Der sinnlose Tod in den Vogesen

Kriegerdenkmal auf dem Hartmannsweilerkopf (in Frankreich genannt: Vieil Armand)
Kriegerdenkmal auf dem Hartmannsweilerkopf (in Frankreich genannt: Vieil Armand)(c) Wikipedia
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30.000 Soldaten ließen auf dem Hartmannsweilerkopf im Elsass ihr Leben, auf einem der unsinnigsten Kriegsschauplätze des Ersten Weltkriegs. Am 3. August 2014 setzen der deutsche und französische Präsident hier ein Zeichen der Versöhnung.

Ein Moment, der im Gedächtnis haften bleibt: Zwei Politiker stehen bei nasskaltem Nieselwetter auf einem Soldatenfriedhof bei Verdun, der deutsche Kanzler Helmut Kohl und der französische Präsident Francois Mitterrand. Sie gedenken an diesem 22. September 1984 der blutigen Schlachten des Ersten Weltkriegs. Die Aufmerksamkeit der meisten Teilnehmer ist gerade durch den Trompetenspieler abgelenkt, der die Totenklage intoniert. Alle denken an den kollektiven Wahnsinn, der dazu führte, dass tausende junge deutsche und französische Männer, die meisten nicht viel älter als zwanzig, hier starben. Plötzlich stehen die beiden Politiker, der Deutsche und der Franzose, Hand in Hand. Die meisten haben gar nicht gesehen, wer zuerst die Hand des anderen ergriff. Es war Mitterrand, Kohl blickt ihm, dankbar für diese Geste, ins Gesicht. Das Foto berührt, es geht um die Welt.

Am Sonntag dem 3. August 2014, dem hundertsten Jahrestag der deutschen Kriegserklärung an Frankreich, könnte sich das wiederholen. Die Präsidenten Frankreichs und Deutschlands, Francois Hollande und Joachim Gauck, treffen einander an diesem Tag auf dem elsässischen Hartmannsweilerkopf, einem 1914 bis 1918 heiß umkämpften Vogesen-Gipfel, an dessen Flanken, Felsen und Gräben 30.000 deutsche und französische Soldaten ihr Leben ließen. Der Ort hat sich nicht so in das kollektive Gedächtnis eingebrannt wie die blutigen Schlachten von Verdun, Ypern, Somme, Isonzo, er ist aber in die Geschichte eingegangen als einer der unsinnigsten Kriegsschauplätze: Es gab keine strategischen oder territorialen Ziele, die den vierjährigen verbissenen Grabenkampf und Blutzoll um diesen Gipfel gerechtfertigt hätten. Und anders als in den weiten Ebenen Flanderns scheint es geradezu unmöglich, in den unwirtlichen Vogesen auf einem Felsplateau Schlachten zu schlagen.

Der elsässische Lokalhistoriker Nicolas Vignos vergleicht das Kampfgeschehen rund um den 956 Meter hohen Gipfel mit einem Tumor: Etwas, was man anfangs leicht übersieht, wächst sich aus zu einer lebensbedrohlichen Katastrophe. In der Tat war es zu Kriegsbeginn 1914 ruhig rund um den Aussichtsfelsen des Gipfelbereichs, der einen weiten Ausblick über die Oberrheinebene bietet. Ende Dezember richteten sich deutsche Truppen auf den Ostabhängen des in der Militärsprache HWK genannten Berges ein, die Franzosen eroberten den Gipfel. Am 30. Dezember kam es zu den ersten Schießereien, zum ersten Toten - der Kampf um den Gipfel, unterstützt von schwerer Artillerie, begann. Wem es gelang, sich auf dem Gipfelkamm einzurichten, hatte Vorteile. Immer mehr Einheiten wurden nun hierher verlegt. Am Höhepunkt der Kämpfe, im Dezember 1915, setzte die französische Armee 16 Bataillone, 240 Geschütze aller Kaliber und 25.000 Granaten ein. Es kam zu furchtbaren Nahkämpfen mit Flammenwerfern, Bajonetten, Handgranaten, Mann gegen Mann, oft nur für 50 Meter Geländegewinn, der am nächsten Tag schon wieder verlorenging. War es für einige Wochen ruhig auf den Hängen, bauten die Soldaten ihre Stellungen zu regelrechten Festungsanlagen aus, der Krieg wurde allmählich zum Stellungskrieg, die Unmöglichkeit, den Gipfel dauerhaft in Besitz zu nehmen, wurde beiden Seiten deutlich. So landete man nach unzähligen Toten wieder bei der Ausgangslage.

