200 Jahre „Star-Spangled Banner“: Flagge ist noch immer da

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Der erste Angriffskrieg der jungen USA endete 1814 in einer blamablen Niederlage gegen die Briten. Ein patriotisches Gedicht half bei der propagandistischen Umdeutung – und wurde zu Amerikas Hymne.

So kann man sich täuschen: „Die Aneignung von Kanada heuer, bis hinauf nach Quebec, wird ein bloßer Fußmarsch sein“, erklärte Thomas Jefferson, der dritte Präsident der Vereinigten Staaten, kurz nachdem sein Nachfolger James Madison 1812 Großbritannien den Krieg erklärt hatte. Noch weiter lehnte sich Henry Clay, Vorsitzender des Repräsentantenhauses, aus dem Fenster: „Die Miliz von Kentucky allein wird in der Lage sein, Montreal und Oberkanada dem Kongress zu Füßen zu legen.“

Schnell sollte sich diese Überheblichkeit rächen. Die Hoffnung von Präsident Madison, die Briten seien mit ihrem Krieg gegen Napoleon so stark beansprucht, dass sie ihre kanadischen Kolonien nicht verteidigen könnten, verpuffte rasch im Pulverdampf einer 4000 Mann starken britischen Flotte, die die amerikanischen Küstenfestungen kurz und klein schoss. Im August 1814 überrannten die Rotröcke die schlecht ausgebildeten und miserabel befehligten amerikanischen Bürgermilizen rund um die Hauptstadt Washington.

Am 24. August hatten sie die letzten Verteidiger der neuen Hauptstadt verscheucht und begannen damit, ein Regierungsgebäude nach dem anderen anzuzünden – allen voran das Weiße Haus. Noch heute kann man bei genauerem Hinsehen an ein paar Stellen der Residenz des amerikanischen Präsidenten verkohlte Stellen entdecken.

Eine amerikanische Reliquie

Madison, der aus Washington geflohen war, nahm die Aussichtslosigkeit seines imperialen Abenteuers zu Kenntnis. Er schickte zwei Offiziere nach Baltimore, um mit dem britischen Oberbefehlshaber, Admiral Sir George Cockburn, einen Waffenstillstand auszuhandeln. Die britische Flotte lag vor Baltimore und nahm dessen Fort McHenry unter schweren Artilleriebeschuss – erstmals nicht nur aus Kanonen, sondern mit primitiven Raketen. Die beiden amerikanischen Unterhändler trafen während der schwersten Gefechte am 13. September 1814 bei den Briten ein; weil sie nach Verhandlungen mit britischen Offizieren über deren weitere Angriffspläne informiert waren, wurden sie inhaftiert. Und so mussten sie aus der Ferne zuschauen, wie Fort McHenry unter schweren Bombenhagel geriet.

Als am nächsten Morgen über der Festung eine zerfetzte amerikanische Flagge zu sehen war, hatte einer der beiden Unterhändler, ein 35-jähriger Jurist namens Francis Scott Key, eine Eingebung: Rasch floss ihm ein heroisches Poem aus der Feder, das die tapfere Verteidigung der Feste pries. „Defence of Fort M'Henry“ nannte Key das Gedicht, das er, von den Briten freigelassen, gleich in der Woche nach der Schlacht um Baltimore in einer patriotischen Zeitschrift veröffentlichte. Die junge Republik brauchte eine Hymne, befand Key, und das hier sollte der Text sein. Die Musik stammte ironischerweise von einem Engländer, dem Komponisten John Stafford Smith; das Lied „To Anacreon in Heaven“, im 18. Jahrhundert in Londoner Privatklubs gerne und häufig gesungen, hatte den Sprung über den Atlantik geschafft und war auch in Amerika zu einem volkstümlichen Schlager geworden.

