Bronisław Geremek: Historiker, Dissident, polnischer Sir

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Eine neue Biografie über den Politiker Bronisław Geremek ist etwas zu trocken geraten.

Bronisław Geremek war in den 1980er- und 1990er-Jahren eine herausragende Figur bei der Transformation Polens von einer kommunistischen Diktatur in eine liberale Demokratie, die heute unter allen früheren Ostblockstaaten als Vorbild dasteht. Und ja, Geremek war auch eine politische Persönlichkeit von europäischem Format: blitzgescheit, vornehm, charmant, bescheiden – ein richtiger Sir.

Keine Frage, dass dieser hochangesehene Mittelalter-Historiker, Bürgerrechtler und Politiker eine umfangreiche Biografie verdient hat – und der deutsche Journalist Reinhold Vetter, der schon den polnischen Arbeiterführer Lech Wałęsa porträtierte, hat sich an die Aufgabe herangewagt.

Seine frühen Jahre im Warschauer Ghetto und sein Überleben im von den Nazis geknechteten Polen nachzuzeichen, war schwierig. Sie bleiben auch in diesem Buch bruchstückhaft, weil auch Geremek selbst nie viel darüber gesprochen hatte. Weit ergiebigere Quellen konnte Vetter dann zu Geremeks Akademikerkarriere, seinem Hineinwachsen vom kommunistischen Revisionisten zum aktiven Bürgerrechtsaktivisten und schließlich zu einem führenden Strategen der Solidarność-Bewegung, der dann auch am Runden Tisch im Frühjahr 1989 eine Hauptrolle spielte, anzapfen.

Vetter hat recht, wenn er schreibt, dass eine Biografie an Aussagekraft gewinne, „wenn man sie in Beziehung zur jeweiligen historisch-politischen und ökonomisch-sozialen Situation setzt“. Nur, er hat Geremeks Leben (er verstarb 2008 bei einem Autounfall) fast zu viel ins Zeitgeschehen eingebettet – und dabei vergessen, auch etwas über den Menschen Geremek zu erzählen. Vetter selbst begründet dies damit, dass er „keine Schmutzwäsche“ habe waschen wollen. Aber um Schmutzwäsche geht es gar nicht. Man will einfach in so einer umfangreichen Lebensbeschreibung auch etwas über Erfolge und Niederlagen, Freud und Leid, Stärken und Schwächen der Hauptperson erfahren – und nicht nur über die vielen Preise, die er in Deutschland erhalten hat. (b.b.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2014)

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