614, das Kreuz und der Islam: Der letzte Weltkrieg der Antike

614, das Kreuz und der Islam: Der letzte Weltkrieg der Antike
614, das Kreuz und der Islam: Der letzte Weltkrieg der AntikeAPA/EPA/ABIR SULTAN
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Vor 1400 Jahren eroberten die Perser Jerusalem.

Zu den zwischen Erster Weltkrieg, Wiener Kongress, dem Tod Karls des Großen und dem des Augustus leicht zu übersehenden Jahrestagen 2014 gehört die Eroberung Jerusalems durch die Perser im Jahr 614 n. Chr. Dabei markieren die Ereignisse um diese – in der Wahrnehmung der christlichen Zeitgenossen – Katastrophe sowohl das Ende der antiken Weltordnung als auch den Anbruch eines neuen Zeitalters mit der Entstehung des Islam.

Kalte und heiße Kriege

Seit dem 3. Jh. n. Chr. hatten die Römer und die Sasaniden, die sich als Nachfolger der alten persischen Großkönige verstanden, um die Vormacht im vorderen Orient gekämpft. Das Reich der Sasaniden im heutigen Iran und Irak war der einzige Gegner, den das Imperium als gleichrangige Großmacht anerkennen musste. Vom Kaukasus im Norden bis zur südarabischen Wüste führten die beiden Supermächte heiße und kalte Kriege, oft stellvertretend durch diverse verbündete kleinere Königreiche. Dass das Römische Reich seit Konstantin christlich, die Sasaniden aber Zoroastrier waren, heizte den Konflikt auch ideologisch an. Nach einem Jahrhundert der Entspannung wurde die Konfrontation im 6. Jh. wieder heiß; viermal führten Ostrom bzw. Byzanz und Persien Krieg gegeneinander, insgesamt 51 Jahre in diesem Jahrhundert.

Denn letzten dieser Kriege hatte Kaiser Maurikios (582-602) zu einem für Byzanz günstigen Ende gebracht, als er den sasanidischen Kronprinzen Chosrau II. gegen einen General seines Vaters, der sich selbst auf den Thron gesetzt hatte, unterstützte. Der „Regimewechsel“ glückte, und Chosrau II. trat 591 als Dank an den Kaiser wichtige Gebiete in Nordmesopotamien und im Südkaukasus ab. Maurikios aber wurde 602 seinerseits durch eine Meuterei der byzantinischen Armee gestürzt und fand mit seiner Familie einen grausamen Tod. Den römischen Kaiserthron bestieg der vormalige Unteroffizier Phokas.

Ein willkommener Anlass

Die Ermordung seine Wohltäters gab Chosrau II. die Gelegenheit, als Rächer des Maurikios militärisch gegen das Imperium vorzugehen – und die Territorien, die er zehn Jahre vorher abgetreten hatte, wieder zurück zu gewinnen. Eine Meuterei der Truppen an der Ostgrenze schwächte den Widerstand der Römer. Die Sasaniden begannen nun im Gegensatz zu früheren Feldzügen, die oft mehr Plünderungszügen glichen, systematisch Stadt für Stadt einzunehmen; das Ziel war dauerhafte Eroberung. Bis 610 hatten sie die beiden Festungsgürtel am Euphrat und in Westarmenien, die Kaiser Justinian ausgebaut hatte, überwunden; der Weg in die Kernprovinzen des Gegners war frei

Kein Frieden mit dem neuen Kaiser

Gegen die Herrschaft des Phokas erhob in der nordafrikanischen Provinz (im heutigen Tunesien) Widerstand; der Sohn des Statthalters von Karthago, Herakleios, zog mit einer Flotte gegen Konstantinopel. Phokas beorderte noch Truppen aus dem Osten nach Westen, um die Erhebung niederzuwerfen.

Herakleios konnte aber 610 in Konstantinopel landen, Phokas wurde hingerichtet. Damit war der Anlass für den vorgeblichen Rachekrieg Chosraus verschwunden. Aber der Großkönig dachte nicht daran, mit dem neuen Kaiser Herakleios Frieden zu schließen. Der Kampf zwischen Phokas und Herakleios hatte zum endgültigen Zusammenbruch der byzantinischen Grenzverteidigung im Osten geführt. Chosrau wollte daraus seinen Vorteil ziehen – und den Traum seiner Vorfahren, das alte Reich der Perser im ganzen Orient wieder zu errichten, erfüllen.

Das Imperium am Ende

Die Sasaniden drangen nun nach Kleinasien und Syrien vor – Provinzen, die seit Pompeius unter römischer Herrschaft standen. 611 eroberten die Perser Antiocheia (das heutige Antakya in der Südosttürkei), die drittgrößte Stadt des Reiches. Kaiser Herakleios, dessen Kassen leer und dessen Armeen in Auflösung waren, hatte dem wenig entgegenzusetzen. Dennoch unternahm er 613 eine Gegenoffensive, erlitt aber nahe Antiocheia eine bittere Niederlage. Damit war der militärische Widerstand des Reiches für einige Jahre nicht mehr existent. Noch 613 eroberten die Sasaniden Damaskus.

