Wie war das damals im Krieg?

Rudolf Berghofer aus Hauskirchen (NÖ) war im Polen-Feldzug vor 75 Jahren.
Rudolf Berghofer aus Hauskirchen (NÖ) war im Polen-Feldzug vor 75 Jahren.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Drei ehemalige österreichische Wehrmachtssoldaten erinnern sich an den vor 75 Jahren entfesselten Zweiten Weltkrieg. Man war damals "jung und aufgehetzt", sagt einer von ihnen.

„Ich geb's zu“, sagt der heute 92-jährige Franz Rechberger und schaut etwas verschmitzt, aber mit freundlichem Blick durch seine Brille, „wir haben damals geglaubt, das ist halt ein Abenteuer, der Krieg“. Er war zwar nie ein Nazi – die Hitlerjugend boykottierte er („ein Kasperltheater“). Aber, soviel sei gesagt, er hatte „schon immer eine soldatische Ader“. Sein Schulfreund in Hagenberg, Oberösterreich, der „Edl“, wäre auch sehr gern in den Zweiten Weltkrieg gezogen. Und klagte deshalb in einem Brief an Rechberger, dass er schon wieder „zurückgestellt“ wurde. Untauglich für die Wehrmacht. Als Rechberger die Post erhielt, hatte er ihn bereits getroffen: den Krieg. „Sei doch froh“, schrieb er seinem alten Schulfreund von der Front zurück. „Es ist nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben und es ist dir nicht egal, wenn links und rechts von dir deine besten Kameraden fallen.“ Die Antwort aus der Heimat fiel in etwas empörtem und anklagendem Ton aus: „Ich kann nicht verstehen, dass du in der kurzen Zeit deine Meinung so geändert hast.“

Doch Rechberger hatte da schon das „markerschütternde“ Geheul der Sturzkampfbomber in den Ohren gehabt. Er hatte das leise, bitterliche Weinen des Feldkochs gehört, der Milchreis für eine ganze Kompanie zubereitet hat, aber nur noch etwa ein Dutzend lebende Abnehmer fand. Er wusste auch um das Geräusch, wenn Leichen aufeinander geworfen werden – nachts mussten sie die Gefallenen einsammeln. Rechberger hatte die Schreie („Ihr tuat's ma weh!“) im Ohr, die ein Verwundeter macht, wenn man ihn in Sicherheit trägt. Und er kannte auch die Angst davor, dass der Scharfschütze, der da gerade den Kameraden angeschossen hat, nun auch die Helfer ins Visier nimmt.

Später wird er sich selbst hören, wie er auf dem Marsch in ein russisches Gefangenenlager einen engen Freund anfleht: „Wir sind ledig. Aber du hast eine Frau daheim und Kinder. Steh auf. Bitte!“ Sein Freund wird nicht mehr aufstehen. Und Rechberger wird sich, abgemagert auf 39 Kilo bei 1,64 Meter Körpergröße, in Gedanken vorsagen: „Dein Vater hat die Gefangenschaft im Ersten Weltkrieg überlebt. Du wirst sie im Zweiten Weltkrieg überstehen.“

Franz Rechberger, der da auf dem Sofa eines Einfamilienhauses in Wiener Neudorf sitzt und erzählt und erzählt, ist einer der letzten Überlebenden der Schlacht von Stalingrad und einer von 1,2 Mio. Österreichern, die im Verlauf des Zweiten Weltkriegs in der Wehrmacht kämpften. Diesem Minenfeld auch der österreichischen Geschichte.

Die Presse

Heute weiß man, dass die „saubere Wehrmacht“ ein Mythos ist. Auch die von der „Presse am Sonntag“ befragten ehemaligen Soldaten wurden teils Zeugen von Kriegsverbrechen. Genauso falsch ist es, Wehrmachtssoldaten pauschal zu verurteilen. Dieser Balanceakt zwischen Verklärung und Kollektivschuld ist über Generationen hinweg in den allermeisten Fällen misslungen.

