Die neue Dollfuß-Verfassung „im Namen Gottes“

Engelbert Dollfuß
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Nach dem Rücktritt der Verfassungsrichter konnte 1934 der christlich-soziale Ständestaat proklamiert werden. Wichtiger aber war ein Gesetz, das der Regierung nahezu unbeschränkte Vollmachten einräumte.

Österreich, Ende April 1934: Der christlich-soziale Bundeskanzler Engelbert Dollfuß und sein engster juristischer Berater Sektionschef Robert Hecht haben die neue österreichische Bundesverfassung fertig. Am 1.Mai 1934 soll der Ständestaat feierlich proklamiert werden.

Die Konzeption stammt schon von Karl von Vogelsang, der einen christlichen Ansatz suchte, um den Klassengegensatz zwischen Arbeitgebern und Arbeitern zu überbrücken. Anders als in der heutigen Sozialpartnerschaft sollten einander sogenannte Berufsstände gegenübersitzen. Darin wären beide Seiten vertreten. Dollfuß berief sich dabei auf die Enzyklika „Quadragesimo anno“ Pius' XI.

Dieses Denkmodell war nichts spezifisch Österreichisches: Auch das faschistische Italien sowie die autoritären Regime in Spanien und Portugal sahen darin eine Möglichkeit des Interessenausgleichs.

Hingegen war die Vorgangsweise von Dollfuß einmalig. Nach dem sozialistischen Aufstandsversuch im Februar '34 verbot er nicht nur alle sozialdemokratischen Organisationen, sondern veranlasste auch die regierungsnahen Richter des VfGH, geschlossen zurückzutreten. So gab es keine Berufungsmöglichkeit mehr gegen die neue Maiverfassung.

Dann natürlich war es ein Bruch der Bundesverfassung, ohne Volksabstimmung eine neue zu proklamieren (an ihr hatte auch Otto Ender mitgearbeitet). In diesem christlich-deutschen Ständestaat sollte die Staatsgewalt von berufsständisch organisierten Kammern ausgehen, die Parlament und Parteien ersetzen sollten.

Halbherzige Umsetzung

Freilich wurde vieles, wie in Österreich üblich, nur halb gar gekocht. Wichtiger war nämlich ein Verfassungsgesetz am Tag davor, also vom 30.April: Das übertrug der Regierung diktatorische Vollmachten, wörtlich „insbesondere die Zuständigkeit zur Gesetzgebung des Bundes einschließlich der Verfassungsgesetzgebung“.

Die österreichischen Juden begrüßten die Maiverfassung ganz offiziell. Die Kultusgemeinde hielt einen Festgottesdienst, und ihr Präsident, Desider Friedmann, sagte zur Gemeinde: „Eine Verfassung, die im Namen Gottes verkündet wird, kann nicht gegen uns Juden sein, denn auch wir sind Kinder Gottes.“ Friedmann wurde auch in das neue staatstragende Gremium, den Staatsrat, entsandt, schreibt die Historikerin Evelyn Adunka. Und der Wiener Gemeinderat und Rechtsanwalt Jakob Ehrlich wurde als Rat der Stadt Wien ein Mitglied der Wiener Bürgerschaft, des Nachfolgeorgans des Gemeinderats.

Ein Bund jüdischer Frontsoldaten war schon 1932 gegründet worden. Dessen Mitgliederzahl erreichte bis 1938 die Zahl von rund 24.000 Mitgliedern. Viele von ihnen waren – und blieben – Monarchisten. Denn dieser Trend hielt unter Dollfuß an. Generalmajor Emil von Sommer gründete einen Bund legitimistischer jüdischer Frontkämpfer, dessen Protektorat Erzherzog Otto von Österreich übernahm, der von allen Legitimisten als Thronanwärter betrachtet wurde. Anlässlich des 25.Geburtstages des „Kaisers“ gestaltete man einen Festgottesdienst im Stadttempel, den Rabbiner Moses Rosenmann leitete, der sich als einziger Wiener Rabbiner offen zum Legitimismus bekannte.

Neue Kirchen für die Arbeiter

Dies alles geschah trotz massiver Bemühungen der Regierung, die Arbeiterschaft zurück zu Mutter Kirche zu holen. Der Neubau von katholischen Kirchen in Arbeitervierteln war unübersehbar. Ebenso aber auch die Verfolgung politisch Unliebsamer: Im Jänner 1934 wurde das Anhaltelager Kaisersteinbruch mit der Zuweisung von etwa 70 Häftlingen in Betrieb genommen, der Stand an Angehaltenen betrug Anfang April 629 (516 Nazis, 113 Sozialdemokraten und Kommunisten). Mit 30.April 1934 räumte man dieses Lager, und der Abtransport der sogenannten Angehaltenen nach Wöllersdorf wurde verfügt. (hws)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2014)

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