Einen Tag vor dem 100. Jahrestag des Attentats wurde im serbischen Ost-Sarajewo eine Statue des Schützen aufgestellt. Das Gedenkkonzert der Philharmoniker sehen dort manche als Provokation.
Gavrilo Princip ist wieder in Sarajewo. Um ihn zu finden, muss man sich aber ziemlich vom Stadtzentrum wegbewegen, wo er vor exakt 100 Jahren sein folgenschweres Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand und dessen Frau Sophie verübte. Man muss ins serbische Ost-Sarajewo, ein gesichtsloses Neubauviertel in der Nähe des Flughafens. Dort steht er seit gestern: als Zwei-Meter-Statue in Bronze gegossen, zwischen modernen Wohnblocks im „Stadtpark“, von dem aber mangels Rasen und Bäumen noch nicht viel zu erkennen ist. Dort, wo in anderen Siedlungen ein Kinderspielplatz wäre, steht in Ost-Sarajewo Gavrilo Princip. Ein recht prosaischer Standort für den von den Serben in Bosnien und Serbien zum Nationalhelden stilisierten Gymnasiasten.
Und tatsächlich soll die Statue eine erzieherische Funktion für die Jugend haben, betonte Gemeindepräsident Ljubiša Čosić, nachdem der tapfer unter der sengenden Sonne wartende Chor die Hymne der Republika Srpska, des serbischen Landesteils, intoniert hatte: „Princip ist die Verbindung der heroischen Vergangenheit des serbischen Volkes und der Zukunft, die die kommenden Generationen aufbauen.“ Diese Generationen würden hier mit dem Beispiel Princips aufwachsen, so die Botschaft.
Hitler ließ Tafel abnehmen
Für Nebojša Radmanović, serbisches Mitglied im dreiköpfigen Staatspräsidium, füllt die Statue eine Lücke, die bestanden habe, seit die Truppen Hitlerdeutschlands 1941 eine Princip gewidmete Gedenktafel in Sarajevo abmontiert hätten. „Heute erinnern wir uns an Princip mit Stolz.“ Der 28. Juni sei nicht nur als Vidovdan der wichtigste kirchliche Feiertag, er stehe auch für den Kampf der Serben für ihren Staat, meinte Radmanović, dabei Princip, der sich selbst dezidiert als „jugoslawischen“ Nationalisten sah, ganz für die serbische Seite vereinnahmend. Auch in Sarajewo werde des Attentats gedacht: „Aber an wen erinnert man sich dort?“, sagte Radmanović und spielte damit auf den Umstand an, dass vor allem Bosniens Muslime Princip keineswegs so positiv sehen.
Nachdem Radmanović und RS-Präsident Milorad Dodik das rote Tuch von der Statue entfernt hatten, trat – inmitten einer Volkstanzgruppe – auch noch ein Princip aus Fleisch und Blut auf: Ein junger Mime des örtlichen Kulturvereins, in ein viel zu properes Sakko gewandet und mit aufgemaltem Schnauzer, gab tatsächlich zwei Schüsse mit Platzpatronen ab, woraufhin die Tänzer einen Freudenkolo begannen, in den sich das Princip-Double eingliederte. Über seine Meinung nach den Gedenkfeiern in Sarajewo gefragt, meinte der Nachwuchs-Gavrilo (der beim Posieren selbst lachen musste), dass er das für Samstagabend angesetzte Konzert der Wiener Philharmoniker für eine Provokation halte.
Von vielen Serben Bosniens wird dieses Konzert nicht als das wahrgenommen, was es für seine Macher sein soll: „Die Botschaft, dass Krieg keine Option ist“, wie es Dirigent Franz Welser-Möst auf den Punkt brachte. Möst sah sich wegen kritischer Stimmen im Vorfeld genötigt, die Entscheidung zu verteidigen, den zweiten Satz des „Kaiserquartetts“ zu spielen, dessen musikalische Keimzelle die Kaiserhymne ist (und damit die heutige deutsche): „Das ist keine Demonstration des Nationalismus. Es handle sich lediglich um einen Teil unserer musikalischen Geschichte – und eine Verbeugung vor dem Schöpfer des Werkes.
Mehr zum Thema: Seiten 23, 24
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2014)