danach wird bestraft, wer ohne Genehmigung der Behörde eine mit Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführte Gerichtsverhandlung publiziert oder Eingaben oder Akten in Disziplinarangelegenheiten, bei Eheanfechtungen, Geburtslegitimierungen, Verlängerung der Minderjährigkeit, Stellung unter Kuratel, Entlassung aus der väterlichen Gewalt, Aufnahme in eine Irrenanstalt oder Entlassung aus derselben, Eingaben an die Jugendgerichte usw. veröffentlicht.

Heute vor 100 Jahren: Das Fiasko des Tango in Wien

Die Tanzsaison ist vorbei, der neue Modetanz - ein Flop.

Neue Freie Presse am 7.4. 1914

Heute, da die Tanzsaison vorbei ist, kann es ruhig herausgesagt werden, dass der Tango in Wien ein fulminantes Fiasko erlebt hat. Merkwürdigerweise aber nur in Wien. In allen anderen Großstädten der Welt wurde dieser argentinische Tanz mit Furor durchgetanzt, aus Berlin, Paris, London hört man nichts von Tangomüdigkeit, sodass man wohl voraussetzen darf, dass er dort den Sommerschlaf überdauern und in der nächsten Saison wieder auftauchen wird. Nur in Wien scheint er endgültig erledigt zu sein, verbannt aus den privaten und öffentlichen Gesellschaften, ausgemerzt aus dem Ballleben, beschränkt auf jene Nachtlokale, die unter der Erde liegen und von goldstrotzenden Portiers behütet werden. Umsichtige Salonlöwen haben die wahren Ursachen des Tangodebakels bald erfasst, und wenn sie Mut hatten, so sagten sie es ganz laut, dass der Tango sich in Wien nicht einbürgern werde, weil - man ihn nicht tanzen könne.

Heute vor 125 Jahren: Der ärgerliche Garderobezwang in der Oper

Nepp im Hofoperntheater, Zuschrift eines verärgerten Lesers.

Neue Freie Presse am 6.4. 1889

Betreffend den für die Besucher der vierten Galerie des Hofoperntheaters eingeführten Garderobezwang, erlaube ich mir die Bemerkung, dass diese Maßregel offenbar lediglich eine fiskalische ist. Wie ich aus langjähriger Erfahrung weiß, hat das Mitbringen der Überkleider, welche meist unter die Sitzbänke geschoben oder auf die Sitzbänke selbst gelegt werden, niemals irgend jemandem aus dem Publikum auch nur zur geringsten Belästigung gereicht. Dagegen kann sich jedermann überzeugen, dass die besprochene Maßregel im gesamten Publikum der vierten Galerie eine immer aufs neue sich äußernde Entrüstung hervorgerufen hat und noch jetzt alltäglich zu unerquicklichen Auseinandersetzungen mit dem streng vorgehenden Dienstpersonal Anlass gibt. Schließlich erlaube ich mir, darauf hinzuweisen, dass die fragliche Maßregel ursprünglich mit der durch Mitbringen der Überkleider angeblich gefährdeten Sicherheit bei Feuersgefahr begründet wurde, welche Motivierung denn doch bei näherer Betrachtung der Sachlage sich als vollkommen hinfällig erweist.

Heute vor 100 Jahren: Kommt Rechtsruck in Frankreich?

Rechtsnationaler Kurs in Frankreich bedeutet Gefährdung des Friedens.

Neue Freie Presse am 5.4.1914

Wenn die Neuwahlen  eine entschieden demokratische Mehrheit ergeben, wird es leichter sein, in Frankreich zu regieren, leichter, aktive innere Politik zu treiben. Erfolgt jedoch eine Verschiebung nach rechts, wie sie schon seit langem im Lande vorbereitet wird, so wird die neue Kammer der Schauplatz unfruchtbarer Kämpfe werden, und die äußere Politik der Republik kann wesentliche Änderungen erfahren, Änderungen, die nicht erfreulich scheinen. Eine feste, ausgesprochen und ehrlich demokratische Regierung in Frankreich pflegt man als eine Bürgschaft für die Erhaltung des Weltfriedens anzusehen. Eine solche Regierung ist nur möglich, wenn die Neuwahlen eine entschieden demokratische Mehrheit bringen. Eine Verschiebung nach rechts in Parlament und Regierung aber würde voraussichtlich die Tendenzen stärken, die gewisse nationale Bestrebungen höher stellen als die Erhaltung des Weltfriedens. Das französische Volk hat die Entscheidung in der Hand.

Vor 100 Jahren: Ostermarkt am Hernalser Kalvarienberg

Nusskipferl und Bamkraxler - Besuch auf dem traditionellen Kirchenplatz.

