1964: Russlands "Mann der Gegensätze" wird gestürzt

Chruschtschow
Chruschtschow (c) imago stock&people
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Mit einem Paukenschlag beendete Nikita Chruschtschow einst die Ära des Stalinismus in Russland, leitete Reformen ein, sammelte Sympathie und Missgunst - um schließlich Opfer seines "Kronprinzen" zu werden.

„Gestern noch war er alles, heute ist er ein Nichts“, titelte die französische Zeitung „Le Monde“ am 15. Oktober 1964. In der sowjetischen Agentur „TASS“ hieß es indes schlicht: „Er wurde seiner Obliegenheiten entbunden.“ Gemeint war in beiden Fällen dasselbe: der Sturz von Nikita Chruschtschow tags zuvor. Konkret, sein Wandel vom „roten Zaren“ zur „Unperson der Sowjetunion“.

Nikita Chruschtschow wird im April 1894 geboren. Nach seiner Lehre zum Maschinenschlosser arbeitet der Bauernsohn in einem Bergwerk, tritt der Gewerkschaft bei und in die Kommunistische Partei ein. Als Freiwilliger zieht er in den Bürgerkrieg (1917 bis 1921), um danach die Karriereleiter hinaufzuklettern – zunächst in der Ukraine, wo er seinen „Lottoschein“, Stalins Frau Nadeschda Allilujewa, kennenlernt. Sie schwärmt ihrem Gatten so von Chruschtschow vor, dass der Diktator sich ihn annimmt – und fördert. Schon 1934 wird der „junge Ehrgeizige“ ins Zentralkomitee der Kommunistischen Partei (KPdSU) gewählt. Im März 1939 folgt die Aufnahme im kommunistischen Politbüro.

Fortan zeichnet Chruschtschow an Stalins Seite für den Tod vieler Unschuldiger im Zuge der blutigen Säuberungsaktionen mitverantwortlich – um nach Stalins Tod einen völlig neuen Kurs zu fahren: Er verurteilt die Politik des Alleinherrschers, befreit Millionen willkürlich Verurteilter aus den „Gulags“ und leitet am 20. Parteitag der KPdSU eine „Entstalinisierung“ ein.Zugleich aber bleibt der „Mann voller Gegensätze“ überzeugter Kommunist. „Die Gefahr eines Rückfalls in den Kapitalismus ist in der Sowjetunion ausgeschlossen", verkündet er 1959 stolz. Während er für seine hemdsärmelige Art Sympathie erhält, zeigt er der Welt zugleich aber deutlich, wo die Grenzen seiner „Entspannung“ liegen: mit der Niederschlagung des Ungarnaufstands 1956 und dem Berliner Mauerbau 1961. In einer UNO-Vollversammlung hämmert er aus Protest gegen eine Ansprache sogar mit einem Schuh auf den Tisch. Die Folge: Applaus und Parodie.

Drastischer sind die Folgen der von ihm veranlassten Stationierung von Atomraketen auf Kuba im Jahr 1962, womit er die Welt an den Rand eines Atomkrieges rückt. Auch innerparteilich wächst die Zahl seiner Feinde, geschuldet etwa seiner Wirtschaftspolitik, die bei der Rüstungsindustrie und dem Militär auf Widerstand trifft, seiner Reformen im Bildungsbereich oder seiner Ablehnung von bis dato geltenden ideologischen Grundsätzen - Stichwort: „Gulasch-Kommunismus“.

"So vergeht der Ruhm der Welt"

Während Chruschtschow im Oktober 1964 am Schwarzen Meer urlaubt und per Telefon sowjetischen Kosmonauten zu ihrem Flug ins All gratuliert, wird in Moskau an seinem Stuhl gesägt: Sein „Kronprinz“ Leonid Breschnew sammelt die Vor-den-Kopf-Gestoßenen um sich und lässt Chruschtschow in die Hauptstadt rufen, wo am 14. Oktober das Plenum des Zentralkomitees zusammentritt. Offiziell sucht der gesundheitlich angeschlagene und mittlerweile im 70. Lebensjahr befindliche Chruschtschow in der Sitzung um die Entbindung aus seinen Ämtern an. Inoffiziell sind es lautstarke Wortgefechte, an deren Ende ein 15 Punkte umfassendes „Sündenregister“ steht – unter anderem wird Chruschtschow eine „diktatorische Führung, Besserwisserei auf allen Gebieten und Aufbau eines neuen Personenkults“ vorgeworfen, wie die „Prawda“ zwei Tage später schreiben wird.

Wie auch immer es war, die Konsequenz bleibt dieselbe: Breschnew folgt Chruschtschow als Erster Sekretär des Zentralkomitees nach, Alexei Kossygin wird Ministerpräsident, Anastas Mikojan Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets. Chruschtschow hingegen nimmt seinen Sturz - zumindest in der Öffentlichkeit - still hin. Er zieht sich in seine Datscha bei Moskau zurück, wo er 1971 im Alter von 77 Jahren an Herzversagen stirbt.

Ebenfalls recht leiste reagierte damals übrigens der Westen auf den Sturz des „roten Zaren“. So soll etwa Frankreichs Charles de Gaulle dem Ganzen nur einen einzigen Satz gewidmet haben: „Eh bien, sic transit gloria mundi.“ Zu Deutsch: So vergeht der Ruhm der Welt.

(hell)

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