Ritter der Ringstraße: Parvenus und Geldadel

Ritter der Ringstraße: Parvenus und Geldadel
Ritter der Ringstraße: Parvenus und Geldadel (c) Wien Museum
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Wiens Weg zur Metropole Teil 5: Eine liberale Verfassung ermöglichte die rasante Entfaltung der Wirtschaft und den politischen Aufstieg des Bürgertums ab 1867. Kommunalpolitik im neuen Stil schuf die Rahmenbedingungen für ein dynamisch wachsendes Wien.

Der Wind auf dem ehemaligen militärischen Paradeplatz, dem Josefstädter Glacis, blies sehr stürmisch am 14. Juni 1873. Den Honoratioren, die hier zusammengekommen waren, um den Grundstein für das Wiener Rathaus zu legen, war klar: Hier wurde nicht einfach mit Ziegeln hantiert, hier fand eine politische Kundgebung statt. Hier entstand - so Bürgermeister Cajetan Felder in seiner Ansprache - ein „Wahrzeichen des Bürgertums".

Auch Kaiser Franz Joseph gelang es, sich ein Lob für die Bürgerschaft Wiens abzuringen, er griff dabei tief in die Vergangenheit zurück, als er die „mutvolle Aufopferung" der Stadt im Dienste des Reiches lobte. Er meinte 1683, als die Türken eben auf diesem Glacis die Stadt belagerten. Der Leitartikel der „Presse" am nächsten Tag machte die Stimmung des Monarchen wohl auch nicht besser: „Das Bürgertum, wie es gegenwärtig im modernen Staate sich zu Macht und Ansehen emporgeschwungen, ist ja mit seiner Arbeitskraft, seinem Wohlstand, seinem Gemeinsinn und seiner Bildung manchem ein Dorn im Auge", vor allem jenen Herren, die im Bündnis mit den Klerikalen die alte Adelsherrschaft wiederherstellen wollen. Finstere Mächte, gegen die die Bürger, geschart um ihren „constitutionellen" Kaiser, sich zum Schutz ihrer Verfassung versammeln!

In diesem Ton schrieb die „Presse" siebenmal die Woche, ist sie doch ein Kind jenes heroischen Jahres 1848, als das Bürgertum im Kampf gegen den Adel und den Absolutismus eine schwere Niederlage bezog. Beinahe aus Versehen kamen die Liberalen dann 1860 an die Regierung, der Neoabsolutismus hatte sich auf den italienischen Schlachtfeldern von Magenta und Solferino blutige Nasen geholt, das Prestige des Kaisers war perdu, der Staatsbankrott stand vor der Tür. Man brauchte dringend die nötigen Kredite, die nur das finanziell potente Großbürgertum gewähren konnte.

Doch damit war es unmöglich geworden, seine Forderungen nach politischer Mitsprache weiterhin zu ignorieren. Und so kam der Aufstand der Bürger, der 1848 in der Herrengasse begonnen hatte, doch noch zu seinem vorläufigen Ziel. Das Schwarzgelbe Wien, die Stadt der Gründer, gehörte ihnen. Nicht ihre innere Stärke brachte die Liberalen an die Spitze des Staates, sondern die Schlappe, die die alte Ordnung erlitt, nicht zuletzt im Debakel von Königgrätz, sie erzwang die Staatsreform von 1867.

Nur 3,3 % der Bevölkerung wahlberechtigt

Wie schwach die gesellschaftliche Basis dieser neuen Machtträger war, zeigt die Wiener Gemeinderatswahl von 1861: Den besonders wohlhabenden Vertretern des Besitz-und Bildungsbürgertums kam ein überproportionales Gewicht zu, wahlberechtigt waren 3,3 % der Bevölkerung. Will man der Ideologie dieser liberalen Schicht, die fast vier Jahrzehnte lang den Wiener Gemeinderat dominierte, auf den Grund gehen, liest man am besten die Artikel in Zeitungen wie der „Presse". Der Liberalismus des 19. Jahrhunderts verfügte nämlich über kein ausformuliertes Programm, geschweige denn über eine Parteiorganisation. Aber man hatte Ziele: vor allem die Umwandlung des Habsburgerreiches in eine echte konstitutionelle Monarchie, in der erfolgreiche Unternehmer die alte herrschende Klasse der Aristokratie ablösen würden. So wurde die neue bürgerliche Oberschicht zunehmend identifiziert mit einem unbegrenzten Kapitalismus.