„In meiner Generation hat man das Thema totgeschwiegen“, sagt Rudolf Seewald, 97 Jahre alt, aus Dornbirn. „Wir Österreicher hatten ja Dreck in jeder Menge am Stecken.“ Und die Jungen, so empfindet er das, brachen zugleich allzu leichtfertig den Stab über seine ganze Generation: „Man hat uns vorgeworfen, dass wir alle Mörder sind. Ich persönlich bin sicher kein Mörder. Ich habe niemals jemanden erschossen. Aber man hat mich dazu abgerichtet. Ich hätte müssen, wenn es so gewesen wäre, nicht wahr.“ Er habe damals die Wahl gehabt: „Soll ich in den Krieg gehen oder mich erschießen lassen? Ich hab' mich lieber nicht erschießen lassen.“ Und nun liegt dieser Vernichtungskrieg bald ein Menschenleben zurück, 75 Jahre sind es am 1.September seit dessen Beginn, und immer mehr Zeitzeugen schweigen für immer.


Jung und aufgehetzt. Der heute 92-jährige Rudolf Berghofer war in einer Luftflotte in Polen dabei, als Adolf Hitler die Fesseln des Kriegs löste. „Kein Honiglecken“, der Polen-Feldzug, sagt er. Mehr nicht. Ein Jahr zuvor war der spätere Gärtner aus dem Weinviertel zufällig als 16-jähriger Bursch in Wien gewesen, als „der Hitler“ einmarschierte. „Die Leute sind an der Ringstraße auf den Alleebäumen gesessen, weil's unten keinen Platz mehr gab. Ganz schwarz waren die Bäume vor lauter Menschen.“ Und wie sah er das? „Ja, mein Gott, man hat keine Ahnung gehabt. Man dachte, das Wunderzeitalter bricht an. Es wird alles besser“, sagt er. „Man war jung und aufgehetzt.“

Ein paar Jahre später im russischen Rostow am Don. „Ich bin im Vorkommando in ein Haus gegangen. Kein Mensch war da. Am Tisch lagen panierte Fische, fertig zum Rausbacken“, erinnert sich Berghofer. „Aber wie gesagt: Niemand im Haus. Dann bin ich raus. und sah eine Kolonne, Frauen mit Kindern im Arm und so weiter. Sie wurden in Richtung der Gräben geführt, die Bagger zuvor ausgehoben hatten. Und dann (...)“

„Na fürchterlich. Mir läuft es heute noch kalt über den Rücken hinunter. Ich will da gar nicht drüber reden.“ Und dann erzählt er doch von sich aus weiter: „Ich bin zum Kompaniechef und hab' ihn gefragt, was das soll. Und er hat nur gesagt: ,Sei ruhig. Red' kein Wort, sonst bist gleich dort bei denen, wenn dich wer hört'.“ Bei den Juden.

Szenen wie diese holen Zeitzeugen oft erst auf Nachfrage aus dem Gedächtnis. Meist dreht sich viel um technische Details. Berghofer kann noch die Codewörter aufzählen, als er bei den Nachtjägern in Belgien war. „Kirchturm“ beschrieb die Höhe der feindlichen Bomber, „Rolf“ stand für „rechts“, „Lisa“ für „links“. Mit „Pauke Pauke“ meldeten ihnen die Piloten einen Abschuss. Ein bisschen wirkt es, als sei der Sinn hinter solchen Schilderungen auch, der Erinnerung den Schrecken zu nehmen.

Das scheint auch bei Franz Rechberger so, einer echten Frohnatur. Seine Frau kennt die Kriegsgeschichten des Stalingrad-Veteranen auswendig. Sie gibt ihm Stichwörter, korrigiert ihn, falls er den Namen eines Hauptmanns verwechselt – und weist ihn auf die Anekdoten hin, die er vergessen hat zu erzählen („die Geschichte mit dem Fliegertuch, Franzl!“). Doch plötzlich sagt sie: „Das hab' ich auch erst ganz selten gehört.“ Franz Rechberger schildert ein Feuergefecht. Drei Russen sprangen aus einem Graben. Zwei hat er getroffen. „Ich weiß nicht, ob sie tot oder nur schwer verwundet waren.“ Solche „grauslichen Kampfhandlungen“ spare er aber aus, wenn er mit seinen vier Kindern und acht Enkerln über den Krieg spreche. Er erzähle dann lieber über die russische Frau, die ihn gesund pflegte in Stalingrad und die er Mutter nannte. Oder das Mädchen, das ihm später bei der Arbeit im Steinbruch in der Gefangenschaft heimlich Erbsen zugesteckt hat. Er selbst hatte zuvor im Krieg den Befehl zur Exekution von zwei Russen verweigert. „Ich hab' gesagt: ,Herr Leutnant, das kann ich nicht machen.''' Ein Nebenmann konnte. „Ich hab' immer versucht, ein Mensch zu bleiben“, sagt Rechberger. In einer menschenfeindlichen Umgebung.

