Die Propagandamaschinerie der k.u.k. Armee

Kriegskinematograph im Schützengraben
Kriegskinematograph im Schützengraben(c) Wikipedia
  • Drucken

Eine Ausstellung des Bundeskanzleramtes dokumentiert die PR-Technik im Ersten Weltkrieg. Man bediente sich der besten Schriftsteller, der besten Maler und der pfiffigsten Fotografen. Und schuf Topqualität.

Der sonst so sorgsam gepflegte Innenhof des Palais Porcia in der Wiener Herrengasse ist aufgewühlt. Ein Graben präsentiert sich dem überraschten Besucher. Ein Schützengraben. Artilleriefeuer aus Lautsprechern erschreckt die Bürodamen in den umgebenden Kanzleien des hervorragend renovierten Innenstadtpalais. Es ist das einzige in der Gegend, das noch nicht der Firma Amisola Karl Wlascheks gehört. Denn es steht im Besitz des Bundes und beherbergt die Sektion 1 des Bundeskanzleramtes. Jetzt allerdings gehört das Erdgeschoß mit den zwei Innenhöfen der Sonderausstellung „Extraausgabeee-!“

Dem Krieg 1914–1918 und der gewichtigen Rolle der Massenmedien gilt die Schau, die bis 31. Oktober zu sehen ist. Das Kriegspressequartier war quasi die Propagandamaschinerie dieses Krieges. Jede Nation hielt sich solch eine Abteilung, in der Journalisten, Maler, Dichter, Fotografen zusammenwirkten, um die Zivilbevölkerung an der viel zitierten Heimatfront bei Laune zu halten. Erstmals trat die Kinematografie in ihr Recht. Propagandafilme waren der letzte Schrei.

Überraschend viel Erfindungsgeist ist in diese Ausstellung investiert worden. „Von Beamten“, was Sektionschef Matzka verschmitzt zu preisen wusste, ebenso der aus dem Ei gepellte Verteidigungsminister. Das reibungslose Zusammenspiel zwischen Bundespressedienst, Staatsarchiv (beide Kanzleramt) und Heeresgeschichtlichem Museum (Bundesheer) rühmte man in den Eröffnungsansprachen so überschwänglich, dass der unbedarfte Zuhörer am liebsten geantwortet hätte: Das darf man als Steuerzahler/Auftraggeber ja wohl verlangen. Beide Institutionen verbindet außerdem gemeinsames Leid: Sie sind knapp bei Kasse.

Topleute, Topqualität

Das k.u.k. Kriegspressequartier war eine feine Sache für Dichter und sonstige Schöngeister, die sich ein Leben im Schützengraben ersparen konnten. Freilich erwartete sich die oberste Heeresleitung auch Spitzenleistungen von den Topleuten ihres Faches: Die Verherrlichung des Kampfgeistes, die selbstlose Hingabe der Soldaten für Gott, Kaiser und Vaterland, die unvergleichliche Schönheit des Heldentodes. Franz Theodor Czokor bot sich der literarischen Gruppe ebenso an wie Robert Musil, Alfred Polgar, Rainer Maria Rilke, Felix Salten oder Stefan Zweig. Direkt an der Front bewegten sich Roda Roda, Egon Erwin Kisch und natürlich die unvermeidliche Alice Schalek. Sie berichtete „nur aus dem Geschehen“ für die „Neue Freie Presse“, wie Karl Kraus spottete. Dabei tat er ihr unrecht, verallgemeinte in seinem Furor. Sie war eine zwar schwülstige Schriftstellerin nach Art ihrer Zeit, aber eine durchaus mutige Journalistin.

Die übrigen Dichter verbrachten ihren Dienst in der Wiener Stiftskaserne, weitab vom Schuss, führten aber ein recht kärgliches Dasein: Hauptsächlich schrieben sie Depeschen des Armeeoberkommandos um und tauchten die Tatsachen in die jeweils befohlenen Farben. Rilke beschreibt den Frondienst als „sehr dürftig und zweideutiger Natur, eine Abstellung alles Geistigen, ein Missbrauch schriftlicher Betätigung“. Für die Armee hatte die Kasernierung so vieler Künstler an einem Ort hingegen den Vorteil, dass man spielend leicht zensieren konnte.

