Heute vor ... im Dezember: Zwischenbilanz im Weltkrieg

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Fünf Monate nach Beginn des Kampfes.

Heute vor 100 Jahren: Fünf Monate nach Beginn des Kampfes

Zwischenbilanz im Weltkrieg zu Jahresende.

Neue Freie Presse am 31.12. 1914

Der in seinen Folgen kaum zu ermessende Weltkrieg ist weitab von den Neigungen in der Monarchie gewesen, hier in Wien ist der Weltkrieg sicher nicht gewollt worden. Warum ist er ausgebrochen? Die mannigfachen Reibungen zwischen den Großmächten aufzuzählen, ist leicht: Nebenbuhlerschaft auf dem Balkan zwischen der Monarchie und Russland, der Wunsch nach Metz und Straßburg, diese beständige Krise zwischen Frankreich und Deutschland, der Handelsneid zwischen den Völkern an beiden Ufern der Nordsee und die Trennung von Europa in zwei Mächtegruppen und die sich daraus ergebenden Verwicklungen für jeden Großstaat. Die Gehässigkeit gegen das Deutsche Reich hat die böse englische Fee dem Riesen schon in die Wiege gelegt. Das Unglück wollte, dass Europa keine Führung hatte und dass dem jetzigen Geschlechte kein überragender Mann erstanden ist, der, in das Schicksal der Völker eingreifend, die unreinen Geister hätte bannen können. Wer jetzt von Silvester zu Silvester sehen könnte! Wir sind nicht erdrückt worden, wir kämpfen und streiten in Gemeinschaft mit unseren Verbündeten, und die Macht, die in den Kaiserreichen verkörpert ist und der französischen Armee im Westen und der russischen Armee im Osten eine nicht zu überschreitende Linie zieht, wird über die unreinen Geister siegen und der Welt dereinst den Frieden schenken.

Heute vor 90 Jahren: Siegeszug des Radio

Auch in Österreich hat dieses „Wunder“ einen einzigartigen Erfolg zu verzeichnen.

Neue Freie Presse am 30.12.1924

Das Radio hat in der ganzen Welt seinen Siegeszug angetreten. Auch in Österreich hat dieses Wunder des Erfindungsgeistes einen einzigartigen Erfolg zu verzeichnen, denn in ganz kurzer Zeit konnten 70.000 Radioabonnenten in den Listen geführt werden. Neue Industrien sind förmlich über Nacht entstanden, und wer durch die Straßen Wiens geht, der findet jetzt auf Schritt und Tritt Geschäftslokale mit den grellen Aufschriften: Radio. … Wir sind der Meinung, dass dem Radio eine heute noch gar nicht zu überschauende kulturelle Bedeutung innewohnt und dass die Ravag, die eine Monopolstellung einnimmt, sich ihrer Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit voll bewusst sein muss. Sie darf in dem Ausbau ihres Programms nicht erlahmen, sie muss das Beste vom Guten bieten und immer dessen eingedenk sein, dass Österreich in künstlerischer und musikalischer Hinsicht repräsentative Verpflichtungen hat.

Politiker als Meister der Selbstinszenierung

Sie spielen große Männer und glauben selbst, es zu sein.

Neue Freie Presse am 29.12.1889

Wer die Laufbahn des Politikers betritt, kann der Selbst-Inszenierung nicht entraten. Wenn man sich um das Mandat eines Volksvertreters bewirbt, so handelt es sich, um es zu bekommen, nicht um Tüchtigkeit, Kenntnisse und ehrlichen Willen, sondern darum, einer gewissen Anzahl von Mitbürgern die Überzeugung beizubringen, dass man der geeignete Mann sei. Von zwei Kandidaten, die sich gegenüberstehen, trägt meistens jener den Sieg davon, der den Wählern die eigene Bedeutung in das grellere Licht setzt. Gute Köpfe sind schon oft gegen einen Phrasendrescher durchgefallen. In allen Parlamenten gibt es Leute, vor deren Ungeschick die eigene Partei zittert, sobald sie den Mund auftun. Wie sind sie zu der Würde gelangt, die nur den Besten gegeben werden sollte? Sie haben kein Talent außer dem, sich zu inszenieren, aber diese Gabe besitzen und benützen sie. Mit ihr bringen sie es zuweilen noch weiter als zum Abgeordneten; sie werden, wenn ein Stammbaum sie stützt, manchmal sogar Minister und inszenieren sich glänzend, so lange sie im Genuss der Macht sind. Sie spielen dann nicht nur große Männer, sie glauben sogar selbst, es zu sein.

