Heute vor ... im Oktober: Schluss mit der Dekadenz in der Kunst!

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Auch die Musik muss national werden.

Neue Freie Presse am 31.10.1914

Die Musen lernen das Dienen im Krieg. Herrschten sie nicht zuvor über die Gebühr? Die Kunst hatte sich überhoben; sie wird sich auf ihr eigentliches Wesen, auf ihre eigentliche Bestimmung zu besinnen haben. Die Musik verflachte zuletzt in einem Übermaß von Öffentlichkeit. In der Produktion gewann das technische Experiment, das Artistische, das gefallsüchtige Spiel mit Stimmungen der Selbstbespiegelung und des Verfalls die Oberhand. Gewahren wir nicht, wie der moderne Mensch in diesen Tagen die Nerven verliert, die so vieles erklären und entschuldigen mussten, diese kraftlos hinträumenden, tüftelnden, bangenden, erotisch erregten und immer im Übermaß genießenden Nerven? Sie werden auch aus der Musik verschwinden müssen, die Wahrhaftigkeit und Natürlichkeit, das starke und ungebrochene Gefühl wiederzuerobern hat. Eine gewisse Isolierung kann der deutschen Tonkunst nur zum Vorteil gereichen. Sie war in Friedenszeiten von Ost und West bedrängt; allerlei Exotik war, vom französischen Westen aus dem Osten geholt, wie ein Giftstoff in sie eingedrungen. (Julius Korngold)

Besuch im neu eröffneten Pferdelazarett

Pferde werden wieder diensttauglich gemacht.

Neue Freie Presse am 30.10.1914

Das soeben eröffnete Pferdelazarett hat sich sofort mit 200 Patienten gefüllt. In einigen Monaten können Tausende von Pferden auf diese Weise wieder diensttauglich gemacht werden, die sonst zugrunde gingen. Ein so wertvolles Kriegsmaterial wie zugerittene und zugfeste Militärpferde kann unter Umständen so unersetzlich und ausschlaggebend für den Erfolg sein wie einexerzierte Soldaten. Was lebt, kann nicht beliebig fabriziert werden wie Patronen und Flinten. Bis jetzt mussten die armen Teufel Schmerzen, Hunger, Kälte und Nässe aushalten, bis ihre „Pferdenatur“ und der Regimentsveterinär ihnen wieder auf die Beine halfen oder eine mitleidige Kugel sie im Straßengraben von ihren Leiden erlöste. Jetzt tut sich ihnen ein Lazarett auf. Große Ställe und Scheunen mit weicher, trockener Streu, wo es warm ist und kein Regen hinkommt, wo es satt zu fressen, Ruhe und Pflege gibt. Und schon kommen sie an, zu zweien, zu vieren, truppweise humpeln und schleppen sie sich herbei, Rappen und Braune, Füchse und Schimmel melden sich wie es ordentlichen Soldatenpferden zukommt, treten in einem langen Gliede an und bekommen mit Kreide ihre Nummer auf den verstaubten Pelz geschrieben.

Stricken für die Krieger

Der Winterkrieg droht, Kälteschutz für die Soldaten.

Neue Freie Presse am 29.10.1914

Das Strickzeug ist wieder zu Ehren gekommen. Der Krieg, der sich in seinem großartigen Ungestüm so neu und modern anlässt, führt auch manche alte liebe Erinnerung aus freundlichen, halb vergessenen Tagen wieder herbei. Da sitzen die jungen Frauen um den runden Tisch versammelt und stricken wie ihre Großmütter einst, da sie selbst noch jung waren. Aus einem Stück zerknüllten Papieres holen sie ihre Handarbeit hervor, schämen sich nicht mehr der eigenen vortrefflichen Tätigkeit. Freilich, das Strickzeug hat jetzt neuen Sinn, erhöhte Bedeutung gewonnen, es ist zur Waffe geworden. Während unsere tapferen Soldaten mit mancherlei alten Feinden des Landes blutige Abrechnung halten, stellt sich ihnen heimtückisch ein neuer mitleidloser Gegner. Der Winterfeldzug hebt an. Da wir dies vor uns hinsagen, ist es uns, als zeigte der Krieg nun erst vollends sein ernstes Antlitz. Vorbereitet sein, heißt hier alles. Man darf den Feind nicht unterschätzen, dann besiegt man ihn leicht.

"Vergewaltigung Ägyptens durch England"

Die Despotie der Briten bleibt der mohammedanischen Welt nicht verborgen.

Neue Freie Presse am 28.10.1914

Das Vorgehen der Engländer muss alle politisch reifen Ägypter mit großer Erbitterung erfüllen. Ägypten ist zu einem englischen Gouvernement geworden, das der den englischen Provinzen eingeräumten Freiheiten entbehrt. Die muselmanische ägyptische Regierung führt ein Schattendasein, alle irgendwie wichtigen Entscheidungen werden von den britischen Machthabern getroffen. Die englische Regierung hat sich des Betrages von 15 Millionen ägyptischer Pfund, der sich in den ägyptischen Staatsschuldenkassen befand, in ganz willkürlicher Weise bemächtigt. Die Steuern werden mit größter Rücksichtslosigkeit eingetrieben. Die Auswanderung aus Ägypten ist nunmehr gänzlich untersagt und es wurden für die Durchführung dieses Verbotes äußerst strenge Vorkehrungen getroffen. Es wird überhaupt alles aufgeboten, um den Verkehr der Ägypter mit den anderen Muselmanen zu verhindern, und die Maßregeln, die man zu diesem Zwecke verfügte, sind geradezu drakonisch. In der Türkei ist man aber über die Willkürherrschaft der Engländer schon jetzt vollständig unterrichtet, allmählich wird die Kunde von dem despotischen Charakter, den die britische Herrschaft in Ägypten angenommen hat, überall hindringen, wo es Mohammedaner gibt, und bei allen Anhängern dieses Glaubens wird sich die Erkenntnis Bahn brechen, dass England ein Feind des Islams geworden ist.

