Mein Archiv: Die große Welt in kleinen Heften

(c) Clemens Fabry
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Gottlob sprach Kreisky so langsam, dass wir alle mitschreiben konnten. In den Notizen tummeln sich noch alle Haudegen des innenpolitischen Kampfplatzes.

Das Archiv als „Rache der Journalisten“ (© Robert Hochner)? Nein, von Rache soll nicht die Rede sein bei dem, was hier in mehreren Transportkisten verwahrt ist. Eher von Nostalgie: hunderte Notizblöcke, beginnend im August 1965 – ein pralles innenpolitisches Journalistenleben. Mehrere Übersiedlungen hat diese Sammlung schon überstanden, leider nicht ganz unversehrt, ein paar sind abhandengekommen. Weil es gerade passt, diene ein Pressspanheft aus dem Jahrgang 1974 als Demonstration. Wir drehen den Film um vierzig Jahre zurück, in den November 1974.

Bruno Kreisky regiert seit 1970, zuerst in einer Minderheitsposition mit parlamentarischer Duldung durch die FPÖ, ab 1971 dann mit einer absoluten Mehrheit. Seit zwei Jahren schon gibt es eine staatliche Förderung für die Bildungseinrichtungen der drei Parlamentsparteien, Kreisky will die Parteifinanzierung aber ausbauen. Aber was werden die parteiunabhängigen bürgerlichen Zeitungen sagen? Kreisky bedient sich eines simplen Tricks. Er führt die Presseförderung ein. Im November stellt er seinen Plan im berühmten Pressefoyer nach dem Dienstag-Ministerrat vor. „Es ist das nichts anderes als eine Steuererleichterung, weil es ja jetzt eine Umsatzsteuer für Zeitungen gibt, meine Herren!“ (Frauen waren im „Journalisten-Wanderzirkus“ damals noch rare Ausnahmen).

Und bei diesem kleinen Privatissimum, das oft mehr als eine Stunde dauern kann und das „der Alte“ so liebt, erklärt der „Sonnenkönig“ den umstehenden Lieblingsjournalisten auch gleich sein Selbstverständnis als Alleinunterhalter: „Sie werden mich brauchen, solange ich News für Sie schaffen kann. Wenn Sie mich nicht mehr brauchen können, dann schmeißen Sie mich eh auf jenen Haufen, wo die Leut' liegen, die halt kein Interesse finden . . .“

Vieles bleibt noch vage im Dunkeln, ist nur halb gebacken, was der Kanzler brummelt. Aber für eine Schlagzeile eignet sich das noch allemal. Im Jahr 1975 sind wieder Nationalratswahlen: Wollen Sie den Wahltermin vorverlegen? „Nein, draußen in der Welt ist es zwar unübersichtlich, aber man macht es dadurch auch nicht besser. Keine psychologische Krisenstimmung! Keine Alarmgerüchte!“ Kreisky geht von einem glatten Sieg aus und kündigt an: „Ich werde 1975 für einzelne Ressorts parteifreie Minister vorschlagen.“ Tatsächlich wird es dann nur Willibald Pahr fürs Außenamt sein, denn der Heeresminister Freiherr Karl von Lütgendorf ist ja schon im Kabinett.

Um diese Zeit hat der alte Fuchs auf einem anderen Kampfplatz einen Sieg errungen, den ihm ÖGB-Präsident Benya und Justizminister Broda aufgezwungen hatten: Der allzu selbstherrliche ORF-Generalintendant Gerd Bacher wird abgewählt. Dies ist nicht ganz im Sinn des Regierungschefs, der zum konservativen „heimatlosen Rechten“ ein ganz gutes Verhältnis pflegte. Die Ironie des Schicksals wollte es, dass Broda gleich einen Mann seines Vertrauens an die Schalthebel der Medienorgel ORF setzte: den Sektionschef Oberhammer aus dem Justizministeriums, der eine Übersiedelung der Beamten glanzvoll zustande gebracht hat . . .

In den Notizen leben sie alle noch: Karl Schleinzer, Hermann Withalm, Stefan Tull, Johann Hatzl, Tassilo Broesigke, Robert Weisz, Stefan Koren und Friedrich Peter, Gustav Zeillinger. . . Und ein paar Haudegen, die heute noch mitmischen, tummeln sich schon auf den kleinen linierten Blättern: Josef Taus, der noch nicht ahnt, dass er in acht Monaten dem verunglückten Karl Schleinzer als VP-Obmann folgen muss, Hannes Androsch, der sich noch in Kreiskys Wohlwollen sonnt, Gerd Bacher, der eine glanzvolle Wiederwahl im ORF erleben wird, Andreas Khol, der gerade erste parlamentarische Schritte setzt . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2014)

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