Die Presse wird den Krieg entscheiden

Die Zeitungen – zur Waffe geworden.

Neue Freie Presse am 28.12.1914

Ein ganz besonderer Faktor hat sich heute, wo das Schicksal der Welt entschieden wird, eine ganz bedeutende Rolle gesichert: die Presse. Sie ist zu einer Waffe geworden, deren Donnerton dem Getöse der mordspeienden Geschütze gleichkommt, denn sie vernichtet das Lügengewebe und sie zerstört unerbittlich die Ränke des Feindes. Sie ist ein Cherubim, der mit flammendem Schwerte und eherner Zunge den Mut der Massen entzündet, anfacht und erhält. Und sie ist die Trösterin derer, die leiden und die klagen, und die Verzagten richtet sie auf. Die Presse, die unser Selbstvertrauen erhält, die wird den Krieg entscheiden.

Weihnachten 1889 – eine durchwachsene Bilanz

Keine rechte Stimmung zu den Festtagen.

Neue Freie Presse am 27.12. 1889

Das Weihnachtsfest ist heuer in den bürgerlichen Kreisen ziemlich still verlaufen, da schon der notorisch schlechte Erfolg des Weihnachtsgeschäftes eine fröhliche Feststimmung nicht hatte aufkommen lassen. Man war nicht in der Laune, sich dieser Tage besonders zu freuen, und die geschäftliche Bilanz des Festes war keine derartige, die Neigung zu größeren Ausgaben für die Feier des Familienfests zu wecken. Dazu kam, dass auch die Influenza dazu beitrug, die Gemütlichkeit und Behaglichkeit zu stören, da die leidige Landplage fast in jedem Familienkreise und in jeder Gesellschaft wenigstens ein Opfer geholt hatte, dessen Zustand allgemeines Bedauern und Mitgefühl weckte. Nur jenen armen Bevölkerungsklassen, denen sich die Entbehrung in dieser Jahreszeit gewöhnlich doppelt fühlbar macht, hat der Winter eine willkommene Bescherung gebracht und ihnen durch den neuen Schneefall wieder Gelegenheit zu einem allerdings nur kärglichen Erwerb durch die Arbeit des Schneeschaufelns verschafft.

„Sport und Salon“: Junge Wiener lieben den Eislaufverein

Der begehrteste Rendezvous-Platz der Stadt.

Neue Freie Presse am 26.12.1914

Den Eislaufverein kennt jeder Wiener – und wenn er ein junger Wiener ist, liebt er ihn auch. Denn der junge Wiener verbringt den größten Teil seiner freien Zeit auf dem weiten Platz hinter dem Stadtpark. Das Kind moderner, vernünftiger Eltern beginnt seine Tätigkeit am Eislaufplatz als sogenannter „Eisfloh.“ Nichts herziger als diese kleinen blauen, rosa und weißen Dinger, die, mit Miniaturschlittschuhen ausgerüstet, sich gleichsam von selbst auf der weißen Fläche fortbewegen, obwohl sie es noch nicht lange gelernt haben, auf dem festen Lande aufrecht zu stehen. Lärmend zieht nach Schulschluss mittags eine fröhliche Schar auf dem Eislaufplatz ein; Schulränzen und Reißbrett fliegen in die Ecke, der Kastelmann gar gar nicht schnell genug  die Schlittschuhe bereitstellen. Mädel und Buben finden sich zusammen, schüchtern regen sich die ersten Jugendfreundschaften, der Gymnasiast aus den unteren Klassen beginnt seine ersten Flirtversuche. Ist nicht Amor überhaupt der Regent dieses Platzes? Der Eisplatz vermittelt die besten Rendezvous und die harmlosesten dazu – und wo ist man so ungestört, vor aller Augen doch ganz allein?

Die Eröffnung des Café "Herrenhof"

Kaffeehäuser in Wien bieten künstlerisches Gesamtbild.