Kein frischer Guglhupf in der belagerten Stadt

Launiger Bericht eines journalistischen "Schlachtenbummlers" aus Przemysl.

Neue Freie Presse am 27.10.1914

Der größte Schatz in Przemysl ist heutzutage ein Zündhölzchen. Wer eine ganze Schachtel davon hat, ist ein Krösus. An einem Zündhölzchen werden im Cafehaus fünf, sechs Glimmstengel in Brand gesteckt. Als vorsichtiger Schlachtenbummler hatte ich in meinem Rucksack vier Schachteln mit den kostbaren Dingern mitgenommen. Zündhölzchen und Zigaretten! Eines so kostbar wie das andere. Die freigebigsten Leute werden geizig und knauserig, schenken lieber einen Gulden her als eine Zigarette. Man sollte nicht glauben, welche Löcher eine so kurze Belagerung von kaum drei Wochen reißen kann. Eier sind nur in der Form von Eierspeise genießbar, weil sie nach Kalk und Stroh riechen, ein alter Schinken ist eine Delikatesse. In den Restaurants gibt es zwei Gerichte als Herrlichkeiten der Speisekarte, Rindsbraten und Schweinebraten, und zur Abwechslung ein Faschiertes aus den Überbleibseln von beiden. In einem Gasthaus haben sie mir eine Pferdeleber vorgesetzt. Ich habe sie als Rindsleber gegessen und bin nicht daran gestorben. Eines ärgert mich. Da sind zwei Konditoreien in der Hauptstraße, beide haben die Rollläden herunten - für einen schönen, braunglänzenden Indianerkrapfen gäb' ich was! Das zehn Tage alte Stück Guglhupf, das mir die Kassierin des Cafes aus Protektion zusteckt, ist kein genügender Ersatz dafür.

Kalender, Karten, Blumen fürs Vaterland

Verkauf von Erinnerungsstücken für wohltätige Zwecke.

Neue Freie Presse am 26.10. 1914

Die Kriegskalender werden laufend historisch ergänzt, man findet darin alles Wissenswerte, und die kleinen Büchlein haben so reißenden Absatz gefunden, dass bereits eine vierte Auflage im Druck ist. Sehr viel Interesse sowohl vom patriotischen als auch vom kriegerischen Standpunkte aus erregen die Ansichtskarten. Da gibt es die letzte Aufnahme von Sr. Majestät dem Kaiser mit Allerhöchstseinem Urgroßneffen, dem Erzherzog Otto Franz Josef, der einst in späten Zeiten nach menschlichem Ermessen die Kaiserkrone tragen soll. ferner die Karten vom Kriegsschauplatz, die, an Ort und Stelle aufgenommen, sozusagen eine illustrierte Ergänzung des Kriegskalenders bilden. Für den Allerseelentag haben die fleißigen Hände unserer Blumenmacherinnen Millionen weiß-roter und schwarz-gelber Blumen gebunden, und je reicher die Gräber unserer Toten mit diesen "Blüten der Barmherzigkeit" geschmückt sind, desto mehr Tränen der Lebenden können getrocknet werden. Sollen wir noch verraten, dass für den Nikolo und das Christkindl ähnlich reizende Dinge in Vorbereitung sind?

Barackenlager für russische Kriegsgefangene

Die Gefangenen werden in österreichische Provinzstädte verteilt.

Neue Freie Presse am 25.10.1914

Wie aus Knittelfeld gemeldet wird, wird das dort in Bau genommene Barackenlager derart vergrößert, dass darin 20.000 russische Gefangene untergebracht werden können. Es wurden die strengsten sanitären Maßregeln getroffen, um der Verbreitung etwaiger Epidemien vorzubeugen. Die gefangenen russischen Offiziere werden von der Mannschaft getrennt und auf Schloss Wasserberg bei Knittelfeld untergebracht. Wie aus Linz berichtet wird, wurde bis jetzt in Oberösterreich die Aufnahme von 48.000 Kriegsgefangenen vorbereitet. 10.000 werden auf dem ehemaligen großen Exerzierplatz bei Linz, 18.000 bei Kleinmünchen in der Nähe der Traun und je 10.000 in Freistadt und Mauthausen untergebracht werden. Die ersten Gefangenentransporte sind bereits eingetroffen und in den Baracken untergebracht. Der größte Teil der Baracken befindet sich noch im Bau, und es werden zu denselben auch russische Flüchtlinge herangezogen,die dem Zivilstande angehören, darunter auch Kinder, alle stark herabgekommen. Die Gefangenen führten vielerlei Gerätschaften mit sich und sprechen vielfach Deutsch, da sich auch viele intelligente Leute, so einige Einjährig-Freiwillige unter ihnen befinden.

Der Jammer mit der österreichischen Bürokratie

Die Journalistin Alice Schalek ärgert sich über die Beamtenschaft.

Neue Freie Presse am 24.10.1914

Wie oft bin ich trauernden Herzens nach Wien zurückgekehrt, wo ich alles beim alten wieder fand, nachdem ich gesehen hatte, wie Mächtiges von Leuten geschaffen worden ist, die weit weniger begabt sind als wir. Ich habe jene Männer kennen gelernt, die deutschen Handel über den ganzen Osten verbreiteten, jene, die englische Weltkolonialreiche lenkten, und solche, die amerikanische Mammutunternehmungen schufen - und sie waren weit weniger begabt als wir. Nur hinderte ihre Tätigkeit niemand. Was ein Österreicher wert ist, weiß fast niemand - denn während andere Völker durch Asien Eisenbahnen legen, durchs Weltmeer Handelsschiffe schicken, schreiben wir dicke Aktenfaszikel voll, ob ein Bezirkshauptmann eine Schreibmaschine kaufen dürfe oder nicht. Es heißt, dass solches bei uns nur gemeinsam von zwei Ministerien erledigt werden könne; und eine Geschichte erzählt man sich von einem Blitzableiter, den ein Bezirksrichter an seinem Dorfgericht anbringen wollte und über den ein Akt drei Jahre lang auf dem Instanzenwege hin und her gewandert sei; nur weil - so behauptet die Historie - knapp vor der Erledigung der ungeduldige Blitz in des Beamten gute Stube eingeschlagen habe, entfiel eine weitere Erhebung darüber, ob der Blitzableiter auch wirklich nötig gewesen sei.