Um neue Kriegslieder, aber auch patriotisches Liedgut zu kreieren, gab es auch eine Musikgruppe. Bernhard Paumgartner war hier tätig, aber auch Béla Bartók.

Patriotische Schulbücher

„Der Kaiser schickt Soldaten aus . . .“ Ein beliebtes Kinderspiel. Einst. Vor hundert Jahren hat der Kaiser sie dann tatsächlich ausgeschickt. Und es war blutiger Ernst. Ein soeben erschienenes Buch spürt der Frage nach, wie schon die Kinder der damaligen Zeit lernten, damit umzugehen. Patriotismus in jeder Zeile der Schulbücher, ein ständiges frohes Sammeln dringend benötigter Grundstoffe, um das Schlachten und Morden durch Nachschub aus der Heimat fortführen zu können: Kriegspostkarten und Buchillustrationen zeigen eindringlich, wie weit die Instrumentalisierung der Kinder ging.

„Das Wort hatte damals noch Gewalt . . . Das moralische Weltgewissen war noch nicht so übermüdet und ausgelaugt wie heute. . .“

Stefan Zweig, „Die Welt von gestern“

Ein anderes Vorhaben des KPQ scheiterte bald an der schieren Zahl von Toten. Man plante ein Monumentalwerk, das jeden gefallenen Österreicher mit Kurzbiografie und Porträtfoto verewigen sollte. „Dulce et decorum est pro patria mori“ – so hub es an. Mit der „Süße des Todes fürs Vaterland“ war es aber schon 1915 vorbei, und als die Zahl der Helden in die Millionen ging, gab man das Werk auf.

Film und Fotografie waren die bevorzugten modernen Massenmedien, um Kriegs-PR zu betreiben. Im Kriegsarchiv des Staatsarchivs lagern ca. 300.000 Fotos, von denen viele unter Verschluss gehalten wurden, weil sie den Schrecken und die Gräuel der Kämpfe zu realistisch zeigen: Zerfetzte, zerrissene, zerschossene Soldaten, Kadaver und Leichenberge, die oft wahllosen Erschießungen und Erhängungen im Hinterland durch eine Militärjustiz, die völlig überfordert war.

Auch Pornofilmchen

Solches boten die fahrbaren Feldkinos natürlich nicht. Sie brachten eine bunte Mischung aus Wochenschauen, Dokumentationen bis hin zu pornografischen Darstellungen im Stil der Zeit. Und Spielfilme.

Schwieriger war es da schon für die Kriegsmaler. Die mussten doch für etwa zwei Monate an die Front, um dann im Heimaturlaub die Werke auszuarbeiten. Und zwar pro Woche eine Skizze, pro Monat ein Gemälde. Höchstes Niveau war verlangt – und wurde prompt geliefert: von Oskar Kokoschka, Albin Egger-Lienz oder Anton Kolig. Die Mitglieder der Kunstgruppe standen unter der Leitung von Oberst Wilhelm John, der auch Direktor des k.u.k. Heeresmuseums (heute: Heeresgeschichtliches Museum) war. Sie waren durch schwarz-gelbe Armbinden mit den Aufdruck „KPQ“ gekennzeichnet und erhielten entsprechende Ausweise.

Die Künstler mussten von sich aus „malerisch wirksame und interessante Motive aus dem Leben des Krieges“ finden. So lautete ihr dienstlicher Befehl. Denn sie waren ja offiziell Kriegsdienstleistende. Die jeweiligen Kommandanten hatten sie zu unterstützen und – falls notwendig – für Kampfszenen zu sorgen. Besonders dieser Umstand sorgte für wütende Randnotizen von Karl Kraus. Die Zuteilung sollte hauptsächlich zur Artillerie erfolgen, um persönliche Gefahren ein wenig zu mindern.

