'Mir scheint, wir werden heut' noch ein paar Kugerln bekommen“'

"Mir scheint, wir werden heut' noch ein paar Kugerln bekommen“"(c) imago stock&people (imago stock&people)
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"Endstation Sarajevo": Die letzte Reise des habsburgischen Thronfolgers Franz Ferdinand, rekonstruiert von Frank Gerbert.

Wir werden es wahrscheinlich nie erfahren, wie sehr es den englischen Kronprinzen Charles aus dem Hause Windsor schmerzt, seinen Thronantritt angesichts der robusten Konstitution seiner regierenden Mutter auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben zu sehen. Wir wissen aber, wie ungeduldig vor hundert Jahren der Thronfolger des Habsburgerreiches auf die Übernahme der Herrschaft von seinem zählebigen Onkel wartete, (auch) er durfte sie nicht erleben, wie wir heute wissen.

Doch das ist schon die einzige Parallele zum englischen Kronprinzen. Während Charles sein Leben lang wie eine gut geölte Maschine PR-Aktivitäten im Dienste des regierenden Hauses absolvierte, hielt der Habsburger Franz Ferdinand nicht viel davon, er legte keinen Wert darauf, beliebt zu sein beim Volk, am Hofe, bei den Zeitungen. Als Thronfolger eines Reiches mit 52 Millionen Einwohnern leistete er sich diesen Luxus. Und wir würden heute wohl keine Biographien über diesen Mann zu lesen bekommen, wenn nicht sein Tod eine ungeheure Katastrophe heraufbeschworen hätte. So kommt es, dass wir jetzt, durch einen Medienhype sondergleichen, alles, was wir so genau vielleicht gar nicht wissen wollten, über diesen Mann erfahren, sogar sein Weltreisetagebuch wird gedruckt, das in der aufschlussreichen Bemerkung mündet: „"Die Eingeborenen machten keinen besonders günstigen Eindruck.“"

Der Thronfolger, nennen wir ihn kurz FF, ist also alles andere als ein Sympathieträger: Er neigt zu cholerischen Wutausbrüchen, nur wenige mögen ihn wegen seiner schroffen Art, er verbringt einen großen Teil seiner freien Zeit damit, wehrlose Tiere niederzuschießen, seine Kunstsammlung zeugt von entsetzlicher Geschmacklosigkeit, in religiösen Dingen zeigt er sich bigott und intolerant. Die Ungeduld kann man ihm nicht verübeln, hinter vorgehaltener Hand flüstert man, dass Franz Joseph bereits etwas senil geworden sei und nicht mehr die Kraft habe für die überfällige strukturelle Reformierung des krachenden multinationalen Riesenreiches. FF hat da seine eigenen Ideen, aber wenig Chance, sie zu Lebzeiten des Kaisers zu realisieren, was manche seiner Wutausbrüche erklären könnte. In die Geschichte eingegangen ist er jedenfalls durch - sein Ableben, die Ereignisse vom 28. Juni 1914 in Sarajewo sind schon tausende Mal erzählt worden.

Der gewiefte deutsche Journalist Frank Gerbert entdeckte eine neue Erzählvariante des bekannten Geschehens für historisch interessierte Leser, die sich nicht 1000 Seiten zumuten und auch noch unterhalten werden wollen. Er macht sich auf eine akribische Detailsuche und reist auf den Spuren Franz Ferdinands mit Eisenbahn und Schiff von Wien nach Sarajewo, hält sich auch an den Zeitplan seines Helden und versucht immer wieder, sich in seine Psyche hineinzuversetzen.

Warum die Warnungen ignoriert?

Obwohl man den Ausgang des Geschehens ja bereits kennt, versteht es der Autor, Spannung aufzubauen: Warum wurden alle Sicherheitsmaßnahmen vernachlässigt? Warum die Warnungen ignoriert? (Franz Ferdinand selbst hatte ja böse Vorahnungen: "Mir scheint, wir werden heut' noch ein paar Kugerln bekommen")

Warum wirkten manche am Hof in Wien geradezu erleichtert über den Tod des Thronfolgers, zumindest fehlte jede Trauer? Da ist er nicht der erste, dem die Tatumstände rund um die tödlichen Schüsse von Gavrilo Princip verdächtig vorkommen. War das Ganze überhaupt eine Falle, hat man gegenüber dem Thronfolger bewusst verschwiegen, dass sich ruchlose Verschwörer entlang der Straßen der bosnischen Hauptstadt versammelten? Was, wenn man in Wiener Kreisen durchaus von der Gefahr wusste, aber glaubte, dem alten Kaiser einen Gefallen zu tun, wenn man ihn von dem ungeliebten Thronfolger befreite?

Da lässt sich wunderbar spekulieren und das liest sich streckenweise sehr unterhaltsam, wenn der Journalist, der die Forschungsergebnisse über seinen Helden alle aufgesogen hat, sie mit gekonnten Formulierungen serviert („"der Klaus Kinski der Habsburger"“). Gelegentlich kommen ihm bei seiner Bosnienreise auch Ereignisse aus den Jugoslawienkriegen der 90er Jahre dazwischen, der Zwist zwischen den Bevölkerungsgruppen am Balkan hat ja nicht erst vor einem Vierteljahrhundert begonnen, sondern hat seine Wurzeln in der Geschichte der Vielvölkermonarchie.

Frank Gerbert: Endstation Sarajevo Die letzten sieben Tage des Thronfolgers Franz Ferdinand. Eine Spurensuche von Böhmen bis Bosnien. Verlag Kremayr & Scheriau Wien 2014 205 Seiten

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