Ein schreckliches Bild der Verwüstung

Was ist bloß in die zivilisiertesten Länder der Welt gefahren?

Neue Freie Presse am 23.10.1914

Hätten die armen Belgier eine Ahnung von den schweren Leiden gehabt, die ihnen der Krieg gegen Deutschland bereiten würde, sie hätten vielleicht das deutsche Ultimatum angenommen und dem Durchzug der Heeresmassen Kaiser Wilhelms II. keinen Widerstand entgegengesetzt. Der Krieg, dessen Schauplatz der belgische Boden seit zehn Wochen ist, ist ein Krieg zwischen den gebildetsten, zivilisiertesten und humansten Völkern der Welt. Keine Barbaren stehen sich gegenüber, sondern Deutsche, Belgier, Franzosen und Engländer, und es ist gewiss, dass keine dieser kriegführenden Parteien von blinder Zerstörungswut beseelt ist. Trotzdem hat der Krieg in Belgien ungeheures Unheil angerichtet, dessen Folgen sich für diesen so blühenden Staat noch jahrelang bitter fühlbar machen werden. Von allen kriegführenden Ländern hat Belgien am meisten gelitten, und man kann sagen, dass das belgische Gebiet in allen denjenigen Teilen, welche als Schlachtfeld und Durchzugsgebiet fremder Truppen gedient haben, ein oftmals erschreckendes Bild der Verwüstung zeigt. Die belgische Armee selbst hat an dem Verwüstungs- und Zerstörungswerk teilgenommen, indem sie ganze Ortschaften dem Erdboden gleichmachte, um sich eine freie Schusslinie zu sichern.

Englands Großmachtstellung ist gefährdet

Der propagandistische Lieblingsfeind der Zeitung ist England.

Neue Freie Presse am 22.10.1914

England hat sich an den letzten Kämpfen im Norden Frankreichs besonders stark beteiligt. Begreiflich. Ganz anders beurteilt England heute den Krieg als zu Beginn. Damals glaubte man eben, der Krieg werde sich so abhaspeln wie die früheren Jahrhunderte. Englands Truppen mögen am Kontinent besiegt werden, trotzdem stünde es unbesiegt und berührt da. Kein Engländer ward gezwungen, in die Schlacht zu ziehen; auf dem Kontinent brauchen nur Söldner zu kämpfen, und für die ist der Krieg ebenso ein Geschäft wie der Handel mit Baumwolle oder anderem zu Hause. Die ungeheuren Erfolge Deutschlands, nicht zuletzt auf militärtechnischem Gebiete, lassen England heute befürchten, die Zeit sei um, wo es im eigenen Lande nicht angegriffen werden könne. So rafft England auf der ganzen Erde Truppen zusammen und wirft sie den Deutschen entgegen, um das Unabwendbare abzuwenden und vor allem zu verhindern, dass die deutsche Woge, die bereits so weit in Frankreich vordrang, nichts auch Englands Eiland überflute.

Der Beginn der Ersten Flandernschlacht

Die deutsche Armee versucht, die Hafenstädte am Ärmelkanal zu erobern.

Neue Freie Presse am 21.10.1914

Seit mehreren Tagen findet eine große Schlacht zwischen Ostende und Dünkirchen in der Nähe der Meeresküste statt. Die Engländer und Franzosen wollen verhüten, dass die Hafenstädte am Kanal in die Hände der Deutschen fallen. Auf der langen Front zwischen dem Elsass und den Vogesen und bis zur Nordsee und bis zum Ärmelkanal ist jetzt der Norden von Frankreich und die Grenze von Belgien der Mittelpunkt der Ereignisse und der Entscheidungen. Seit vielen Wochen kämpft im nördlichen Frankreich der rechte deutsche Flügel gegen den linken französischen Flügel. Immer weiter haben die beiden Armeen ihre Flügel verlängert und alle Umfassungsversuche der Franzosen sind gescheitert. Nach dem Fall von Antwerpen und durch das Heranrücken der frei gewordenen deutschen Belagerungsarmee ist für die Franzosen und für die Engländer die Gefahr entstanden, dass die Deutschen bis nach Dünkirchen und bis nach Calais vordringen. Das wollen sie verhindern und nun wird an der Grenze zwischen Belgien und Frankreich und an der Seeküste mit Heftigkeit gekämpft. Wie aus Holland gemeldet wird, sollen auch die Kriegsschiffe von der See her durch ihre weittragende Artillerie an den Kämpfen teilnehmen. Eine Entscheidung hat bisher nicht stattgefunden.

Kavallerie ist stolz auf ihre Schützengräben

Der Kriegsberichterstatter malt die Front im Osten als Idylle.

