"Das größte Geheimnis soll man mit in die Grube nehmen"

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Das Bankgeheimnis ist so alt wie das Bankwesen selbst. Die italienischen Banken der Renaissance haben es bereits praktiziert, für Österreich und die Schweiz wurde es zum nationalen identitätsstiftenden Symbol. Eine Rückschau.

Zweifellos hatte die Überweisung eines Geldbetrags vor 400Jahren mehr Stil als unsere heutigen, nervtötenden IBAN - Zahlenkolonnen. Begleiten wir zum Beispiel den Kaufmann Franz Carabello aus Mailand, der sich am 24. Februar 1593 mit einem Blatt Papier zu seinem Bankinstitut begab und folgenden Auftrag gab: „Zahlet für mich an Franz Porta Kaiserliche Lire 500 aus, welche ich ihm als Betrag der Kosten und vertragsmäßigen Preis für einen Ballen Wolle zahle, und traget sie in meine Rechnung ein! Lire 500. Franz Carabello.“ Erhalten ist uns das Dokument als Teil eines Konvoluts von Statuten und Regeln der im 16. Jahrhundert gegründeten Mailänder „Bank des Heiligen Ambrosius“. Eine der Regeln von 1593 erinnert entfernt an das Beichtgeheimnis der katholischen Kirche, es nimmt die Bankangestellten gestreng in die Pflicht: „Man gebe niemandem Aufschluss über andere außer dem Anfragenden über sich selbst, desgleichen dessen Bevollmächtigten, Erben usw. bei Strafe des Amtsverlustes und noch größerer Strafe.“

Es wäre jedoch ein Trugschluss, wollte man die Erfindung des Bankgeheimnisses mit der ersten Blüte der italienischen Banken im 16. Jahrhundert datieren. Wir können getrost zurückgehen auf die Anfänge der menschlichen Zivilisation, die Sumerer. Sie kannten noch keine Münzen, aber bereits Bankgeschäfte. Als Zahlungsmittel dienten Getreide und Silber. Im „Codex Hammurapi“ etwa 1700 vor Christus findet man die erste Beschreibung von Finanztransaktionen mit dem Zusatz, dass der Bankier im Falle eines Streites mit dem Kunden die Möglichkeit hatte, die bei ihm verwahrten Unterlagen zugänglich zu machen. Diese Ausnahmeregelung erscheint nur dann sinnvoll, wenn die Geheimhaltung des von der Bank verwalteten Vermögens als allgemein gültige Norm angesehen wurde.

Im deutschsprachigen Raum betrieben zunächst die großen süddeutschen Handelshäuser der Fugger und Welser Bankgeschäfte, die erste Bank im eigentlichen Sinn entstand mit der Errichtung der kommunalen Hamburger Bank 1619. Vom Gründungstag an findet sich im Artikel sechs der „Ordnung und Articuli“ die Bestimmung: Wenn „jemand nach eines anderen Partie frage“, solle der Buchhalter ihm „keineswegs etwas davon vermelden“, vielmehr sei es ihm bei höchster Strafe verboten, einem Außenstehenden mitzuteilen, „was in Banco passiret und geschrieben wird“. Mitarbeiter und Verwaltung der Bank mussten darauf einen Eid ablegen. Die Beispiele aus dem italienischen und deutschsprachigen Raum demonstrieren: Das Bankgeheimnis ist so alt wie das Bankwesen selbst.

Das scheue Reh. Den absolutistischen Herrschern war die Wahrung des Bankgeheimnisses ein besonderes Anliegen. Am berühmtesten ist das „Reglement“ des Preußenkönigs Friedrich des Großen von 1765. Der „alte Fritz“ hat der Nachwelt nicht nur die Tradition des Kartoffelanbaus hinterlassen, sondern auch eine Bestimmung, mit der er „bey unserer Königlichen Ungnade“ streng verbot, „nachzuforschen, wie viel ein anderer auf sein Folium zu gute habe“. Weiters sollte „niemand von denen Bancoschreibern sich unterstehen, solches zu offenbaren, weder durch Worte, Zeichen oder Schrift bey denen Strafen, die meyneidige zu erwarten haben. Zu dem Ende sollen sie schwören, dass sie alle Geschäfte [...] als das größte Geheimnis mit in die Grube nehmen werden.“ Schon lange vor Karl Marx' Diktum – „Das Kapital ist ein scheues Reh“ – wussten die Staatenlenker, die ihr Territorium wirtschaftlich voranbringen wollten, dass das Geld, dieses quecksilbrigste und allerflüchtigste aller Wirtschaftsgüter, nur in den Gebieten gerne blieb, wo es sich sicher fühlen konnte. Der autoritäre Fürstenstaat hatte noch die Möglichkeit, mit strengen Gesetzen finanzstarke Untertanen zu schützen. Im Zeitalter der Globalisierung kann sich das „scheue Reh“ jederzeit nach Belieben die Lichtungen suchen, die ihm behagen.

Eines wussten also italienische Bankiers und absolutistische Herrscher: Um das Geschäftsmodell „Bank“ zu installieren, brauchte es Diskretion und Seriosität. Die Bank wusste ja schließlich nicht nur über den Kontostand des Kunden Bescheid und damit darüber, ob er ein guter oder schlechter Schuldner ist, sondern sie wusste auch viel über vertrauliche Details des Privatlebens. Ein durchschnittlich intensiver Bankkontakt führt zu einer gewaltigen informationellen Auslieferung: Etwa über Unterhaltszahlungen für uneheliche Kinder, Alimente, Scheidung, aus dem detaillierten Konsumprofil lassen sich Rückschlüsse auf die Lebensweise ziehen.