Wenn die Welt in Flammen steht, verschieben sich auch die Bedürfnisse und Ansprüche dramatisch. Rudolf Berghofer fühlte sich nach dem Russlandeinsatz bei den Nachtjägern in Belgien „wie im Paradies“. Und als Rudolf Seewald, dessen Sturmgeschütz-Abteilung 242 im Großen Donbogen schon eingekesselt war, eines Tages mit seinen Kameraden und Geschützen auf Sardinien lag, „waren das schöne Ferien“. So grotesk ist der Krieg, dass selbst eine Schusswunde zum „Glücksfall“ wird. Seewald wurde in Monte Cassino kurz nach der Ankunft verwundet. „Wir hatten dort derart schwere Verluste gehabt. Es war daher ein glücklicher Schuss“, sagt er. Ein sogenannter Heimatschuss.

„Jämmerlicher Applaus“.
Im deutschen Lazarett sollte ihm seine Frau am 20. Juli 1944 vom Hitler-Attentat erzählen. Dem Absolventen einer Jesuitenschule und Verfechter des „Ständestaats“ („der heute politisch zur Sau gemacht wird“), zauberte die Nachricht ein Lächeln ins Gesicht. „Doch auf dem Kameradschaftsabend hieß es dann: „,Die Vorsehung hat unseren heiß geliebten Führer gerettet.' Und ja, man hat ganz jämmerlich applaudiert. Man musste, sonst wäre man aufgefallen.“, sagt Seewald, heute vierfacher Großvater, pensionierter Rechtsanwalt, Buchautor und trotz Kriegsverletzung am Bein und Sehbehinderung 97-jähriger Radfahrer.

Nach Kriegsende sitzt Rudolf Berghofer in der Transsibirischen Eisenbahn gefangen, weit im Osten auf der Höhe des Baikalsees. „Auf einmal hat's geheißen: Wir kommen doch zu den Amerikanern.“ Nach einer Odyssee wird er eines Tages aus einem Zug bei Melk springen und durch den Wald ins Haus seiner Frau schleichen. Und dort sieht er sie das erste Mal: seine sechs Monate alte Tochter: „Für mich war das der schönste Moment.“ 247.000 Österreicher sind niemals zurückgekehrt.

Der „schlimmste Moment“ war für Franz Rechberger, als sein bester Freund, der „Sepp“, im Gefangenenlager starb. Mit ihm hatte er den Kameraden in Stalingrad aus dem Sichtfeld des Scharfschützen getragen und sich später Konservendosen geteilt. „Plötzlich war ich ganz allein.“ Nach seiner Rückkehr 1947 schwor sich Rechberger, nie wieder einen Fuß nach Russland zu setzen. Tatsächlich war er seither 15 Mal in Stalingrad, schloss Freundschaften mit russischen Offizieren. Und immer wieder geht er auf die „Höhe 102“, wo sie die Gefallenen einsammelten und der Koch so bitterlich weinte. „Ich geb's zu“, sagt er. „Da zieht's mir heute noch die Ganslhaut auf.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Deutsche Panzereinheit am Fluß Brahe (Brda)
Polenfeldzug 1939

Ein erwarteter Überfall

 Stefan Karner (Archivbild)
Zeitreise

»Die Erinnerung ist ein Produkt der Zwischenzeit«

Der Historiker Stefan Karner, Gründer und Leiter des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung in Graz, über das Erinnern als Zeitzeuge an den Zweiten Weltkrieg und was gern kollektiv vergessen wird.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.