Neue Freie Presse am 20.10.1914

Wie stolz die Leute von der Kavallerie auf ihre Schützengräben sind! "Als wenn sie die Pioniere gebaut hätten", sagen sie, bombensichere, nach allen Regeln der Kunst überdachte Schützengräben, mit dicken Bohlen, darüber Bretter, damit der Regen abläuft, darüber eine dicke Lage Stroh, oben darauf 7 Zoll Erde und geradezu Wohnräume findet man darin eingebaut mit einem Kanapee von Holz, ja mit einem - Kachelofen, Kacheln wenigstens vorn, die Seiten- und Rückwand aus Steinen, Ziegeln und Lehm. Die größte Schwierigkeit ist die Beschaffung des Ofenrohrs, aber auch das gelang; ein Stück Blechrohr und ein paar Drainröhren werden zusammengekeilt. Der nahe Grund liefert den Torf und nun schmaucht das Öfchen, dass die nässesten Mäntel im Handumdrehen trocknen und die durchfrorensten Leute sofort zu schwitzen anfangen. Wenn es noch lange dauert, werden sie ein Frühbeetfenster dafür einrichten und Gurken ziehen - der Leser verzeihe den leichten Ton in einer so ernsten Sache, aber dieser Ton stammt von den stahlbehelmten Kavalleristen selbst. Sie waren so fidel, als wenn es zum Tanze ginge, nicht in ein finsteres Quartier.

Ansturm auf die Theaterkassen

Junge Leute stehen Schlange für Opernkarten.

Neue Freie Presse am 19.10.1914

Gestern eröffneten die Hoftheater ihre Pforten. Sowohl im Burgtheater als auch in der Hofoper kam es zu einem derartigen Ansturm auf die Kassen, dass die Sicherheitswache einschreiten musste. Schon in den ersten Vormittagsstunden sah man die jungen Leute, die sich bei den Einlasstoren aufstellten. Sie wurden früher als an den gewöhnlichen Tagen in die Queues eingelassen. Doch immer größer wurde die Menge, sodass bei den Toren Sicherheitswache den Zugang regeln musste. Abends nach dem Einlass auf die Galerie umstanden noch nach Beginn der Vorstellung zahlreiche Personen die Theater, die nicht in den Besitz von Eintrittskarten gelangen konnten. Die Hofoper führte eine Beschränkung auf vier Spielabende in der Woche ein. Gustav Mahler hat oft auf das Übel täglichen Spielens hingewiesen, auf die Bedrängnisse des Repertoires, die Ermüdung der Sänger, die Schwierigkeit, den künstlerischen Schliff der Vorstellungen zu erhalten.

Englands Furcht vor einer deutschen Invasion

Nach der Eroberung Belgiens ist die Überquerung des Ärmelkanals denkbar.

Neue Freie Presse am 18.10.1914

In der englischen Presse hat die Furcht vor einer deutschen Landung in England schon seit Jahren reiche Blüten gezeitigt. Seit dem Fall Antwerpens ist dieses Thema aber besonders an der Tagesordnung. Die Einnahme Antwerpens hat den Deutschen zweifellos einen mächtigen Stützpunkt für Unternehmungen gegen England in die Hände gegeben. Ebenso wichtig ist die Besetzung Ostendes, das nur sechsundzwanzig Seemeilen von Dover entfernt ist. Je weiter nach Westen der deutsche rechte Flügel vordringt, desto näher rückt die Gefahr einer deutschen Landung in England heran. Sie zu verhindern ist Aufgabe der britischen Flotte. Von ihr hat man aber bis jetzt keine besonders umfassende Tätigkeit zu sehen bekommen. Neuerdings hat die Auslegung des riesigen Minenfeldes zwischen der Themse und Ostende bewiesen, dass die Engländer den offenen Seekampf mit der deutschen Flotte geradezu fürchten. Sie fürchten die deutschen Unterseeboote, Zeppeline und Minen. Bei der geringen Breite des Ärmelkanals ist die Dauer der Überfahrt nicht allzu groß. Bei etwas Glück kann eine Landung gelingen. Das muss rein theoretisch heute bejaht werden.

Baumwolllieferungen aus Amerika sollen gestoppt werden

Baumwolle als „Kriegskonterbande“ (kriegsrelevantes Material) bedeutet Ende des überseeischen Handels.

Neue Freie Presse am 17.10.1914

Charakteristisch für die wirtschaftliche Bedeutung der Baumwolle in Amerika ist die dort geprägte Phrase „Cotton is King“ („Baumwolle ist König“) und tatsächlich ist auch die Baumwolle ein König auf den Märkten Amerikas, wo dieser Artikel seit jeher eine äußerst ergiebige Quelle des Wohlstandes ist. Die Baumwolle ist jedoch von nicht minderer Bedeutung in den Fabriken Europas, wo die amerikanische Baumwolle die wichtigsten Zweige der industriellen Tätigkeit befruchtet und Hunderttausenden von Angestellten und Arbeitern ihr tägliches Brot gibt. Aus diesen Gründen musste man es in Amerika geradezu als wuchtigen Schlag empfinden, als Großbritannien kraft seiner Seeherrschaft – einer Art skrupellosen „Navalismus“, dessen man sich in England bei der Bekämpfung des deutschen „Militarismus“ nicht bewusst zu sein scheint – erklärte, dass Baumwolle als Konterbande zu gelten hätte. Diese Erklärung war denn auch in Amerika von geradezu katastrophaler Wirkung. Die unmittelbare Folge dieser Maßnahme war, dass die Ernte nahezu unverkäuflich wurde. Ein ansehnlicher Teil des Volkes wurde vom wirtschaftlichen Ruin bedroht.

Humanität und Zivilisation gehen verloren

Die Technisierung ermöglichte den Rückfall in die Barbarei.

Neue Freie Presse am 16.10.1914

Das Pöbelhafte, ja Bestialische tritt jetzt in Taten wie in Gesinnung so massenhaft zutage, dass man sich erstaunt fragt, ob wir denn wirklich und wahrhaftig in einer Zeit leben, von der man bisher geglaubt hat, dass sie den vorangegangenen wenn nicht an Kultur so doch an Zivilisation überlegen sei.Man möchte, wenn man diese Dinge liest, am liebsten aus dem Menschengeschlecht austreten und sich um die Aufnahme in eine intelligentere Tiergattung, Biber, Ameisen, Bienen oder dergleichen bewerben! Blickt man genauer hin, sieht man, dass eben die Zivilisation, das heißt die so weit vorgeschrittene Vervollkommnung alles Technischen und Maschinellen zum Teil die Schuld trägt an diesem wirklichen oder scheinbaren Rückfall in die Barbarei. Was wir der Natur „mit Hebeln und mit Schrauben“ abgezwungen haben, dient nicht nur dazu, unser Leben bequemer, gesünder, reichhaltiger zu machen, sondern auch dazu, es zu vernichten. Der Erfindungsgeist, der sich im Bau von Dreschmaschinen und Dampfpflügen, von Mikro- und Teleskopen offenbart, hat uns auch die modernen Riesengeschütze, die Torpedos und die Maschinengewehre geschenkt.

