Guillaume-Affäre: Vor 40 Jahren wird der "Knüppel" enttarnt

Bundeskanzler Willy Brandt (re.) und Günter Guillaume
Bundeskanzler Willy Brandt (re.) und Günter Guillaume (c) imago
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Am 24. April 1974 wird der größte Spionageskandal der deutsch-deutschen Geschichte publik: Der DDR-Agent Günter Guillaume wird festgenommen - und Bundeskanzler Willy Brandt tritt zurück.

„Ich bin Bürger der DDR und ihr Offizier - respektieren Sie das!", ruft Günter Guillaume am 24. April 1974 den Beamten entgegen, die kurz nach halb sieben Uhr früh seine Wohnung in Bonn Bad-Godesberg stürmen. Grund für den Aufruhr: Der Geheimdienst hat den Persönlichen Referenten für Parteifragen von Bundeskanzler Willy Brandt und seine Frau Christel als Spione der DDR enttarnt.

Eine „Betriebsnudel" im innersten Kreis

Es ist das Jahr 1956 als „Hansen" und „Heinze", wie die Decknamen des Paares lauten, von der Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR nach Hessen beordert werden - offiziell als Flüchtlinge. Ihr eigentlicher Auftrag: Das Beschaffen von Informationen über die Parteiarbeit der Sozialdemokratischen Partei. In Frankfurt am Main angekommen, eröffnen sie einen Kaffee- und Tabakladen. Ein Jahr später werden sie Mitglieder der SPD. Christel wird Sekretärin in der hessischen Staatskanzlei, ihr Vorgesetzter ist Willy Birkelbach, seines Zeichens Mitglied des Bundestages und Vorsitzender der Sozialistischen Partei im Europa-Parlament.

Christel gelangt an geheime Nato-Papiere und müht sich, auch ihren Mann einzuschleusen - mit Erfolg. Günter wird Sekretär des SPD-Unterbezirks Frankfurt am Main, später Stadtverordneter. „Er war so 'ne Betriebsnudel", habe Protokolle geschrieben und Kaffee gekocht, wird sich später der Sozialdemokrat Armin Clauss in der ARD-Dokumentation der „Kanzlerspion" erinnern. 1969 darf Guillaume den Wahlkampf von Verkehrsminister Georg Leber organisieren - und beweist Talent. Nächste Station: Bundeskanzleramt. 1972 wird Guillaume Persönlicher Referent von Brandt und erhält Zutritt zu den Gesprächsrunden des engsten Kreises. „Einiges geschah damals ohne mein Zutun", wird der Agent später zu Protokoll geben.

Verhängnisvoller Funkspruch

Doch Guillaumes tatsächliche Aufgabe bleibt nicht unbemerkt. Im Mai 1973 fängt der Verfassungsschutz einen Funkspruch ab. „Glückwunsch zum zweiten Mann", heißt es darin. Gemeint ist die Geburt von Pierre, dem einzigen Sohn der Guillaumes. Trotz Spionageverdacht bleibt Günter an Brandts Seite, der Verfassungsschutz will ihn auf frischer Tat ertappen. Gelegenheit dazu soll ein Norwegen-Urlaub des Kanzlers bieten. Guillaume werden Geheimdokumente zwischen Brandt und US-Präsident Richard Nixon regelrecht präsentiert. Eine Weitergabe der Informationen nach Ost-Berlin lässt sich aber nicht beweisen. Trotzdem wird er nach der Rückkehr in Bonn am 24. April 1974 festgenommen - und gesteht. Auch Christel kommt in Haft.

Brandt zieht die Konsequenz aus dem bislang größten Skandal der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte: Er erklärt am 7. Mai 1974 seinen Rücktritt. „Ich hätte nicht zulassen dürfen, dass geheime Papiere durch die Hände des Agenten gegangen sind. Mein Rücktritt geschah aus Respekt vor ungeschriebenen Regeln der Demokratie und auch, um meine persönliche und politische Integrität nicht zerstören zu lassen", gibt er bekannt. Die Guillaumes werden indes vor Gericht gestellt. Der Vorwurf: schwerer Landesverrat. Das Urteil: Eine Freiheitsstrafe von 13 Jahren für Günter, acht für Christel. Aufgrund eines Agententausches im Jahr 1981 müssen sie die Strafen aber nicht vollständig verbüßen.

Brandt: „In Wahrheit war ich kaputt"

Die Guillaume-Affäre dürfte nicht der Grund für den Abgang Brandts gewesen sein - eher der Auslöser. Wie Hermann Schreiber in seinem Buch „Kanzlersturz" schreibt, waren die vom Agenten gelieferten Informationen nämlich nicht allzu sicherheitsrelevant. Als gewichtiger stuft er die Angst der westlichen Regierung vor Erpressung durch die DDR und einer medialen Schmutzkabelkampagne ein. Denn Sicherheitsbeamte sagten im Zuge der Ermittlungen gegen den Spion aus, dass Brandt an Depressionen litt und mit übermäßigen Alkoholkonsum zu kämpfen hatte. Zudem soll Guillaume ihm „Frauen zugeführt" haben.

Der DDR-Spion, der während des Prozesses beharrlich geschwiegen hatte, äußerte sich später nur einmal zu der Causa: „Ich war der Knüppel, mit dem Brandt aus dem Amt getrieben wurde." Der gefallene Kanzler erklärte Jahre nach der Affäre vor laufender Kamera: „In Wahrheit war ich kaputt, aus Gründen, die gar nichts mit dem Vorgang zu tun hatten, um den es damals ging." Endgültige Klarheit dürfte wohl erst der „Unkeler Bestand" aus Brandts Nachlass bringen, der derzeit noch gesperrt ist.

(hell)

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