Der Grundsatz der Vertraulichkeit war also über Jahrhunderte besonders essenziell für Bankgeschäfte. Trotzdem gibt es nur sehr spärlich Dokumente dazu. Das Wort „Bankgeheimnis“ selbst taucht im deutschsprachigen Raum erst in den Statuten der Preußischen Bank von 1846 auf. Die liberalistische Weltanschauung der Zeit gestand dem Staat wenige Eingriffsbefugnisse zu, Steuerbehörden besaßen keinerlei Auskunftsrechte, sondern waren auf Schätzungen angewiesen.

Dubiose Kapitalströme. Überraschenderweise fehlten trotz des offensichtlichen Vorhandenseins eines Bankgeheimnisses in fast allen europäischen Ländern gesetzliche Bestimmungen, die die Geheimhaltungspflicht der Banken regelten. Das gewohnheitsrechtliche Prinzip wurde mehr oder weniger aus dem traditionellen Geschäftsverhältnis zwischen Bank und Kunden abgeleitet. Es knüpft somit an den Berufsgeheimnisschutz an: Für bestimmte Berufsgruppen war das Vertrauensverhältnis zu ihren Klienten unabdingbar. So verzichtete man über Jahrhunderte auf eine besondere gesetzliche Ausgestaltung. Das änderte sich erstmals vor 80 Jahren.

Am 26. Oktober 1932 erhielt die Pariser Steuerfahndung einen brandheißen Tipp. Zwei Direktoren der angesehenen Basler Handelsbank wurden in einem luxuriösen Hotelzimmer dabei erwischt, wie sie gut situierten Franzosen dabei halfen, Dividendenscheine heimlich in die Schweiz zu transferieren, um die französische Couponsteuer zu vermeiden. Bei der anschließenden Razzia wurden 2000 Franzosen ertappt, unter ihnen Bischöfe, Generäle, ein Herr Peugeot. Zwei Milliarden Francs waren am Fiskus vorbei in die Schweiz transferiert worden. Ein Eklat der Sonderklasse. Nur mit Mühe konnte die Schweiz die beiden verhafteten Bankdirektoren freikaufen. Der Skandal war die Geburtsstunde der Kodifizierung des legendärsten aller existierenden Bankgeheimnisse: 1934 verabschiedete die Schweiz das entsprechende Gesetz, es wurde im Ausland bis heute als Lockmittel für dubiose fremde Kapitalströme beargwöhnt, für die Schweiz selbst aber wurde es zu einem besonderen, identitätsstiftenden nationalen Symbol. Als die nationalsozialistischen Behörden Deutschlands – auf der Suche nach jüdischem Privatvermögen – die Offenlegung ausländischer Konten verlangten, hatte die Schweiz eine gesetzliche Grundlage zur Auskunftsverweigerung.

Auch für Österreich wurde das Bankgeheimnis zu einem besonderen Juwel der Identitätsfindung. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren in dem wirtschaftlich darniederliegenden Land große Mengen an Schwarzgeld im Umlauf. Das Geld sollte nicht unter den Kopfpolstern landen, sondern den Banken zur Verfügung stehen, die Anonymität der Konten sollte das Vertrauen der Bevölkerung in den Bankenapparat stärken. Ein taktischer Verzicht der Finanzverwaltung auf die abgabenrechtliche Auskunftsverpflichtung der Banken half, die Funktionsfähigkeit des österreichischen Kreditwesens wiederherzustellen. Gesetzlich geregelt wurde das Bankgeheimnis 1979.

Im Ministerrat vom 22.2.2000 fiel dann der Satz „Wir sind keine Bananenrepublik, die der Geldwäsche Tür und Tor öffnet“ (Karl-Heinz Grasser), der Allerseelentag des Jahres 2000 erschien als der geeignete Tag, um die Anonymität der Sparbücher zu Grabe zu tragen. Demonstrativ entschloss man sich, zumindest das Bankgeheimnis als besonderen strategischen Faktor des Finanzplatzes Österreich zu betonen. Schließlich war es aus eben diesem Grund in die „beliebte Mythensammelanstalt“ (Michael Fleischhacker), die österreichische Verfassung, bugsiert worden, doch die Mitgliedschaft in der EU erwies sich als nicht kompatibel mit der Bewahrung von anachronistischen Heiligtümern. Österreich, die Schweiz, Liechtenstein und Luxemburg konnten es sich vor der internationalen Öffentlichkeit nicht mehr leisten, in den Schmuddelkeller der Steueroasen gestellt zu werden und mussten neue Modelle akzeptieren. In Österreich läuft das Bankgeheimnis für ausländische Kontoinhaber, nunmehr als „Geschäftsmodell Steuerhinterziehung“ diffamiert, 2016 aus, „Omas Sparbuch“ wird von der heimischen Politik weiterhin unter Schutz gestellt. Aber das wird angesichts der niedrigen Zinslage ohnehin von der Inflation aufgefressen.

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1593Im Statut einer Mailänder Bank wird die Verschwiegen-heitspflicht der Bankangestellten geregelt.

1846Das Wort „Bankgeheimnis“ wird im deutschsprachigen Raum erstmals erwähnt. Es existiert ohne gesetzliche Bestimmung auf vertragsrechtlicher Grundlage (Berufsgeheimnis).

1934Die Schweiz legt das Bankgeheimnis in einem Bundesgesetz fest.

1979Österreich schreibt das Bankgeheimnis in § 23 des Kreditwesengesetzes (KWG) fest.

2016Ab 1. Jänner 2016 gilt in Österreich das Bankgeheimnis für ausländische Kontoinhaber nicht mehr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2014)

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