Im KPQ, und hier vor allem in der Kunstgruppe, wurden völlig entgegen den militärischen Gepflogenheiten der Zeit auch Frauen aufgenommen. Die älteste, die Malerin Friederike Ulreich, selbst Offizierstochter, ging 1914 an die Südostfront nach Belgrad und malte dort die zerstörten Festungsanlagen und auch immer wieder Soldatenfriedhöfe und einzelne Gräber. Die jüngste, Stephanie Hollenstein, verkleidete sich sogar als Mann, um mit den k.k. Standschützen ins Gefecht ziehen zu können.

33 Präsentationen mit 9000 Werken

Der Kunstgruppe unterstellt war die Bildersammelstelle, die ab dem Frühjahr 1916 in der Akademie der bildenden Künste in Wien untergebracht war. Dort wurden die Bilder deponiert, verwaltet und registriert sowie für diverse Ausstellungen gerahmt. Bis Kriegsende kamen 33 Präsentationen mit über 9000 Werken im Inland und im neutralen oder verbündeten Ausland zustande.

1918 hatte das KPQ schon 890 Mitarbeiter, die sich glücklich schätzen konnten, der blutigen Realität entflohen zu sein. Für sie glich der Einsatz einer Lebensversicherung, da musste schon manchmal nachgeholfen werden, um für kriegsuntauglich befunden zu werden. Das Kriegspressequartier war die zentrale Mediendrehscheibe der Monarchie. Zuletzt wollte man es sogar in ein „k.u.k. Informationsministerium“ umbenennen. Dazu kam es aber nicht mehr. Am 15. Dezember 1918 löste sich der Spuk auf.

Schützengraben als Belustigung

Die allzu positive Darstellung eines in Wahrheit grausamen Krieges konnte freilich auch seltsame Blüten erschaffen. So liefen die Menschen 1916 in Scharen in die „Kriegsausstellung“ im Wiener Prater, wo ein detailgetreu nachgebauter und begehbarer Schützengraben für wohlige Schauer bei den Zivilisten sorgte. Am Ende dieses ersten von vielen weiteren Kriegen des 20. Jahrhunderts standen kollektiver Zynismus und unfassbare Menschenverachtung.

Dass für die jetzt laufenden Ausstellung zweier Bundesministerien zwanzig Sponsoren zahlen müssen, illustriert eindrücklich, wie klamm die Bundeskasse sein muss. Aber Bawag und Bank Austria, Flughafen Wien und Magna, ÖBB und Post, Siemens und Wiener Städtische, Voest Alpine und Wiener Linien haben offensichtlich noch ein bisschen Geld auf der hohen Kante.

Das beruhigt.

AUF EINEN BLICK


Nächsten Samstag: Sarajewo, Sonntag, 28. Juni 1914Das k.u.k. Kriegspressequartier wurde im Juli 1914 als Abteilung des Armeeoberkommandos gegründet. Kommandant des KPQ war von Kriegsbeginn an Generalmajor Maximilian Ritter von Hoen. Im März 1917 übernahm Oberst Wilhelm Eisner-Bubna bis Kriegsende das Kommando. Aufgabe des KPQ war die Koordination aller Presseinformationen und Propagandatätigkeiten von Österreich-Ungarn während des Ersten Weltkrieges unter Einbeziehung sämtlicher damals verfügbarer Massenmedien. Man verpflichtete die besten Künstler ihres Faches und ersparte ihnen dafür den Kriegsdienst.

Ausstellung. „Extraausgabee-!“

Die Medien und der Krieg

Im Palais Porcia, Wien I., Herrengasse 23

Bis 31. Oktober 2014, werktags von 9 bis 18 Uhr

Soeben erschienen:

Georg Hamann

„Dir, Vaterland, dir Leib und Blut!“

Kindheit und Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg

St.-Nikolaus-Kindertagesheimstiftung

1010 Stephansplatz 6

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.