Das Land der Freien, das Heim der Tapferen, wo der grelle Schein der Raketen den Umstand beleuchtet, dass das sternenübersähte Banner weht und die Flagge noch immer steht: Kaum eine andere Nationalhymne – mit Ausnahme der „Marseillaise“ vielleicht – ist seither so eng mit dem Werden einer neuen, kraftvollen Republik verbunden. Die Amerikaner lieben ihr „Star-Spangled Banner“, wie das Lied per Kongressbeschluss seit 1931 heißt. Vor jeder Sportveranstaltung erhebt sich das Publikum und singt inbrünstig die erbauliche erste Strophe. Die Flagge von Fort McHenry, die britischen Beschuss überstand, wird heute im Smithsonian Museum in Washington wie eine heilige Reliquie gehütet. Und ihr symbolischer Gehalt wird stets neu aufgeladen, wenn Amerika bedroht wird: Einige Fetzen des Banners wurden im Jahr 2012 in eine Flagge eingenäht, mit denen der Terrorangriffe vom 11. September 2001 gedacht wird. Das Sternenbanner, sowohl in seiner gegenständlichen Form als auch als Hymne, ist ein Meisterstück der patriotischen Propaganda.

Bei genauerem Hinschauen offenbaren sich einige Abgründe. Key zum Beispiel besaß so wie Präsident Madison Sklaven. Seine Nachkommen waren im Amerikanischen Bürgerkrieg auf Seiten der südlichen Sklavenhalterstaaten, und Key selber spielte sowohl in der aggressiven militärischen Ausdehnung der USA unter Präsident Andrew Jackson als auch bei der Förderung der juristischen Karriere von Roger Taney, dem Präsidenten des Supreme Courts, eine Schlüsselrolle, wie Andrew Cockburn (übrigens ein entfernter Nachfahre des britischen Admirals) in einem Essay in der aktuellen Ausgabe des „Harper's Magazine“ erinnert. Taney hat jene schändliche Entscheidung des Gerichtshofes namens „Dred Scott“ zu verantworten, in der die Höchstrichter befanden, schwarze Sklaven seien keine Menschen, sondern Vermögensgegenstände, und könnten darum nicht auf ihre Freilassung dringen.

Britische Sklavenbefreier

Keys Hymnentext offenbart sein Menschenbild. Jedermann kennt die erste Strophe, mit ihrem Appell an die Freiheit und Tapferkeit. Kaum bekannt ist jedoch die dritte Strophe, in der es heißt: „Keine Zuflucht konnte den Söldner und Sklaven retten / Vor dem Schrecken der Flucht, und der Düsternis des Grabes“. Kein Wunder, dass diese Worte heute nicht mehr gesungen werden. Kaum erwähnt wird bei den nun allerorten stattfindenden Jubiläumsfeiern, dass die damalige britische Strafaktion gegen die USA mindestens 6000 schwarzen Sklaven die Freiheit schenkte. Viele von ihnen wurden von den Briten militärisch ausgebildet und sorgten als fähige und verständlicherweise hoch motivierte Royal Marines bei ihren früheren amerikanischen Herren für Angst und Schrecken. Nach dem Krieg von 1812 übrigens siedelten sich diese schwarzen britischen Soldaten in Kanada und auf Trinidad an, wo ihre Nachkommen heute „Merikens“ heißen.

Insofern ist es schlüssig, dass manche kritischen Beobachter heute das „Star-Spangled Banner“ als perfekte Nationalhymne einer Nation sehen, die auch im dritten Jahrhundert ihres Bestandes mit vielen Widersprüchen ringt. Dazu passt, dass das Lied 1931 unter dem konservativen Präsidenten Herbert Hoover in den offiziellen Stand erhoben wurde, nachdem bekannt geworden war, dass linke Politiker in einer Kleinstadt in Pennsylvania ihre Sitzungen mit dem Absingen der „Internationale“ eröffneten.

AUF EINEN BLICK

Am 14.September jährt sich die Entstehung des Textes der US-Nationalhymne zum 200.Mal. Der Offizier und Jurist Francis Scott Key hat am 14.September 1814 in britischer Kriegsgefangenschaft angesichts der Schlacht um Baltimore ein heldisches Gedicht auf die zerfetzte Fahne der amerikanischen Verteidiger von Fort McHenry verfasst. Sechs Tage später veröffentlichte er es und vereinte es mit der Musik eines englischen Gassenhauers. Seit 1931 ist „The Star-Spangled Banner“ die amtliche Hymne der Vereinigten Staaten; sie wird vor jeder Sportveranstaltung gesungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2014)

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