Französische Stellungen
Französische Stellungen

Das Prinzip, nach dem die Schützengräben an den Berghängen angelegt wurden, hat sich in der Folge auf der ganzen Westfront durchgesetzt. Der vorderste Graben wurde als Vorpostenstellung verteidigt, weiter hinten wurde die eigentliche Hauptwiderstandslinie angelegt. Je mehr die Stellungen ausgebaut wurden, desto geringer die Chance, mit Angriffen Erfolg zu haben. Ab Januar 1916 wirkten beide Armeeführungen einigermaßen ernüchtert, der Kampf um den Berg war zu kräfteraubend geworden. Der Hartmannsweilerkopf wurde das, was Militärs eine „ruhige Front" nannten. Die Schlacht von Verdun absorbierte jetzt die Truppenmassen und die Aufmerksamkeit der Heeresleitungen. Das Interesse an einer Aktion im Elsass nahm ab. Der Krieg wurde woanders entschieden.

Das Leben der Soldaten wurde nun geprägt von den physischen und psychischen Belastungen des Grabenkriegs. Bei feuchtem Wetter standen sie knietief im Grabensumpf aus Regenwasser, Urin, Kot, Leichenteilen, oft nur wenige Meter entfernt von den feindlichen Soldaten in ihren Gräben, sodass sie flüstern mussten, um sich nicht zu verraten. Franzosen hörten das Klappern des Kochgeschirrs der deutschen Soldaten und umgekehrt. Im Sommer kam der unerträgliche Geruch, die Gefahr von Kreuzotternbissen, Ruhr, Typhus hinzu. Die Gräben mussten durch Drähte geschützt werden, um das Hineinrollen von feindlichen Handgranaten zu verhindern. Wahrscheinlich werden die Soldaten den früh hereinbrechenden Vogesenwinter mehr gefürchtet haben, die Frühlingssonne gemeinsam begrüßt haben. Von Verbrüderungsszenen ist nichts bekannt, sehr wohl aber Tauschgeschäfte: Deutscher Tabak gegen französisches Weißbrot.

Kriegerdenkmal auf dem Hartmannsweilerkopf (in Frankreich genannt: Vieil Armand)
Kriegerdenkmal auf dem Hartmannsweilerkopf (in Frankreich genannt: Vieil Armand)(c) Wikipedia

Der Berg hatte sein Antlitz völlig verändert. Durch den massiven Artillerieeinsatz war er völlig kahlrasiert, durch den Stollenbau durchlöchert worden, durch Sprengkörper wurde der felsige Gipfel um zwölf Meter geradezu geköpft. „Todwund liegt der schneebedeckte Berg in den Januartagen 1916 vor uns", schreibt der Soldaten Hans Kilian in seinen Erinnerungen. „Man ahnte etwas von den entsetzlichen Kämpfen, die hier stattgefunden haben. Bis zu einer Höhe von etwa 600 Metern ist der ganze Berg kahlgeschossen, der herrliche Wald vernichtet." An allen Enden und Ecken ratterten die Gesteinsbohrer, hörte man Sprengungen, Unterstände für die Mannschaften, Lager für die Munition mussten aus den Felsen herausgesprengt werden. Artilleriebeschuss und Stoßtruppunternehmen gab es noch bis zum Kriegsende, aber ohne territoriale Gebietsgewinne. Der letzte Kampfeinsatz deutscher Soldaten war am 12. September 1918, einen Monat, bevor amerikanische Soldaten die französischen Stellungen übernahmen. Die genaue Zahl der Toten ist nicht bekannt, man ging früher von 60.000 Toten aus, heute schätzt man etwa 30.000, die Soldaten wurden nicht bestattet, sondern durch den Beschuss auf den Berghängen geradezu pulverisiert. Das Elsass ging als das einzige Gebiet des Deutschen Reiches in die Geschichte ein, auf dessen Boden während des gesamten Krieges gekämpft wurde.

„Mangeur d'hommes" nennen die Franzosen heute den Hartmannsweilerkopf, Menschenfresserberg. Auf 904 Meter Höhe haben sie eine nationale Gedenkstätte aufgebaut mit einer Krypta, in der sich die Gebeine von 12.000 Soldaten befinden sollen. Während des Zweiten Weltkrieges wurde die Zerstörung der Gedenkstätte durch die deutschen Besatzer im letzten Moment verhindert: Der Bürgermeister des Ortes wies darauf hin, dass hier auch die Knochen deutscher Soldaten bestattet seien. Jedes Jahr kommen an die 200.000 Besucher hier, darunter viele Deutsche. Noch heute erkennt man auf der Anhöhe die Bombentrichter, rund 60 Kilometer Schützengräben sind noch zu erkennen, ebenso Bunker, Unterstände. Spaziergänger werden vor noch nicht entdeckten Blindgängern gewarnt. Seit 2004 gibt es ein nachts beleuchtetes, 29 Meter hohes weißes Gipfelkreuz. Ab 2015 soll hier eine deutsch-französische Gedenkstätte entstehen, sie könnte einer der großen übernationalen Erinnerungsorte für den Ersten Weltkrieg werden.

Gedenkstätte mit Krypta auf dem Hartmannsweilerkopf
Gedenkstätte mit Krypta auf dem Hartmannsweilerkopf (c) Wikipedia

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