Vor 70 Jahren lehnten sich jüdische KZ-Gefangene gegen die Nazis auf. Es sollte ein Blutbad werden.
30.12.2016 um 17:39
„Todesfabriken“ wurden die Bunker am Gelände des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau genannt. Für die Vernichtung der europäischen Juden hatten die Nazis die Vergasungs- und Verbrennungsanlagen errichten lassen, betrieben werden mussten sie von Häftlingen - jüdischen. Am 7. Oktober 1944 wagten diese „Sklaven der Gaskammern“ einen Aufstand, der Hunderten von ihnen den Tod brachte.
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Im Sommer 1940 wurde am Gelände des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau mit dem Bau von Krematorien und Gaskammern begonnen. Die erste Vergasung von KZ-Insassen erfolgte im September 1941. Die Anlagen wurden weiter ausgebaut, sodass im Juni 1943 schließlich fünf „Todesfabriken“ zur Verfügung standen.Die Arbeiten dort wurden von jüdischen Häftlingen verrichtet, dem sogenannten Sonderkommando (SK) – um das SS-Personal zu "schonen". Auch ließ sich so die Zahl der Zeugen am Massenmord gering halten, da die SK-Angehörigen immer wieder erschossen und durch neue Häftlinge ersetzt wurden.
Die Häftlinge mussten die KZ-Insassen zu den Gaskammern in den Krematorien führen, wo sie mit „Zyklon B“ ermordet wurden. Danach wurden die Leichen „verwertet“: Goldzähne ausgerissen, Haare abgeschnitten. Zuletzt verbrannte der SK-Trupp die Körper. Viele SK-Häftlinge hielten dem nicht stand, wurden verrückt oder begingen Suizid. Während die übrigen KZ-Insassen sie als Handlanger der Nazis verachteten, sahen sie sich als „doppelte Opfer“: Sie waren gewöhnliche Gefangene, die täglich mit ihrer Ermordung rechneten, und mussten zugleich den Mordapparat betreiben. „Nein sagen ging nicht, dann legten sie dich um“, erinnert sich Henryk Mandelbaum in der Dokumentation „Die Sklaven der Gaskammer“. „Ich kam mir vor, als hätten sie mich in die Hölle gebracht“.(Bild: Haare von Gefangenen)
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Die Vergasung von über 350.000 ungarischen Juden im Mai 1944 machte eine Aufstockung des Sonderkommandos auf 874 Häftlinge erforderlich. Nach „getaner Arbeit“ wurden am 24. September 200 von ihnen vergast. In Birkenau machte sich Unruhe breit, denn schon am 7. Oktober sollte eine weitere Selektion stattfinden. 300 Männer wurden für ein angebliches Trümmerbeseitigungskommando gesucht.(Bild: Eine der Gaskammern in Auschwitz)
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Die Zeit für eine Revolte des Sonderkommandos war gekommen: „Der zügige Vormarsch der Roten Armee ließ zwar viele im Lager neue Hoffnung schöpfen, im Sonderkommando glaubte aber keiner ernsthaft daran, die Befreiung zu erleben“, schreibt Filip Müller, einstiger SK-Häftling, in seinem Überlebensbericht. „Wir konnten uns nicht vorstellen, daß die Urheber der Massenmorde (...) auch nur einen einzigen Zeugen ihrer Verbrechen am Leben lassen würden, wenn es mit ihrer Herrschaft zu Ende ging.“ Doch, so Müller, kein SK-Angehöriger war bereit, „sich ohne Gegenwehr abschlachten zu lassen“. Es galt, schon lange kursierende Aufstandspläne umzusetzen. Das Ziel: die Vernichtungsanlagen zu zerstören und so viele SS-Aufseher wie möglich zu töten.
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Gegen Mittag am 7. Oktober wurden die SK-Häftlinge auf den Hof des Krematoriums IV getrieben. Dort wurde verlesen, wer die 300 Ausgesuchten waren. Rund ein Dutzend von ihnen fehlte. Als die Wachtposten ausströmten, um sie zusammenzutreiben, sahen die Häftlinge ihre Chance gekommen. Sie warfen Steinen auf die SS-Leute, gingen mit Äxten auf sie los. Zeitgleich barsten Flammen aus dem Krematorium IV. Das „verschwundene Dutzend“ hatte es in Brand gesetzt. Sirenen heulten auf, SS-Nachschub rückte an – teils nur in Unterwäsche, dafür mit Maschinengewehren in den Händen. Ein Kugelhagel setzte ein.(Bild: Steinplatten im Boden markieren das Sonderkommando im KZ-Auschwitz)
Auch in den anderen Krematorien rebellierten die SK-Häftlinge. Aufseher wurden in die Öfen gestoßen, selbstgebastelte Handgranaten auf die Wachen geworfen. „Wir Juden haben gewissermaßen mit nichts einen Aufstand gemacht“, erinnert sich Ex-Häftling Morris Kesselman. Einigen der Gefangenen gelang es, mit Zangen ein Loch in den Stacheldrahtzaun zu schneiden und zu fliehen. Doch schon nach einigen Kilometern wurden sie umzingelt und erschossen. Auch drei SS-Männer kamen ums Leben, an die zehn sollen schwer verletzt worden sein. (Bild: Trümmer der ehemaligen Gaskammer am Krematorium II)
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Der Aufstand war gescheitert. Belief sich die Stärke der Sonderkommando-Häftlinge laut Arbeitseinsatzmeldung am 7. Oktober noch auf 663 Männer, waren es zwei Tage um 451 weniger. Gelungen war ihnen aber, ein Krematorium völlig zu zerstören und ein zweites zu beschädigen – beide wurden nicht wieder aufgebaut. (Bild: Modell einer unterirdischen Gaskammer in Auschwitz-Birkenau)
Ende Oktober 1944 wurden in Birkenau die Vergasungen eingestellt. Die verbliebenen SK-Häftlinge standen als Zeugen des Massenmordes vor der eigenen Ermordung. Zuvor sollten sie helfen, die Krematorien abzureißen. Das Vorrücken der Roten Armee aber zwang die SS zur Eile. Am 18. Januar 1945, direkt vor der von der SS geplanten „Evakuierung" des Lagers, gelang es einigen SK-Angehörigen, sich unter die übrigen Gefangenen zu mischen und auf dem sogenannten „Todesmarsch“ zu entkommen.
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In Summe überlebten nur an die 80 SK-Häftlinge ihre Zeit in Auschwitz-Birkenau – von über 2100 Männern, die seit 1942 von der SS ins Sonderkommando geschickt wurden. Völlig loslassen haben sie die Erinnerungen daran aber wohl nie: „Eine Stunde bin ich lustig, das kommt sehr selten vor. Dann bin ich wieder drei Tage traurig und keiner weiß, warum“, sagt Shlomo Venezia, von 1944 bis 1945 SK-Häftling in Auschwitz in einem Interview von 2001. Er habe zwar überlebt, meint er, doch aus dem Krematorium „kommt man nie mehr wirklich heraus.“(Text: Hellin Sapinski)
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''Mit nichts einen Aufstand gemacht''
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