Burgtheater und Hofoper beginnen ihre Spielzeit

Nach langer Pause spielen die beiden großen Wiener Bühnen zu reduzierten Preisen.

Neue Freie Presse am 15.10.1914

Sonntag den 18. werden Burgtheater und Hofoper wieder eröffnet. Mit besonderer Genugtuung wird die Wiener Öffentlichkeit die Nachricht vernehmen, dass die Hoftheater nach allzu langer Pause ihre künstlerische Arbeit wieder aufnehmen, dass die Schwierigkeiten, dank einem Machtspruch des Kaisers, beseitigt worden sind. Wir müssen einen Stolz dareinsetzen, auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens sozusagen zur Tagesordnung zurückzukehren, zur Ordnung und Regelmäßigkeit des zivilen Alltags. Das wichtigste aber ist, dass während der Kriegsdauer eine wesentliche Herabsetzung der Eintrittspreise im Burgtheater sowohl als in der Hofoper erfolgen wird. Die Hoftheater werden bei bis auf die Hälfte reduzierten Preisen spielen. Das ist eine Verfügung der Hoftheaterbehörde, die in allen Kreisen des Mittelstandes und auch von der geistig aufstrebenden Arbeiterschaft mit herzlicher Sympathie begrüßt werden wird. Es ist ein öffentliches Geheimnis, dass die Hoftheater in Wien teuer, allzu teuer sind. Billige Preise werden im Wiener Publikum die Überzeugung erstarken lassen, dass unsere beiden ersten Bühnen zu dem kostbarsten und erlesensten Eigentum der Wiener Gesamtheit gehören, von dem jetzt in ernster Zeit mit doppelter Genussfreude Besitz ergriffen werden wird.

Verhör des Attentäters im Sarajewo-Prozess

Radikales nationalistisches Milieu in Belgrad.

Neue Freie Presse am 14.10.1914

Gavrilo Princip erklärt, dass er seine Tat nicht bereue und dass er kein Verbrecher sei, weil er nur das Böse beseitigen wollte. Die Herzogin von Hohenberg wollte er nicht töten. Dies sei nur zufällig geschehen. Princip hat vor vier Jahren das Gymnasium in Tuzla verlassen und seither das Gymnasium in Belgrad besucht. In dem Milieu, in welcher er hier verkehrte, ist er ein überzeugter radikaler Nationalist serbischer Richtung geworden. Österreich habe er gehasst, weil er von Österreich nur Böses für die Südslawen erhoffte. Deshalb habe er auch beschlossen, zusammen mit Cabrinovic und später auch mit Grabez den Erzherzog Thronfolger Franz Ferdinand, welchen er als die größte Gefahr für die Idee der Vereinigung der Serben und überhaupt der Südslawen unter serbischer Vorherrschaft betrachtete, zu töten.

Anklageschrift gegen Sarajewo-Attentäter ist fertig

Genug Beweismaterial für eine Beteiligung Serbiens an den Morden.

Neue Freie Presse am 13.10.1914

Die Anklageschrift bespricht ausführlich die Motive des Attentats, das ein politisches Ereignis ersten Ranges sei. Sie schildert das Treiben der großserbischen Kreise in Belgrad, die sich bis zum königlichen Hof erstrecken, die systematische Wühlarbeit und Hetze gegen Österreich-Ungarn und die Habsburgerdynastie in Serbien, Kroatien und Bosnien, den auf boshafte und neidische Art genährten tiefen Hass gegen die Monarchie und namentlich gegen den Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand als den größten Feind der großserbischen Aspirationen und das propagandistische Treiben der Belgrader Presse. Alle Attentate im Süden haben ihren Ursprung in Serbien; sie sind Früchte der großserbischen Propaganda, die es als ihren Grundsatz aufstellte, dass man nur mit diesen Mitteln sein Ziel erreichen könne. Die Verschwörer Princip, Grabez und Cabrilovic haben einbekannt, dass sie in Belgrad den Hass gegen die Monarchie und großserbische nationalistische Gesinnung eingesogen haben. Im Dienste dieses Ideals haben sie den Plan zum Attentat gegen den Erzherzog gefasst und ihn schließlich in die Tat umgesetzt.

Russische Armee muss Belagerung von Przemysl abbrechen

Rückzug der Russen nach viel Blutvergießen.

Neue Freie Presse am 12.10.1914

Die Befreiung von Przemysl ist eines der wichtigsten Ereignisse in diesem Kriege. Die Sicherung des von unseren Besatzungstruppen mit so viel Mut und so viel Tatkraft verteidigten Przemysl durch das Einrücken unserer Armee ist für alle künftigen Entscheidungen von hoher Bedeutung. Hinausgetrieben ist der Feind aus Mittelgalizien. Die russische Armee hat Tausende und Tausende von Toten und Verwundeten bei den Stürmen und Kämpfen gegen die Festung verloren. Dieser Erfolg unserer Truppen ist die klarste, unzweideutigste Bescheinigung der russischen Niederlagen. Die Nachricht von der Befreiung der Festung Przemysl wird eine nachhaltige Wirkung auf unsere Gegner haben und wie ein Wetterstrahl in Petersburg, Bordeaux und London einschlagen. Es kann für die politische Stimmung bei unseren Feinden nicht gleichgültig sein, wenn auf diese Weise schon rein geographisch die Erkenntnis zugänglich wird, dass den Russen seit der zweiten Schlacht von Lemberg gar nichts gelungen ist.