Im Jahr 614 belagerten und eroberten sie dann Jerusalem, wo sie die Überreste des wahren Kreuzes Christi, die Helena, die Mutter Konstantins des Großen, entdeckt haben soll, erbeuteten. Die Reliquie wurde nach Persien gebracht; der Fall der heiligen Stadt schien vielen Zeitgenossen als Zeichen des nahen Endes des christlichen Imperium Romanum. Und tatsächlich verschlimmerte sich die Lage des Kaiserreiches mehr und mehr: 615 standen persische Truppen erstmals an der kleinasiatischen Küste gegenüber von Konstantinopel. 618 drangen die Sasaniden in Ägypten ein, eroberten Alexandria und dann die ganze Provinz, bis dahin die Kornkammer des Reiches. Zur gleichen Zeit verwüstete das Reitervolk der Awaren die Balkanprovinzen. Kaiser Herakleios überlegte ernsthaft, Konstantinopel und den Osten des Reiches aufzugeben und nach Karthago zurückzukehren.

Die Sasaniden wurden keineswegs nur feindlich empfangen; die orientalischen Christen in Armenien, Syrien und Ägypten waren seit dem 5. Jh. von der orthodoxen Reichskirche dogmatisch getrennt und hatten in den vergangenen Jahrzehnten so manche Bedrückung erfahren. Geschickt präsentierte sich Chosrau II. als Christenfreund, förderte die orientalischen Kirchen und ließ in Ägypten Münzen mit seinem Antlitz auf der Vorder- und dem Kreuz auf der Rückseite prägen. Aber der lange Krieg beanspruchte auch die Ressourcen Persiens schwer – und durch die schnelle Expansion „bildete die persische Besatzungsmacht nur einen dünnen Mantel, der viele Löcher zeigte.“, wie Frank Thiess, der die Ereignisse in seinem Buch „Die griechischen Kaiser“ 1959 packend nach erzählte, schrieb. Darin sollte die Chance der Byzantiner liegen.

Das letzte Aufgebot

Herakleios beschloss den Kampf nicht aufzugeben– und fand im Patriarchen von Konstantinopel Sergios einen Verbündeten. Mit seiner Erlaubnis schmolz der Kaiser die Kirchenschätze der Hauptstadt ein und prägte neue Münzen. Damit konnte man sich den Frieden mit den Awaren erkaufen und neue Soldaten ausrüsten und besolden. Mit diesen neuen Kräften setzte Herakleios am Ostermontag 622 nach Kleinasien über und versammelte dazu die Reste der Ostarmee. Die Perser zeigten sich überrumpelt, denn der Kaiser konnte nicht nur seine neue Armee in harten Manövern für den Kampf vorbereiten, sondern über tausend Kilometer weit nach Osten bis Armenien marschieren. Erst dort stieß er auf Widerstand – und errang im August 622 einen Sieg über einen der persischen Oberbefehlshaber, der erste militärische Erfolg seit zwanzig Jahren. Die Byzantiner operierten weiter in Armenien und im Kaukasusgebiet, wo der Kaiser nicht nur die Unterstützung der dortigen Fürsten gewinnen, sondern auch direkt das persische Kernland bedrohen konnte. Chosrau II. soll angesichts des Feldzugs des Kaisers ausgerufen haben: „Ist das nicht der Mann, der aus Furcht vor mir schon in einen Abgrund getrieben worden war? Was ist dies nun?“

Der Kampf um Konstantinopel

Aber noch war die persische Macht stark – und der Rest des Reiches lag ihnen in Abwesenheit des Kaisers im Osten offen. 623 eroberten die Perser Ankara und plünderten Rhodos. Und 626 befahl Chosrau II. seinem Feldherrn Sharvaraz, wieder an die Meerengen vorzustoßen – und der Hauptstadt des Feindes den Todesstoss zu versetzen. Die Gelegenheit schien günstig, denn auch der Khan des Awaren hatte beschlossen, die Abwesenheit des Kaisers zu nutzen. Im Juli 626 marschierte er mit zehntausenden seiner Reiter und slawischen Hilfstruppen vor Konstantinopel und befahl den Sturmangriff.

Doch der dreifache Mauerring, der im 5. Jh. angelegt worden war, hielt stand. Die Leitung der Verteidigung hatte Patriarch Sergios übernommen. Zu Lande konnte der Khan Konstantinopel auch nur von einer Seite angreifen, während die Stadt sonst vom Meer umgeben war – und hier war die oströmische Flotte überlegen. Als der Khan seinen slawischen Verbündeten befahl, mit einfachen Einbäumen einen Angriff zu unternehmen, war ein Blutbad die Folge. Und auch die Perser, denen es an Schiffen mangelte, konnte von der asiatischen Küste her nur zusehen, wie sich die Truppen des Khans an den gewaltigen Mauern blutige Köpfe holten und im August schließlich abziehen mussten. Die Eroberung Konstantinopels war gescheitert; die Rettung der Stadt wurde der Muttergottes zugeschrieben, deren Kult damit weiteren Auftrieb erhielt.