Hocharistokratie und Erbadel zogen sich nun in den Olymp ihrer alten Paläste zurück, das Ringstraßenmäzenatentum überließ man neidlos den neureichen Gründern, die peinlicherweise danach gierten, in den Adelsstand erhoben zu werden. Damals bekam Franz Joseph den Beinamen „Sehadler", weil er angeblich jeden adelte, den er zu sehen bekam. Die Hürde vom neuen Baron zum alten Grafen war jedoch nicht zu überwinden. So geriet das Bürgertum, das weder imstande war, den Adel zu zerstören noch sich mit ihm zu verschmelzen, in eine Position der Schwäche. Der Schwache muss sich Spott gefallen lassen: Der assimilierte jüdische Geldadel entwickelte den Drang, den adeligen Lebensstil zu imitieren bis hin zur Namensgebung der Kinder (Viktor, Elisabeth, Gisela!) und wurde zum Ziel von Witzen: „Ein Baron ist einer, der sein ganzes Leben darauf wartet, dass ein Liechtenstein ihm Du sagt."

Das Wien Museum zeigt sie uns alle in ihren inszenierten Familientableaus und geräumigen Palais, die Todescos, die Liebens, die Epsteins, die Wertheims, auch die Familie Ephrussi, deren kometenhaften Aufstieg zu einer der reichsten Dynastien Europas uns der Bestseller „Der Hase mit den Bernsteinaugen" von Edmund de Waal erzählt.

Menschen in "Zinskasernen" zusammengepfercht

Die Kommunalpolitiker der liberalen Ära in Wien stützten sich auf ein undemokratisches, beschränktes Klassenwahlrecht, aber man muss ihnen zugute halten, dass sie den Grundstein für die technische Infrastruktur der rasch wachsenden Großstadt in Angriff nahmen. Wo es ihren Interessen entsprach und es die kommunale Selbstverwaltung erlaubte, griffen sie ein: Bei der Donauregulierung, bei der Wasserversorgung, bei der Schulpolitik. Von einer kommunalen Sozialpolitik konnte keine Rede sein, sie widersprach dem liberalen Grundsatz, dem Tüchtigen möglichst viel wirtschaftlichen Freiraum zu verschaffen, dann würde sich schon alles zum Vorteile aller wenden. Der Wohnbau in Wien wurde rein privatwirtschaftlich betrieben, so entstanden die „Zinskasernen", in denen zehn bis zwölf Personen auf 35 Quadratmeter zusammengepfercht lebten. Doch auch die Gasversorgung der Stadt und der öffentliche Verkehr war in privater Hand.

Die wichtigsten kommunalen Großtaten traten allesamt in der Ära des liberalen Bürgermeisters Cajetan Felder in ihre entscheidende Phase. Das filtrierte Wasser der Donau war in hygienischer Hinsicht untragbar geworden, durch den Bau der Hochquellenleitung wurden die Wiener Häuser systematisch mit Wasserleitung und Wasserklosetts versorgt, meist von der „Bassena" am Gang. In Kaiserebersdorf entstand der damals größte Friedhof Europas, eine Zentralmarkthalle in der Vorderen Zollamtsstraße und ein Viehmarkt in St. Marx wurden zum Rückgrat der städtischen Lebensmittelversorgung.

Wien wurde in den „sieben fetten Jahren" der Gründerzeit ab 1867 ein bedeutender Finanzplatz, Banken und Baugesellschaften wurden gegründet, Bodenpreise und Mietzinse stiegen ins Unermessliche, das in allen Bevölkerungskreisen beliebt gewordene Spekulationsspiel an der Börse hatte ungesunde Ausmaße angenommen. So zog eine Krise am Himmel herauf, die durch die Weltausstellungshausse noch gesteigert wurde. Der große „Krach" am 9. Mai 1873 kam eigentlich nicht überraschend. Das spekulierende Kleinbürgertum war sofort bankrott und auf Jahre hinaus ruiniert. Das Bündnis zwischen liberaler Politik und jüdischen Aufsteigern geriet in die Defensive, man gab ihnen die Schuld an der Wirtschaftskrise.

Die Menschen aus der Vorstadt standen da politisch erst am Anfang ihres Weges. Mit dem Aufbruch dieser Massen begann eine neue Zeit, sie schrieben die Wiener Geschichte des nächsten halben Jahrhunderts. Die Hauptakteure standen 1873 schon hinter der Bühne bereit: Georg Ritter von Schönerer war bereits im Reichsrat, Viktor Adler studierte Medizin, Karl Lueger war gerade Gerichtsadvokat geworden. Nebeneinander entstanden nun die politischen Massenbewegungen, christliche, antisemitische, sozialistische, nationalistische. Der von den Liberalen erwartete rationale Lauf der Geschichte wurde radikal verändert.

Die gesamte Serie zur Ringstraßenzeit wird ab Ende Juni als eigene Zeitung aufliegen im Wien Museum (Ausstellung "Experiment Metropole", bis 28. September 2014).

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