Ein Großreich entsteht: Die ersten Kalifen Arabiens

SAUDI ARABIA-RAMADAN
SAUDI ARABIA-RAMADANEPA
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Nach dem Tod des Propheten Mohammed stellten seine Anhänger noch am selben Tag die Frage der Nachfolge. Die Anfänge des Kalifats sind geprägt von weitreichender Expansion und Fehden zwischen den Stammesführern.

Am Tag seines Todes sucht Prophet Mohammed der Überlieferung zufolge die Räume seiner Lieblingsfrau Aisha auf, um seinen Kopf auf ihren Schoß zu legen und sich auszuruhen. Zuvor putzt er sich gründlich die Zähne – die Zahnhygiene hat Mohammed immer sehr ernst genommen. Als Aisha später den Blick auf ihren Mann richtet, stellt sie entsetzt fest, dass sein Körper und vor allem seine Augen reglos sind. Das Ableben des Propheten holt seine Familie unerwartet ein, wiewohl er kurz vor seinem Tod erkrankte. Mohammed stirbt am 8. Juni 632. Die Nachricht verbreitet sich in Medina wie ein Lauffeuer, nur kurz danach versammeln sich seine Anhänger trauernd vor dem Haus Aishas und fragen sich, wer dem Propheten als Führer der Muslime folgen könnte.

Mohammed hat keinen Sohn, seine Nachfolge hat er zu Lebzeiten nicht bestimmt. Als sich seine Schwiegerväter im Haus Aishas zusammenfinden, kommt es zu einem verbalen Schlagabtausch zwischen den Männern, wobei Abu Bakr, Aishas Vater, die Diskussion dominiert. Auf sein Geheiß wird Mohammed unter dem Haus Aishas begraben, schließlich soll Abu Bakr das Wort an die Anhänger des Propheten richten: „Wenn jemand Mohammed anbetet: Mohammed ist tot! Wenn jemand Allah anbetet: Allah lebt und wird nie sterben!“

Mohammed hinterlässt auf der arabischen Halbinsel ein ausgedehntes Reich. Was ab 622 als bewaffnete Auseinandersetzung mit jüdischen und „heidnischen“ Clans in und um Medina beginnt, wird sich im folgenden Jahrzehnt zu einem Eroberungsfeldzug ausweiten. Mohammed gelingt es, ein weitverzweigtes Netz an Clans und Stämmen großteils mit Waffengewalt zu erobern, die sich nicht nur religiös – der Islam war zu diesem Zeitpunkt schließlich nicht ausgereift – sondern auch sozial und politisch zusammenschließen. Wie sehr das Gefüge aber von Mohammeds Charisma abhängig war, zeigt sich nach seinem Tod: Viele seiner Getreuen verweigern dem Nachfolger die Gefolgschaft, die arabische Halbinsel befindet sich in einem äußerst fragilen Zustand.

Stamm der Quraish. Dass es einen Nachfolger Mohammeds – einen Kalifen – geben wird, das scheint für die frühen Muslime außer Frage. Nur: Wie soll der neue Kalif ermittelt werden? Und nach welchen Kriterien? Verwandtschaft mit Mohammed? Gefolgschaft? Geld? Vermutlich noch im Haus Aischas werden diese Fragen gestellt, bis schließlich eine Übereinkunft getroffen wird. Der Nachfolger soll auf dem Versammlungsplatz Medinas gewählt werden, und zwar vom Stamm der Quraish, dem sowohl Mohammed als auch Abu Bakr angehören.

Als die Clanchefs ihre Interessen durchzubringen versuchen, stehen vor dem Haus Aishas bereits die Mitglieder der Quraish und rufen Abu Bakrs Namen. Es dürfte aber seinem Verhandlungsgeschick und seinen rhetorischen Fähigkeiten geschuldet sein, dass kurz nach dem Tod des Propheten Abu Bakr, der zwei Jahre jüngere Schwiegervater Mohammeds, zu seinem Nachfolger gewählt wird. Das Amt wird er bis zu seinem Tod nur zwei Jahre bekleiden, aber unter seiner Herrschaft wird das Kalifat sukzessive erweitert werden – nicht nur durch kriegerische Auseinandersetzungen, sondern auch durch taktische Heiratspoltik.