Die wirtschaftlichen Folgen des Weltkriegs

Der Überseehandel ist zusammengebrochen.

Neue Freie Presse am 11.10.1914

Von den Zinnen Antwerpens weht die deutsche Fahne; fast ganz Belgien ist jetzt im Besitz der deutschen Heere. Unabsehbar ist die Wichtigkeit dieser Tatsache für den weiteren Verlauf des großen Krieges. Einer der größten Handelsplätze der Erde ist von den Deutschen genommen, der Machtbereich ihrer Herrschaft reicht bis an die Schelde und bis an das Meer. Im Frieden war Antwerpen ein gewaltiger Stapelplatz des überseeischen Handels, Güter für vierzehn Millionen Tonnen wurden dort umgeschlagen. Dieser Handel ist durch den Krieg naturgemäß lahmgelegt worden, er wird aber in verstärktem Umfang aufleben, sobald die Meere wieder sicher befahren werden können und nach dem Frieden die Anknüpfung neuer kommerzieller Beziehungen möglich sein wird. Vorläufig ist der Güteraustausch, der zwischen fünf Weltteilen noch vor einem Vierteljahr mit früher nie geahnter Mächtigkeit flutete, auf einen sehr mäßigen Bruchteil seines früheren Umfanges zurückgeworfen worden. Hamburg, Bremen, aber auch London und Havre, Genua und Triest sind verödet, die großen Handelsdampfer wagen sich wenig auf die offene See, wo Angriffe der Kriegsschiffe und Kaperei ihre Fahrt bedrohen.

Heftige Attacke gegen Winston Churchill

Die Zeitung unterstellt dem britischen Politiker Charakterlosigkeit.

Neue Freie Presse am 10.10.1914

Der Erste Lord der Admiralität, Winston Churchill, ist seiner Abstammung nach ein Marlborough, der Enkel eines Herzogs, ein Herabgekommener seiner Klasse mit allen ihren Begehrlichkeiten und mit ihren Bedürfnissen nach Aufwand und Wohlleben und ohne den Reichtum, der sie befriedigen könnte. Aus diesem Gegensatz pflegen die Zyniker zu entstehen, die nichts für ernst nehmen und nur einen Gedanken haben, sich oben zu halten um jeden Preis und der Opfer, die rechts und links von ihrer Lebensbahn fallen, nicht zu achten. Er kam in die Politik als Vertreter konservativer Überzeugungen und verhöhnte sie und spottete seiner selbst und wandte sich ohne Skrupel zu der Gegenpartei, als dort der Markt für Ministerstellen günstigere Aussichten zu bieten schien. Denn ihm fehlt jede Spur der Wahrhaftigkeit, und die Politik ist für ihn, der die stets drohende Armut fürchtet und mit der Erinnerung an ein Herzogsschloss den Abgrund des vollst�ndigen Herabkommens sieht, nur der Stab, auf den sein gesellschaftlicher Rang und sein persönlicher Unterhalt sich stützen.

Antwerpen brennt, das belgische Königspaar flüchtet

Nach Belagerung und verheerendem Bombardement gibt die belgische Stadt auf.

Neue Freie Presse am 9.10.1914

Mit tiefer Erschütterung ist die Welt zur Zuschauerin des furchtbaren Trauerspieles von Antwerpen geworden. Die großen Petroleumvorräte im Hafen brennen. Ein Zeppelin schwebt über der Stadt und schleudert Bomben nieder. Auch der Südbahnhof soll bereits von dem Brande ergriffen worden sein. Der Befehlshaber der deutschen Truppen hat, entsprechend den Bestimmungen des Haager Vertrages, den Beginn des Bombardements früher angezeigt. Allein der Kommandant der Festung erklärte, dass er den Widerstand fortsetzen wolle. Vorher war der Erste Lord der englischen Admiralität Winston Churchill, einer der frivolsten Menschen auf der Erde, in Antwerpen gewesen, und seinem Einflusse wird es zugeschrieben, dass die Verwüstung fortdauert und die Übergabe nicht stattgefunden hat, ehe der Befehl zu dem Bombardement, das der Stadt die letzte Hoffnung nimmt, gegeben wurde. England, das auf seinen Inseln sich geschützt glaubt und an dem Kriege nur durch Söldlinge teilnimmt und die von ihm angestifteten Verwüstungen noch mit heuchlerischer Entrüstung begleitet, ist der wahre Urheber des über Antwerpen gekommenen Ruins. Seine Städte werden nicht zusammengeschossen, seine Häfen nicht bombardiert, und mit innerer Gleichgültigkeit hetzt es den Befehlshaber von Antwerpen auf, im nutzlosen Widerstande auch über das Bombardement hinaus zu verharren. Aus Amsterdam wird gemeldet, dass sich das Königspaar bereits aus Antwerpen geflüchtet habe. Eine beispiellose Verantwortung trägt dieser Herrscher, der, von einem früher sorgfältig verborgenen Fanatismus des Hasses gegen Deutschland geblendet, die Bürger seines Landes niedermetzeln ließ und jetzt darauf bedacht ist, rechtzeitig sein Leben zu retten.

Przemysl, eine galizische Landstadt macht Geschichte

Besuch im österreichisch-ungarischen Hauptquartier.

