USA: Kulturkampf um den Geschichtsunterricht

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Ein neuer Lehrplan sieht eine kritische Befassung mit der Vergangenheit der USA vor. Konservative Politiker geißeln das als Vaterlandsverrat und versuchen, Amerikas Schattenseiten aus dem Unterricht zu verdrängen.

Eine Schlacht um die Deutungshoheit über die Geschichte der USA ist geschlagen, doch die nächste kündigt sich bereits mit Donnergrollen an. Anfang Oktober zog die Schulbehörde des zweitgrößten Verwaltungsbezirks von Colorado ihren Plan zurück, im Geschichtsunterricht verpflichtend „den Nutzen freien Unternehmertums, des Respekts für Autoritäten und individuelle Rechte“ zu lehren, demgegenüber aber jegliche Lehrinhalte zu verbieten, in denen „bürgerliche Unruhen, soziale Spannungen oder die Missachtung des Gesetzes“ wohlwollend geschildert werden.

Wie die mehrheitlich konservativen Schulaufseher von Jefferson County dieser Dogmatik folgend den revolutionären Aufstand der Siedler gegen ihre britische Herrschaft ab 1775 im positiven Licht unterrichtet sehen wollen, bleibt somit Gedankenexperiment. Realität könnten hingegen bald Geschichtsbücher werden, in denen die Rassentrennung in den Südstaaten als nicht so schlimm bezeichnet und der biblische Bund zwischen Moses und Gott (und nicht aufgeklärte Ideen wie jene von John Locke) als Vorbild für die Verfassungen der ersten US-Bundesstaaten dargestellt wird. Im November beschließt nämlich die ebenfalls republikanisch dominierte Schulbehörde von Texas die Liste der für den Unterricht an öffentlichen Schulen zulässigen Bücher.

„Unschuldige Schulkinder“ schützen

Diese Entscheidung wird Folgen für das Lehrmaterial in vielen Schulbezirken haben. Texas ist mit rund 4,8 Millionen Schülern als einer der größten Staaten ein so wichtiger Markt für große Lehrbuchverlage wie Pearson und McGraw-Hill, dass sie die dort zugelassenen Werke US-weit vertreiben werden.

Seit Amerikas Konservative als Reaktion auf die ihrer Ansicht nach exzessiven gesellschaftlichen Bewegungen der 1960er-Jahre die „Culture Wars“ erklärt haben, ist das in Schulen und Universitäten vermittelte Geschichtsbild eine der am wildesten umfochtenen Fragen. Je mehr die Geschichtswissenschaft sich um ein differenziertes Verständnis der Vergangenheit bemüht, desto stärker sehen sich rechte Anhänger der Idee von Amerikas Ausnahmerolle in der Welt von linken Defätisten umzingelt, die die Jugend mit Hass auf das Vaterland zu indoktrinieren versuchen. Im Jahr 2010 wurde z.B. bekannt, dass Mitch Daniels, damals Gouverneur von Indiana, aktiv darauf drängte, das Buch „A People's History of the United States“ des linken Historikers Howard Zinn vom Lehrplan zu verbannen. Heute ist Daniels Rektor der Purdue University in Indiana. „Unschuldige Schulkinder“ sollten „diesen Dreck“ nicht zu lesen bekommen, erklärte er 2013.

Im August brach ein weiterer Streit um den Geschichtsunterricht aus, der sich bis in die parteiinterne Vorausscheidung der Republikaner für die Präsidentenwahl 2016 ziehen könnte. Das College Board, ein Verband von mehr als 6000 Bildungseinrichtungen, der die Aufnahmetests für die Zulassung an US-Colleges festlegt, schlug ein neues Curriculum für den Fortgeschrittenenkurs „US-Geschichte“ vor. Mittelschüler, die so einen „Advanced Placement Course“ absolvieren, belegen damit ihre Hochschulreife.

Der neue Leitfaden legt Wert darauf, dass die Schüler historisches Denken lernen: wie man zwischen Kausalität und Korrelation von Ereignissen unterscheidet, mit Quellen umgeht und historische Geschehnisse in einen größeren Zusammenhang stellt.

„Radikal revisionistische Sicht“

Die Parteiführung der Republikaner nannte das 142 Seiten umfassende Konzept eine „radikal revisionistische Sichtweise der amerikanischen Geschichte, die negative Aspekte der Historie unserer Nation betont, während sie die positiven auslässt oder verkleinert“. Die Gründerväter würden nicht diskutiert, die religiösen Wurzeln der amerikanischen Staatswerdung verschwiegen. Der erklärte republikanische Präsidentschaftskandidat Ben Carson orakelte, wer diesem Curriculum folge, werde so demoralisiert, dass er sich zwangsläufig den Terroristen des Islamischen Staates anschließen müsse.

Ein Übungstest, den das College Board veröffentlicht hat, entkräftet diese Vorwürfe. Ein Text Benjamin Franklins über die seiner Meinung nach segensreiche Ausbreitung des Protestantismus ist hier zum Beispiel ebenso zu analysieren, wie Aussagen von Präsident William McKinley und der Pazifistin Jane Addams zum Spanisch-Amerikanischen Krieg zu erläutern und zu vergleichen sind.

Dass man Thomas Jefferson und George Washington im neuen Lehrplan vergebens sucht, ist einfach erklärt. Die Lebensgeschichten dieser Staatsmänner bekommt jedes Kind in den USA ohnehin schon eingebläut – in jener Vorschule nahe Washington etwa, in welcher der Sohn eines Bekannten des „Presse“-Korrespondenten den Treueschwur gegenüber Nation und Flagge auswendig zu lernen hat: als Fünfjähriger.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2014)

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