Abgetrennter Kopf: Geschichte öffentlicher Enthauptungen

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Gräueltaten zur Abschreckung haben eine lange Tradition, die öffentliche Enthauptung gehört dazu. Die erste Beschreibung stammt aus dem zwölften Jahrhundert vor Christus. Die Verbrechen des IS erinnern uns daran.

Sie haben ihn erschlagen. Erschlagen, und anschließend sind sie mit dem abgeschnittenen Kopf auf einem Floß zurück nach Uruk gereist. So viel weiß man von Gilgamesch und Enkidu, den ungleichen Freunden, die ausgezogen waren, um Chumbaba zu töten. Es ist die erste beschriebene Enthauptung der Geschichte: Das Gilgamesch-Epos ist in Keilschrift verfasst und wird auf das zwölfte Jahrhundert vor Christus datiert.

Warum sie den Kopf mitgenommen haben? Um die Tat zu beweisen? Mit ihr zu protzen? Sollte so die Kraft des Gegners auf sie übergehen? Möglich auch, dass Gilgamesch und sein Freund so ein Weiterleben im Jenseits verhindern wollten. Assurbanipal, einer der Nachfolger des Gilgamesch als Herrscher im Zweistromland, ließ niederschreiben, was ihn antrieb, als er Ähnliches verbrach: „Seine Leiche gab ich nicht zur Bestattung frei; ich erhöhte den Zustand seines Tot-Seins, indem ich seinen Kopf abschlug und ihm um den Hals hängte.“ Der Tote, er ist toter als tot, die Person vollständig vernichtet.

Verstümmelte Körper wurden schon damals offensiv eingesetzt, um Terror zu verbreiten. Assurnasirpal II. ließ nach der Einnahme von Tela besiegte Krieger enthaupten und die Köpfe in die Bäume im Umkreis der Stadt hängen. Diese Form der Zurschaustellung ist ein Klassiker des Grauens. Der schottische Freiheitskämpfer William Wallace etwa wurde geköpft und gevierteilt: Sein Haupt wurde auf einen Pfahl gespießt und auf der Tower Bridge gezeigt, die anderen Teile seines Körpers in Berwick, Newcastle, Perth und Stirling – auf dass niemand mehr die Autorität Englands infrage stelle. Durchaus üblich im 14.Jahrhundert.

Der Kopf der Medusa

Heute? Hat Europa andere Formen gefunden, Konflikte zu lösen, als mit Hinrichtung und Leichenschändung? Großbritannien etwa reagiert auf Unabhängigkeitsbestrebungen der Schotten mit einem Referendum. Gevierteilte kommen allenfalls in Romanen von Josef Winkler vor. Und bevor Isis das Netz mit den Videoaufnahmen und Fotos seiner Verbrechen geflutet hatte, kannten wir Abbildungen von Enthauptungen bzw. abgetrennten Köpfen nur aus dem Museum – und dann als Erinnerung an Geschichten aus biblischen und vorbiblischen Zeiten, als Auge um Auge, Zahn um Zahn galt. Das scheint uns so fern! Wir denken an das Haupt des Johannes, das Salome für ihren berühmten Schleiertanz von Herodes forderte, auf einem glänzenden Teller dargebracht. An Judith, die den Holofernes bezirzte, ihn von den Wachen weglotste und ihm dann den Kopf abschnitt. Natürlich: an die Medusa! Ihr abgetrennter Kopf könnte als Metapher dafür stehen, wie man mit einem einzigen Schlag noch lange Schrecken und Angst verbreitet: Denn der grauenerregende Blick blieb der Medusa noch im Tode: Perseus trug den Schädel in einem Beutel bei sich. Wenn er in Bedrängnis kam – oder sich auch nur ärgerte – holte er ihn hervor, um sich seiner versteinernden Wirkung zu bedienen. Davor warnte er: „Wer mein Freund ist, der wende nun sein Gesicht ab.“

Der abgeschlagene Kopf: Angst, Terror, Versteinerung.

Dabei ist die Enthauptung keine Tötungsart aus dem Altertum. Man muss nicht gar so viele Jahrhunderte zurückgehen, und man findet etwa jene Grausamkeiten, die Goya beobachtet und im berühmten Radierungszyklus „Los desastres de la guerra“ festgehalten hat. Oder man liest von jener wütenden Menge, die die Köpfe der Leibwächter Ludwigs XVI. auf Spießen durch die Straßen getragen hat. Der König selbst starb später durch die Guillotine (und sein Kopf wurde im Triumph der Menge präsentiert).

Guillotine sollte „Qualen begrenzen“

Die Guillotine war im Zuge der Französischen Revolution erfunden worden, weil die Enthauptung durch das Schwert als zu ineffizient und als zu schmerzhaft galt. Ihr Erfinder wollte „die Qualen begrenzen“. Zudem galt es – so paradox das klingen mag –, eine Hinrichtungsart, die ein „Privileg“ des Adels war, der gesamten Bevölkerung zukommen zu lassen. Bis dahin endete der „gemeine“ Verbrecher am Galgen oder wurde gerädert.

Die Guillotine revolutionierte die Praxis der Hinrichtung. So praktisch erschien sie den Staaten, dass sie in Deutschland bis 1949, in Frankreich gar bis 1977 in Gebrauch war. Was uns weniger im Gedächtnis haftet, weil nicht öffentlich hingerichtet wurde.

Es ist der Weg der Moderne: Er führt über die Erkenntnis, dass der Tod selbst Strafe genug ist und möglichst wenig Schmerzen bereiten sollte, über ein Verbot öffentlicher Hinrichtungen, die den Verurteilten noch im Tode demütigen, bis zur Abschaffung der Todesstrafe: Kein Mensch soll einen anderen töten, auch nicht von Staats wegen.

Öffentliche Enthauptungen gibt es nur mehr im arabischen Raum, etwa in Saudiarabien. Der IS aber führt noch weit in die Zeit vor der Französischen Revolution zurück, als mit Folter gestraft wird und kein Gericht urteilt: Was die Schergen tun, ist eben keine Hinrichtung, das würde ihnen eine Autorität (für jene, die für die Todesstrafe sind, sogar eine Legitimität) zusprechen, die sie nicht haben. Und es würde bedeuten, dass es ein Verbrechen gäbe, dessen sich die Opfer schuldig gemacht hätten.

Es ist ein Rückfall in jene Zeiten, als nichts den Einzelnen geschützt hat, kein Gesetz, kein Staat, in denen das Recht des Stärkeren alles war – und das Individuum nichts.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2014)

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