Neue Freie Presse am 8.10.1914

Aus einer galizischen Landstadt strahlt jetzt die Weltgeschichte aus. Hier wird der Krieg der verbündeten Armeen gegen Russland geführt. Das kubische, dreistöckige Gebäude, im Frieden ein Gymnasium, ist der Sitz des operierenden Oberkommandos, des Hirns der Armeen. In einem Landstädtchen mit einem einzigen Café, ein paar Konditoreien, einem kleinen Postamt hausen nun schlecht und recht jene Hunderte und aber Hunderte, die als schaffende oder schützende Kräfte den Feldherrn und den Chef des Generalstabes umgeben. Vor allem Automobilisten. Meilenlange Kolonnen sind seit Beginn des Krieges hier durchgezogen. Es regnet seit Wochen, die Straßen sind ein einziger Brei. Nur Autos aller Formen und Größen kommen als Beförderungsmittel praktisch in Betracht. Das Motorrad und erst recht das Fahrrad bleiben stecken, das Reitpferd, die Kutsche sind nicht leistungsfähig genug, die Autos behaupten das Feld. Die beiden Erzherzoge wohnen sehr bescheiden in Kasernen. Ihr feldmäßiges Mahl nehmen sie in der Offiziersmenage des Hauptquartiers ein. Manchmal zeigt sich der Chef, Conrad v. Hötzendorf, in der Stadt. Der elastische Mann im blaugrauen Regenmantel mit hoher Kapuze ist dann der Brennpunkt der Neugier. Rasch enteilt er seinen Verfolgern in die Konditorei.

Die Palais der Familie Schwarzenberg in Wien

Aus dem Nachruf des 1914 verstorbenen Fürsten Adolf Josef Schwarzenberg.

Neue Freie Presse am 7.10.1914

Ein Wiener von Geburt, hat er seiner Vaterstadt wenig Liebe zugewendet. Mit den übrigen Mitgliedern des feudalen Hochadels zog sich der Fürst auf seine Schlösser im südlichen Böhmen nach Frauenberg und Wittingau zurück und mied namentlich seit dem Tode seines Vaters die Residenz. Das alte Palais Schwarzenberg auf dem Mehlmarkte (heute: Neuer Markt, Anm.), eine historische Stätte wienerischer Feste und einst ein berühmter Vereinigungspunkt des Adels und der Künstler in der Zeit des Wiener Kongresses, wurde verkauft und in Zinshäuser umgewandelt, das Parkschloss in Dornbach bei Wien steht verlassen da und der vielbesuchte Schwarzenberg-Park in der Prinz Eugenstraße, der an das Belvedere anschließt, erscheint noch immer trotz vielfacher Bemühungen des Wiener Gemeinderates, diesen von Prachtbauten eingeschlossenen Straßenzug zu verschönern, von einer alles weniger als großstädtischen Ziegelmauer umgeben, die zu entfernen sich der Fürst nicht entschließen wollte.

Kein Trinkwasser, kein Schlaf, kein Überblick

Brief eines französisches Offiziers aus der Front.

Neue Freie Presse am 6.10.1914

Die Pariser Zeitung „Le Temps“ veröffentlicht das Schreiben eines französischen Offiziers, worin er erklärt, dass es nur wenig Abwechslung gebe. Zwischen den Schlachten ändere man die Stellung; man studiere die Positionen, man wechsle nachts die Stellung, man schlafe nur, wenn man Gelegenheit dazu habe, in einem Graben unter einem Wagen oder gar nicht. Trinkwasser finde man nur durch Zufall, und man bekomme eine große Gewandtheit im Entdecken von Brunnen. Natürlich wisse man nie fünf Minuten vorher, ob man bleiben werde, wo man ist, oder plötzlich aufbrechen werde. Die Befehle laufen lakonisch ein. Sie werden ausgeführt, ohne dass es möglich sei, in den allgemeinen Plan Einsicht zu bekommen. Man sei fortwährend auf der Hut, und das habe zur Folge, dass man keine Zeit habe, sich vom widerwärtigen Schmutz zu reinigen. Es sei erstaunlich, dass noch keine Epidemie ausgebrochen sei, aber man müsse wohl annehmen, dass die freie Luft alles säubere. Die Franzosen braten Fleisch an einem hölzernen Spieß wie die Wilden.

Ein Arzt, den man loben muss

Aus der Inseratenseite: Danksagung an den Arzt, patriotischer Theaterspielplan.

Neue Freie Presse am 5.10.1914

Danksagung. Für die vollkommene Genesung von meiner schweren, langjährigen Krankheit spreche ich dem Herrn Dr. Slaba, Wien IV., Alleegasse 47, meinen aufrichtigen Dank aus. Meine Krankheit war ein rasendes Kopfweh, welches mich 15 Jahre plagte und bis zur Verzweiflung trieb. Das eine Auge war infolgedessen halb erblindet. Zittern und Reißen im Körper, böser Magenkatarrh, schlaflose Nächte, Unlust zu leben. Ich bin durch die wunderbare Behandlung des obgenannten, rühmlich bekannten Arztes ganz gesund geworden. Meinen nochmaligen Dank! - Ich muss diesen Arzt einzig loben. K. Beran. Hainburg a.d. Donau, Ungargasse 28.


Der Theaterspielplan an diesem Tag:

Theater und Vergnügungen.

Deutsches Volkstheater: Die Journalisten. Lustspiel von Gustav Freytag. Ermäßigte Preise.

Neue Wiener Bühne: Die Venus mit dem Papagei. Keine (!) erotische Komödie.

Raimund-Theater: Komm', deutscher Bruder. Zeitbild mit Musik.

Theater in der Josefstadt: Das Weib des Reservisten. Zeitbild mit Gesang.

Intimes Theater: O du mein Österreich. Vier Marksteine aus der Geschichte unserer Monarchie: Prinz Eugen - Der Kanzler - Gott erhalte, Gott beschütze … - Nottrauung

Am Graben und am Kohlmarkt: Fast wie früher

Gedanken beim Spaziergang durch die Innere Stadt.