Auf den Spuren Alexanders

Das Jahr 626 brachte auch im Osten die Wende; Herakleios hatte einen neuen mächtigen Verbündeten gewonnen: den Khan des westlichen Türkenreiches, der die Steppen nördlich des Kaukasus beherrschte. Der Khan drohte Chosrau, er solle das Land der Byzantiner räumen, sonst würde er ihm „jede böse Tat, die er gegen den Kaiser unternahm, doppelt vergelten.“ Die Türken verwüsteten Aserbeidschan und Nordwestpersien. Chosrau sandte nun alle seine verbliebenen Armeen gegen Herakleios; doch der Kaiser manövrierte sie aus und errang 627 schließlich bei Ninive nahe der modernen Stadt Mossul einen großen Sieg. Dann marschierte Herakleios im Winter 627/628 in den Irak ein – und gelangte in die Gegend von Dastagerd nahe dem heutigen Bagdad, das Chosrau II. als Residenz nutzte. Eine persische Armee, die ihm den Weg versperren sollte, besiegte er. Chosrau floh durch einen vorher angelegten Tunnel in die alte Hauptstadt Ktesiphon – und sein Palast mit allen Schätzen fiel dem Kaiser in die Hände. Einen Angriff auf das stark befestige Ktesiphon unternahmen die Byzantiner aber nicht.

Der Sieg des Kaisers

Doch in der persischen Hauptstadt brodelte es; im Adel stieg der Unmut über den langen Krieg des Großkönigs, der schon so viele Ressourcen des Reiches verschlungen und nun das Kernland selbst erreicht hatte. Im Februar 628 wurde Chosrau II. gestürzt und durch seinen Sohn Kavad II. ersetzt; der alte Großkönig wurde eingekerkert und nach einigen Tagen ermordet. Die erste Aufgabe Kavads II. war es, mit Herakleios Frieden zu schließen – sein Friedensangebot war „An den mildesten Kaiser der Römer, unseren Bruder“ adressiert, und es enthielt alles, was Herakleios erhoffen konnte: die Wiederherstellung der Vorkriegsgrenzen, die Rückgabe aller Gefangenen und der verschleppten Schätze, darunter auch der Kreuzesreliquie. Der längste Perserkrieg, den Rom je ausfechten musste, war siegreich beendet. Am 21. März 630 trug der Kaiser selbst die Kreuzesreliquie zurück nach Jerusalem. Zur Erinnerung an diesen Triumph sowie die ursprüngliche Auffindung des Kreuzes durch Kaiserin Helena feiert die Kirche am 14. September das Fest der Kreuzerhöhung.

Das Ende der Antike

Dieses Ereignis fand in alle christlichen Chroniken des Orients Eingang – aber auch in den Koran. Als Herakleios 622 seine Gegenoffensive begann, wanderte der Prophet Mohammed von Mekka nach Medina aus und begann dort den Aufbau eines muslimischen Staatswesens. In der 30. Sure des Koran, die den Namen „Die Griechen“(= die Byzantiner) trägt, wird auf die Ereignisse des Krieges zwischen Rom und Persien angespielt – und der Sieg der christlichen Römer über die „heidnischen“ Perser mit der Hilfe Allahs prophezeit.

Aber die wahren Sieger dieses Krieges sollten die Araber werden, die sich unter dem Banner des Islam vereinten. Weite Gebiete der beiden benachbarten Großmächte waren verwüstet, die Ressourcen durch den langen Krieg erschöpft – so konnten sie der neuen Militärmacht aus der Wüste wenig entgegensetzen. 636 wurden die Byzantiner in Palästina und die Sasaniden in Mesopotamien besiegt – bis 651 konnten die Araber das gesamte Perserreich erobern, während Ostrom Syrien, Ägypten, Armenien und später auch Nordafrika verlor. Der längste Perserkrieg war auch der letzte Krieg der Antike – sein Ende bedeutete den Beginn der Neugestaltung der Alten Welt.

Autor

Johannes Preiser-Kapeller (* 24. 8. 1977 in Zwettl/NÖ) studierte Byzantinistik und Neogräzistik sowie Alte Geschichte und Altertumswissenschaften in Wien. Seit 2007 an der Abteilung für Byzanzforschung des Instituts für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften tätig, daneben am Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz. Im Frühjahr 2014 forschte er als Fellow der Onassis-Stiftung in Athen. Zahlreiche Publikationen, auch für ein breiteres Publikum.

http://oeaw.academia.edu/JohannesPreiserKapeller

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