Neue Freie Presse am 4.4.1914

Das Treiben am Kalvarienberg während der Fastenzeit ist so lebhaft als nur jemals. Die alte Wallfahrtsstätte hat sich ihre Kundschaft zu erhalten gewusst. Schon am Elterleinplatz, wohin man mit der Elektrischen durch die Jörgerstraße gelangt, kann man etliche Jahrmarktsstandeln gewahren. Die Kalvarienberggasse ist für den Wagenverkehr abgesperrt. Wäre auch schwer zu denken, wie und wo sich da durch das Gewühl ein Fuhrwerk Durchlass erzwingen wollte. Die steilansteigende Straße ist von unten bis zum Kirchenplatz hinauf von Buden eingesäumt, zwischen Verkäufern und Käufern schiebt sich die Menge, rote, blaue und violette Luftballons schweben wie Riesentrauben in der Luft. So wird ausgiebig gesorgt, dass es auch in der Fasten- und Bußzeit nicht an Süßigkeiten, Erlustigung und Schnickschnack fehle, und kleinen und großen Kindern wird da zum Kauf geboten, was an Tand und Naschwerk harmlose Gemüter ergötzen kann. Vom Nusskipferl bis zum begehrten Bamkraxler.

Heute vor 125 Jahren: Die Frau als Arzt

Vortrag von Frau Dr. Rosa Kerschbaumer über ärztliche Berufspraxis von Frauen.

Neue Freie Presse am 3.4. 1889

Frau Dr. Kerschbaumer ist eine angenehme und vornehme Erscheinung mit auch nicht einem der Attribute des verrufenen weiblichen Studententums, vielmehr hübsch, modern und elegant gekleidet und höchstens 35 Jahre alt. Sie warf zwei Fragen auf: Ist die weibliche ärztliche Berufsbildung ein Bedürfnis? Und werden die Frauen, wenn sie sich diesem Berufe widmen, den Anforderungen genügen? Beide Fragen bejahte sie bedingungslos. Sie behauptete, dass die Frauen viele krankhafte Zustände nur mit Widerwillen und oft gar nicht dem männlichen Arzt anvertrauen, wodurch unheilbare Krankheiten entstehen. Der weibliche Ärztedienst sei daher eine sittliche und sanitäre Notwendigkeit.  Gegen das Argument, die ärztliche Praxis kollidiere mit den weiblichen Pflichten als Frau und Mutter, machte Frau Dr. Kerschbaumer geltend, dass die große Mehrzahl der weiblichen Ärzte überhaupt nicht heiratet, weil ihnen ihr edler Beruf vollauf genügt, und dass jene, welche Lebensgefährten haben, dieselben in ärztlichen Kreisen fanden, mit denen sie ja hauptsächlich verkehrten. Von einer Verrohung des weiblichen Gemüts durch den ärztlichen Beruf könne keine Rede sein.

Heute vor 30 Jahren: FPÖ-Chef Steger: General ohne Bataillone?

Erstmals an der Regierung: die traditionelle Oppositionspartei FPÖ.

Die Presse am 2.4.1984

Der gesamtösterreichische Anteil der Freiheitlichen sank bei der letzten Wahl von sechs Prozent auf 4,97. Den Auszehrungsprozess dem 40jährigen Parteiobmann Norbert Steger zuzuschreiben, wäre die falsche Fährte. Der Schrumpfungsprozess des national-freiheitlichen Lagers setzte schon bald nach der Sammlung 1949 im „Verband der Unabhängigen" ein und verstärkte sich, als am 17. Oktober 1955 die FPÖ mit betont nationaler Ausrichtung gebildet wurde und die eventuell noch ansprechbaren liberalen Wähler ausschieden. In der derzeitigen Not und Bedrängnis unternahm Steger das an sich Richtige: Er versuchte, neue Wählerschichten zu erschließen, weil abzusehen war, dass man nicht auf Dauer von der immer kleiner werdenden Gruppe nationaler Protestwähler werde leben können. Er zielt auf die Liberalen in Österreich, die man dann selbst mit der Lupe suchen müsste, wüsste man endlich, was man darunter versteht.

Heute vor 100 Jahren: Entrüstung bei Burgtheater-Besuchern

Am Sonntag keine Abendvorstellung - Blamage für publikumsfeindliche Direktion.

Neue Freie Presse am 1.4.1914

Jetzt hat sich das Burgtheater ein Stückchen geleistet, wie es kurioserweise kaum ausgeklügelt werden kann. Sieht man heute den Spielplan der Wiener Theater an, so entdeckt man unter „Burgtheater Sonntag Abend" nichts wie einen Strich. Es wird überhaupt nicht gespielt. Und warum? Weil am Nachmittag „Don Carlos" aufgeführt wird. Weltfern und publikumsfremd, wie die oberste Leitung unserer Hofbühnen ist, scheint sie nicht zu ahnen, dass viele Leute zwar sehr gerne Sonntag ins Burgtheater gehen, aber um halb drei weder Zeit noch Lust dazu haben; scheint nicht zu empfinden, dass man durch solche Gewaltstückchen das Publikum dem Burgtheater entfremdet und entwöhnt, und wäre wahrscheinlich wie aus den Wolken gefallen, erführe sie durch einen Zufall, dass eben der Sonntagabend nach gut bürgerlicher Tradition der Burgtheaterabend des großen, in der Woche arbeitenden Publikums ist.

''Heute vor...''

Mit 1. Jänner 2014 hat DiePresse.com eine neue Serie gestartet. Was bewegte Österreich vor 50, 100 oder 150 Jahren? Unser Archivchef Günther Haller wühlt sich durch die Zeitungen der letzten 165 Jahre und sucht heraus, worüber die Österreicher gelacht oder sich geärgert haben, wann sie Geschichte gemacht haben und wann sie von ihr überrollt wurden.

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