Kriegsbeginn: 29. Juli 1914, 2.20 Uhr . . .

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Der erste Kanonenschuss im Weltkrieg kam von der Donau gegen die Festung Belgrad. In der Finsternis konnte die Donauflottille aber nicht erkennen, ob und was sie traf.

Seit dem 28. Juli 1914 herrscht nun also Kriegszustand zwischen dem Kaiserreich Österreich-Ungarn und dem kleinen Königreich Serbien. Wiens Kriegserklärung ist auf diplomatischem Weg erfolgt – aber noch ist kein Schuss gefallen.

Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs glaubt um diese Zeit immer noch, das Ärgste verhindern zu können: Ein Internationaler Sozialisten-Kongress soll zum flammenden Fanal gegen die Kriegslüsternheit in allen europäischen Staaten werden. Seit dem Juni sind Victor Adler und Karl Renner mit der Organisation dieses Wiener Kongresses beschäftigt. Am 25. Juli distanziert sich die „Arbeiter-Zeitung“ in aller Form von jeglicher Mitverantwortung für die bevorstehende Katastrophe.

Für den 30. Juli wird eine große Antikriegskundgebung in Wien vorbereitet – und angesichts der Ereignisse wieder abgesagt. Wolfgang Maderthaner schildert für die laufende Ausstellung im Wiener Rathaus „Im Epizentrum des Zusammenbruchs – Wien in Ersten Weltkrieg“ das Durcheinander bei den Sozialdemokraten. Sie wollen ihren Kongress auf 23. August verschieben.

Doch die deutschen Genossen sind längst auf den fahrenden Zug in Richtung Weltkrieg aufgesprungen. Dann erscheint am 5. August in der „AZ“ jener Leitartikel des Chefredakteurs Friedrich Austerlitz, der auch die österreichische Arbeiterschaft umschwenken lässt.

Der fanatische Kriegsgegner Austerlitz feiert nun plötzlich die Kriegsunterstützung der deutschen Genossen als „Tag der deutschen Nation“ als die „stolzeste und gewaltigste Erhebung des deutschen Geistes“. Ein Bekenntnis zum Krieg, das im SDAP-Vorstand zu heftigen Kontroversen führt. Der Sozialistenkongress wird abgesagt.

Die ersten Granaten

An der Donau hat nämlich inzwischen der erste Schusswechsel stattgefunden. Und zwar am 29. Juli. Es ist die österreichischen Donauflottille, ein gut ausgerüsteter und trainierter Truppenteil. Sie hat die ersten Granaten vom Fluss aus auf das Binnenland Serbien abgefeuert.

Schon am 9. Juli war der erste Geheimbefehl der Marinesektion des k. u. k. Kriegsministeriums an das Hafenadmiralat in Pola (Pula) ergangen: Maschinengebrechen oder andere technische Mängel waren bis 21. Juli zu beheben. An diesem Tag wurden auch die Chiffreschlüssel ausgegeben, wie Manfried Rauchensteiner erforscht hat („Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie“, Böhlau, 2013).

Am 24. Juli lief die Flottille bei Tagesanbruch aus. Man sah sie natürlich weithin auf der Donau. Der Aufmarsch war zunächst als Drohgeste für die Serben gedacht. Sollte es wirklich ernst werden, dann habe der Befehlshaber der 7. Infanteriedivision, Feldmarschallleutnant Kasimir Freiherr von Lütgendorf, den Einsatzbefehl zu geben.

Am 28. Juli wurden die Offiziere von Österreichs Kriegserklärung informiert. Nun sollten drei Monitoren (gepanzerte Schiffe mit Kanonen und Schnellfeuergeschützen an Bord) die Brücke über die Save bei Semlin nach Belgrad vor einer Zerstörung sichern. Die Serben waren aber vorbereitet und konnten ein Joch der Brücke sprengen, bevor die österreichischen Schiffe einlangten.

Und 2.20 Uhr des 29. Juli hatten sich die Panzerschiffe Temes, Bodrog und Számos flussab fahrend Belgrad so weit genähert, dass sie auf eine Distanz von rund 3,5 Kilometer und gegenüber einer am Zusammenfluss von Donau und Save in der Donau liegenden sogenannten Insel die ersten vier 12-cm-Granaten dieses Kriegs auf die serbische Seite abfeuern konnten.

Den Feuerbefehl gab Fregattenkapitän Friedrich Grund auf dem Zwei-Turm-Monitor der Temes. Die Granaten flogen in der Finsternis gegen die verdunkelte serbische Hauptstadt in Richtung Südosten.