Wie genau das Amt der frühen Kalifen oder das Kalifat konzipiert war, ist nicht einfach nachzuvollziehen. Im Koran selbst kommt das Wort Kalif in der Geschichte über Adam – und in der über David vor. Letzterer wird in der 38. Sure als „Statthalter Gottes“ bzw. „Kalif“ auf Erden betitelt – und diese Beschreibung dürfte auch den frühen Kalifen zugeschrieben werden: als institutionalisierte Autorität auf politischer Ebene, als Vertreter Gottes.

Expansion. Abu Bakr ist ein Praktiker, ein Stratege. Er wird als loyal und zielgerichtet beschrieben sowie als gütig und väterlich. Ein eher kleiner Mann mit hennagefärbtem Bart, der stets eine gebückte Haltung einnimmt. Als Mohammed 622 seinen Geburtsort Mekka mit mehreren Gefolgsleuten verlässt – dort wird der Prophet ob seiner religiösen Predigten zunehmend angefeindet – ist Abu Bakr an seiner Seite. Er ist einer seiner ersten Anhänger, sein Berater und ergebener Freund. Mohammed und seine Gruppe ziehen in die später Medina genannte Oasenstadt im Norden Mekkas, von hier aus werden sie die islamische Expansion vorantreiben.

Als Kalif kann Abu Bakr die Stammesfehden auf der arabischen Halbinsel zunächst in Schach halten, auch die Berittenen hat er großteils unter Kontrolle. Während aber seine Krieger in neuere Wüstengebiete Richtung Palästina, Euphrat und Tigris vordringen, verweigern ihm viele alte Stammeschefs jene (Armen-)Steuer, die sie dem Propheten geleistet haben. Abu Bakr antwortet scharf – er droht mit Krieg, sollten sie dem Glauben an Allah abschwören. Umar, einem anderen Schwiegervater Mohammeds, soll Abu Bakr gesagt haben, dass er nur mit Strenge das Reich zusammenhalten kann.

In Medina selbst lässt der Kalif neue Soldaten rekrutieren. Die Armee hat freilich noch nicht die Wucht und die Größe, die sie später erlangen wird, vielmehr sind es bunt zusammengewürfelte Gruppen von Männern. Tötet einer der Krieger einen anderen Anhänger des Propheten, droht ihm die Verbrennung bei lebendigem Leib. Unrechtmäßige oder übertriebene Bestrafungen lehnt Abu Bakr ab. Er rügt jene, die nach eigenem Gutdünken bestrafen. Abu Bakr will Disziplin durchsetzen, bei seinen Taten bezieht er sich oft auf angebliche Offenbarungen Mohammeds. Immer noch wohnt er in einer einfachen Hütte in Medina, übt sich – wie die nachfolgenden Kalifen auch – in Bescheidenheit.

Erkältung. Im Gegensatz zu Mohammed bestimmt Abu Bakr noch zu Lebzeiten seinen Nachfolger, in Absprache mit den anderen Clanchefs. Die Wahl fällt auf den anderen Schwiegervater Mohammeds, Umar ibn al-Chattab. 634 stirbt Abu Bakr den Angaben seiner Tochter Aisha zufolge an einer Erkältung. Gleichzeitig kursiert in Medina das Gerücht, er sei von Juden vergiftet worden. Der zweite Kalif nimmt das zum Anlass, etliche Juden in den Irak zu deportieren. Die Herrschaft Abu Bakrs läutet jene Ära ein, die im innersunnitischen Diskurs die Zeit der „Rechtgeleiteten Kalifen“ genannt wird und die Herrschaft der ersten vier Kalife umfasst.

