Mauerfall: Was bleibt von den Ideologien?

Der Siegeszug der Globalisierung brachte soziale Konflikte.

Über 28 Jahre trennte sie eine in ideologische Blöcke erstarrte Welt, am 9.November 1989 fiel die Berliner Mauer. 25 Jahre später sei die Euphorie über das Ende des Kalten Krieges der Ernüchterung über das Aufkommen radikaler Strömungen gewichen, die das ideologische Vakuum füllen. Das war der Tenor der Expertendiskussion beim „Science Talk“ in Wien.

„1989 brachte einen scheinbaren Sieg der Demokratie, der Menschen- und Bürgerrechte. Aber was es nicht gebracht hat, ist eine soziale, gerechtere Entwicklung in der Gesellschaft“, sagte der Historiker Oliver Rathkolb von der Uni Wien bei der Veranstaltung des Wissenschaftsministeriums. Darum sei das jetzige Jubiläum keinesfalls positiv besetzt, so Rathkolb. Stattdessen habe der folgende Siegeszug der Globalisierung mit vermehrten sozialen Konflikten schon bald seine Schattenseiten offenbart. Die fehlende Ideologie sei ein Problem. Dem widersprach Politikwissenschaftlerin Liljana Radonic: Die autoritären Führungsstile des ungarischen Premiers, Viktor Orbán, und des russischen Präsidenten, Wladimir Putin, seien auf jeden Fall unter dem Thema Ideologie zu rechnen.

Fanatismus füllt Vakuum

Für die Journalistin Susanne Scholl hat Putins Politik nichts mit Ideologie zu tun: Dabei ginge es nur um Machterhalt und Kontrolle; der ehemalige KGB-Mitarbeiter habe den Zusammenbruch der Sowjetunion einmal als die „größte geopolitische Katastrophe des 20.Jahrhunderts“ bezeichnet. In das „enorme ideologische Vakuum“ im postsozialistischen Osteuropa sei alles „hineingeronnen“, was da war: von fanatischen Religionsextremisten, Nationalisten bis zu xenophoben und antisemitischen Strömungen.

Für den deutsch-ägyptischen Politologen Hamed Abdel-Samad ist auch das starke Wiederaufleben islamistischer Strömungen nach dem Arabischen Frühling einerseits mit fehlenden Ideologien, andererseits mit dem „Phänomen der Verspätung“ zu erklären. Nationen, die unzufrieden sind mit dem Lauf der Geschichte und ihrer Rolle, seien anfällig für das Wiedererstarken von Islamismus und Nationalismus. (APA)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2014)

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