Weil man aber die Wirkung des Feuers nicht beobachten konnte, hörte der Beschuss gleich wieder auf. Um 4 Uhr schossen dann die Serben von den Festungswällen Belgrads mit Gewehren auf die Schiffe der Flussflottille, die Monitoren antworteten mit Schrapnells, dann wieder mit Granaten. Damit hatte die Donauflottille ganz unmissverständlich ihre spezielle Kriegserklärung abgegeben.

Der Militärhistoriker Rauchensteiner hat Sinn für skurrile Situationen: „Ein Krieg nahm seinen Anfang, der sich vom ersten Augenblick an der Beobachtung entzog und nicht einmal ahnen ließ, was alles zerstört wurde. Es wurde blind geschossen.“

Inzwischen herrschte in Wien die Furie der Kriegsbegeisterung. Man drängte auf die Straßen, die Zeitungsredaktionen und Telegrafenschalter waren belagert. Kaffeehäuser hatten die Nacht hindurch offen, weil man Neuigkeiten erfahren und besprechen wollte. Gruppen singender Menschen zogen durch die Stadt: „Gott erhalte“ und „Deutschland, Deutschland über alles“ waren die Hits dieser Tage. Nicht nur vor der deutschen, auch vor der italienischen Botschaft wurde den Diplomaten gehuldigt.

Am 31. Juli wurden die Plakate mit der Order zur allgemeinen Mobilmachung im ganzen Land affichiert. Die Hochstimmung erfuhr eine nochmalige Steigerung. Auf dem Land läuteten die Glocken Sturm. Boten auf Rädern und zu Fuß suchten auch die entlegensten Ortschaften auf. Einrücken mussten sofort alle Rekruten des Jahrgangs 1893, die noch nicht ausgebildet waren, dazu die Beurlaubten und Ersatzreservisten der gerade aktiv dienenden Jahrgänge 1890–1892, die Reservisten und Ersatzreservisten der Jahrgänge 1882 bis 1889, die Angehörigen des Landsturms der Jahrgänge 1872 bis 1881.

Wer mit Pferden „gestellungspflichtig“ war, kam selbstverständlich mit den Tieren, schließlich sollte ein k. u. k. Infanterieregiment nach Mobilmachung etwa 270 Pferde, ein Feldkanonenregiment siebzig und ein Reiterregiment 1150 Pferde zählen.

Wildes Durcheinander

Am Sonntag (2. August) hielten die meisten Geschäfte offen, um den einrückenden Reservisten noch die Möglichkeit zum Einkauf zu bieten. Von den Bahnhöfen zogen die Scharen in Richtung Kasernen. Ein Teil von ihnen konnte dort nicht untergebracht werden. Sämtliche Schulen, Theater, Säle und etliche Fabriken wurden zu provisorischen Unterkünften umfunktioniert.

Das alles geschah oft in einem wilden Durcheinander, das innerhalb weniger Tage die 415.000 Mann des präsenten Heeres sowie die 1,5 Millionen Mobilgemachten erfasste. Die Männer mussten nach Vorweis ihrer gelben Einberufungsscheine eingewiesen, ärztlich untersucht, gemäß ihrem Wehrpass den Einheiten zugeteilt, eingekleidet, ausgerüstet und bewaffnet werden. Dann begannen Exerzier- und Gefechtsübungen, jagten sich Unterrichts- und Instruktionsstunden, in denen ebenso die Bestimmungen des Standrechts wie die Verwendung des Verbandszeugs in Erinnerung gerufen wurden.

Offizieren, deren Familien in frontnahen Garnisonsorten wohnten, wurde befohlen, ihre Angehörigen in Sicherheit zu bringen. Trotzdem: Es war klar, dass man siegen würde. An Russland dachte man (noch) nicht.

SKURRIL BEGANN DER KRIEG

Am 29. Juli 1914, kurz nach zwei Uhr morgens, feuerte die k. u. k. Donauflottille die ersten Granaten auf die Festung Belgrad. Es waren ein paar Schüsse in die Finsternis. Treffer bzw. Schäden konnten nicht beobachtet werden. So skurril beginnt ein Weltkrieg.

Begeisterung. Nicht nur die Wiener waren vom Kriegsbeginn aufgewühlt. Auch Böhmen, Galizier,

Bosnier oder Ungarn waren mitgerissen und

begeistert. Zwar wollte Ungarns Ministerpräsident, Graf Tisza, das Verhängnis bremsen, aber Graf Apponyi erklärte am 28. Juli als Oppositioneller im ungarischen Reichstag seine Solidarität mit Wien. In Kroatien wurde der Krieg gegen Serbien bejubelt.

In Prag veranstalteten Tschechen und Deutsche eine gemeinsame Demonstration für den Krieg (auch wenn Statthalter Fürst Franz Thun-Hohenstein ein wenig nachgeholfen haben soll). Noch war die Stimmung im Vielvölkerstaat geschlossen patriotisch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2014)

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