Neue Freie Presse am 4.10.1914

Ein Spaziergang durch die Innere Stadt an diesen Herbstabenden zeigt uns Wien im Kriege. Vor den mit dem größten Aufwande beleuchteten Schaufenstern der Läden in der Kärntnerstraße, auf dem Graben und auf dem Kohlmarkt ist der Korso zwischen fünf und sieben Uhr besuchter denn jemals zuvor, und nicht leicht wird es, im Gedränge rascheren Schrittes durchzukommen. Die Tische vor den Kaffeehäusern sind an wärmeren Tagen dicht besetzt, und oft wird es schwer, einen Platz zu finden. Das Leben der Großstadt scheint beinahe mehr zu brausen als im Frieden, und gewiss ist, dass es viel stärker als sonst der Gasse zudrängt und die Zurückgezogenheit des Hauses meidet. Der Widerspruch zwischen dem Kummer in so vielen Familien und dem gesteigerten Bedürfnis nach Gesellschaft und nach Begegnung mit anderen und der Hang nach Berührung und Fühlung hat tiefere Gründe. Die Menschen halten es in der Einsamkeit nicht aus und sind zu bewegt und vom Inhalt der Zeit bis zum Übermaß so erfüllt, dass sie den Drang zur Öffentlichkeit haben, wo die Stimmungen zusammenströmen, die Meinungen ausgetauscht werden, die Mitteilungen rascher zugänglich sind und die Unterhaltung über den Krieg manchen über Gedanken hinwegbringt, die ihm aufs Herz fallen würden.

Die große Schlacht in Frankreich

Millionen Soldaten stehen einander gegenüber, das größte Aufgebot in der Geschichte.

Neue Freie Presse am 3.10.1914

Seit die Welt besteht, hat sie noch keinen solchen Weltbrand wie den jetzigen gesehen; seit die Welt besteht, wurde noch keine solche Schlacht, wie sie derzeit in Frankreich wütet, geschlagen, sie ist ein Unikum. Was sind die Heere des Xerxes, Tamerlans und Attilas gegen die Massen, die Frankreich und Deutschland aufgeboten haben? In die Millionen geht die Zahl. Das volksärmere Frankreich hat schon den letzten Mann hergegeben, das volksreichere Deutschland verfügt noch immer über ein Reservoir von tauglichem Menschenmaterial. Der Soldatenzuschuss Englands sowie die Heranziehung von Exoten seitens Frankreichs gleicht die Zahl mindestens aus, umso mehr, als Deutschland auch an die östliche Grenze eine starke Truppenmacht abgebeben hat. Man kann approximativ rechnen, dass mindestens hundert Divisionen auf jeder Seite kämpfen, das sind etwa anderthalb bis zwei Millionen Menschen. ... Fast drei Wochen währt nun der gigantische Kampf. Wem wird der Sieg zufallen? Aus innerster Überzeugung darf gesagt werden, dass es die Nerven sind, welche zu allerletzt die Entscheidung herbeiführen werden. Die Kämpfer jenes Heeres, deren Nerven den Schrecken der ununterbrochenen Schlachttage besser standhalten werden, das sind voraussichtlichen Sieger in dieser Schlacht, die ein Unikum ist - und das sind die Deutschen. 

Soldaten graben sich in der Erde ein

Beschreibung der Schützengräben an der Westfront, hier "Laufgräben" genannt.

Neue Freie Presse am 2.10.1914

Man muss die ausgehöhlten Laufgräben an der Aisne mit eigenen Augen gesehen haben, die noch tiefer und verzweigter als an der Marne sind. Sie sind hauptsächlich in drei Teile geteilt. Der erste ist nur für die nächtlichen Vorposten bestimmt; 200 Meter entfernt liegen die Hauptlaufgräben, die teilweise zementiert und bedeckt sind, sei es, um das leichte Eindringen zu verhüten oder um das Auskundschaften durch Aeroplane zu verhindern. Hinter dieser zweiten Linie befinden sich nicht mehr Laufgräben, sondern große und lange Höhlen, wo Lebensmittel und Munition, wo die Küchen untergebracht und auch die Schlafstätten sind. In diesen Höhlen sind Feldkanonen untergebracht, während die großen Belagerungskanonen hinter der dritten Linie auf ihren Zementplattformen stehen, kurzum: es ist eine ganze, beinahe unterirdische Stadt, mit Kreuz- und Quergängen, die sich auf zehn Kilometer im Tal der Aisne bis nach Argonne erstreckt und wo sich eine Bevölkerung von tausend und aber tausend Männern so gut verstecken kann, dass man auf hundert Meter Entfernung ihre Gegenwart nicht ermittelt.

Das wilde kriegerische Afghanistan

Die Mittelmächte hoffen, dass England in Asien Schwierigkeiten bekommt.

Neue Freie Presse am 1.10.1914

Afghanistan wird wegen der rauen und sterilen Natur seines Bodens und der wilden kriegerischen Sinnesart seiner Bewohner das Land der Männer und Steine genannt. Die Engländer haben besonders seit 1831 mehrere Feldzüge gegen Afghanistan geführt, ohne dass es ihm gelungen wäre, Afghanistan zu erobern und ihm die Unabhängigkeit zu nehmen, für die seine Bevölkerung jederzeit zu kämpfen bereit war. Im Frühjahr 1908 hatte sich England in einem Feldzug wichtiger Pässe an der afghanischen Grenze bemächtigt in der Hoffnung, dadurch beherrschenden Einfluss auf das vorgelagerte Land zu gewinnen. Dass die Afghaner nunmehr die Gelegenheit benützen, die ihnen geraubten Territorien wieder zurückzuerobern, klingt recht wahrscheinlich. Ein afghanisches Sprichwort sagt: Afghanische Feindschaft ist wie Dungfeuer; es brennt heimlich und lange unter dem Deckmantel der Verstellung weiter, bis es bei passender Gelegenheit in helle Flammen ausbricht. Die Bevölkerung Afghanistans dürfte daher die feindliche und hinterhältige Haltung, welche England diesem Staate gegenüber eingenommen hat, nicht vergessen haben und den Beherrschern Indiens nunmehr schwere Sorgen bereiten.

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