Sie alle waren mit Mohammed blutsverwandt oder angeheiratet. Die Erinnerung an die vier Kalife ist in der muslimischen Welt großteils positiv, zumal sie als rechtgläubig (rechtgeleitet) und gottesfürchtig dargestellt werden – und sich durch ihre Weisheit und Bescheidenheit von den nachfolgenden Kalifen der Umayyaden-Dynastie unterscheiden. Umar regelt seine Nachfolge mit einem Gremium aus sechs wichtigen Männern, die den nächsten Kalifen wählen sollen: 644 wird der aus aristokratischen Verhältnissen stammende Uthman ibn Affan zum dritten Kalifen gewählt. Während der zweite Kalif und der dritte Kalif die Expansionsbestrebungen weiter verfolgen, kommt es gleichzeitig unter der Herrschaft von Uthman zum ersten innermuslimischen Bürgerkrieg. Ihm wird Frömmigkeit und Gutmütigkeit nachgesagt, aber auch fehlendes Geschick, die Stammesfehden unter Kontrolle zu bekommen. Die heiklen Fragen sind etwa: Wie soll die Kriegsbeute verteilt werden? Wie sollen prestigeträchtige Positionen besetzt werden?

Der Tod Uthmans (656) sorgt für großes Aufsehen innerhalb der muslimischen Welt: Aufgebrachte Muslime aus Ägypten suchen den Kalifen in seinem Haus in Medina auf und töten ihn, während er aus den Heiligen Schriften Mohammeds rezitiert. Der Koran wird mit Blut beschmiert – eine Schande. Aisha soll im Übrigen in den Mordfall verwickelt sein, fest steht aber nur, dass sie bei der Frage von Uthmans Nachfolge stark interveniert.

Antipathie. Von Anfang an, bereits nach dem Tod des Propheten, erhebt sein Cousin Ali ibn Abi Talib Anspruch auf die Nachfolge – im Gegensatz zu den anderen Verwandten hat Ali auch männliche Nachkommen. Er ist sicherlich die schillerndste, aber auch die tragischste Figur im Umfeld Mohammeds. Ali heiratet Fatima, die Tochter des Propheten, und gilt als derjenige, der seinen Versen und Offenbarungen besondere Bedeutung zumisst. Bei den ersten Wahlen der Kalifen wird Ali übergangen, er hat allerdings eine treue Anhängerschaft, die mit den Eroberungen auch größer wird. Seine Gegner sind ebenfalls aktiv, allen voran Aisha, die Ali vor allem aus Antipathie abzudrängen versucht.

Für die Anhänger Alis ist sein Kalifat – er ist der vierte (656–661) – die erste legitime Nachfolge. Zu diesem Zeitpunkt gibt es religiöse Spannungen zwischen den Stämmen des mittlerweile beachtlich angewachsenen Reiches, allerdings ist die Religion auch noch jung, der Inhalt wandelbar. Nach dem Tod Uthmans wird Ali von einigen Stämme gehuldigt und als Kalif anerkannt – aber nicht von allen. Ihm wird die Beteiligung an Uthmans Tod vorgeworfen, vor allem die Weigerung des syrischen Gouverneurs Muawiya, ihn anzuerkennen, wird sich als fatal erweisen. Muawiya und Aisha spinnen Intrigen, während sich auf religiöser Ebene ganz unerwartet eine nachhaltige Spaltung ankündigt: Der Kampf um das Kalifat Alis wird aus seinen Anhängern die Schiiten machen und die Sunniten hervorbringen.

Kalifen

Der Prophet Mohammed, geboren ca. 570, stirbt am 8. Juni 632 in Medina. Sogleich stellt sich die Frage der Nachfolge. Noch im selben Monat wird Abu Bakr, der Schwiegervater Mohammeds, zum Kalifen gewählt. Dieser hat das Amt von 632 bis 634 inne. Seinen Nachfolger hat Abu Bakr zu Lebzeiten ernannt, es ist ein anderer Schwiegervater Mohammeds, Umar ibn al-Chattab. Er herrscht bis zu seinem Tod im Jahr 644. Der dritte Kalif wird Uthman ibn Affan, der aus einer angesehenen, aristokratischen Familie stammt. Nach seinem Tod im Jahr 656 wird Ali ibn Abi Talib (656 bis 661) vierter Kalif. Mit ihm beginnt sich die islamische Welt zu teilen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2014)

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