Neue Freie Presse am 25.12.1914

Gestern sind die Räume des neuen Herrenhof-Cafés in dem Neubau, 1. Bezirk, Herrengasse 10, eröffnet worden. Das Problem der Kaffeehausausstattung ist seit geraumer Zeit zum Kunstproblem geworden und die neuesten Schöpfungen auf diesem Gebiete werden nicht nur von dem kunstverständigen Publikum, sondern auch von den künstlerischen Fachkreisen mit höchstem Interesse verfolgt. Das Herrenhof-Café bietet hier ein interessantes Beispiel. Die Architektur, Malerei und Kleinplastik vereinigen sich hier zu einem einheitlichen künstlerischen Gesamtbild, das den praktischen Anforderungen, die an ein Wiener Café zu stellen sind, streng untergeordnet bleibt. Alles, was im „Herrenhof“ zu sehen ist, zeichnet sich dadurch aus, dass sich guter Geschmack und vornehme Behaglichkeit zur vollen Harmonie verbinden. Der Zuspruch des Publikums, das der Eröffnung beiwohnte, war überaus zahlreich. Die Verbindung des Kaffeehauses mit einem teilweisen Restaurationsbetrieb, den Bedürfnissen des großstädtischen Publikums abgeleitet, fand allgemeine Anerkennung.

Brief eines deutschen Soldaten: Weihnachtsfriede an der Front

Ein kleiner Friede im großen Krieg. Soldaten feiern gemeinsam.

Neue Freie Presse am 24.12.1914

„Liebe Eltern, es klingt kaum glaubhaft, was ich euch jetzt berichte, ist aber pure Wahrheit. Kaum fing es an Tag zu werden, erschienen schon die Engländer und winkten uns zu, was unsere Leute erwiderten. Allmählich gingen sie ganz heraus aus den Gräben, unsere Leute zündeten einen mitgebrachten Christbaum an, stellten ihn auf den Wall und läuteten mit Glocken. Alles bewegte sich frei aus den Gräben, und es wäre nicht einem in den Sinn gekommen zu schießen. Was ich vor ein paar Stunden noch für Wahnsinn hielt, konnte ich jetzt mit eigenen Augen sehen … war dies etwas Ergreifendes: Zwischen den Schützengräben stehen die verhasstesten und erbittertsten Gegner um den Christbaum und singen Weihnachtslieder. Diesen Anblick werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Man sieht bald, dass der Mensch weiterlebt, auch wenn er nichts mehr kennt in dieser Zeit als Töten und Morden … Weihnachten 1914 wird mir unvergesslich sein.“

(Der Verfasser des Briefs, Josef Wenzel, fiel am 6. Mai 1917).

Das Weihnachtsschiff kommt nach Europa

Amerika schickt Weihnachtsgeschenke für europäische Kinder.

Neue Freie Presse am 23.12.1914

Während die Welt zu Lande und zur See von den Gräueln des Krieges heimgesucht wird, ist dieses Schiff mit einer Botschaft des Erbarmens und der Liebe übers Weltmeer gesegelt. In seinem kolossalen Schiffsraum trug es eine Fracht, wie sie Kinder in den Nächten vor dem Heiligen Abend träumen. Pferde vor Wagen und Schlitten gespannt, Eisenbahnen, Automobile,  Dampf- und Segelschiffe, haarige Bären, blonde Puppen, braune Puppen, Negerpuppen, solche die beim Schlafengehen die Augen schließen, und solche die Papa und Mama sagen können, und die herrlichste aller amerikanischen Spielereien, der Humpty-Dumpty-Zirkus, kurz, das ganze Paradies der Kinder. Alle amerikanischen Kinder waren aufgefordert worden, sich an der Riesenbescherung zu beteiligen. Bürgermeister und Vereine in allen Städten der Vereinigten Staaten arbeiteten mit. Präsident Wilson steuerte das Transportschiff „Jason“ bei. Die amerikanischen Kinder erwarten mit Ungeduld Nachricht, wie ihre Santa-Claus-Überraschung in Europa aufgenommen wurde.

Flüchtlingskinder als Zeitungsausträger

Sie kennen nur ein deutsches Wort: Extraausgabe!

Neue Freie Presse am 22.12.1914

Ein kleiner Junge mit einem Bündel loser Zeitungsblätter im Arm rennt durch die Straßen. Es ist einer von den vielen kleinen Jungen, die jetzt umherlaufen und gute Botschaften feilhalten. Man kennt ja nun schon den hellen Schrei ihrer kindlichen Stimmen: „Extra-Ausgabee!“ Auch dieser kleine Junge ruft: „Extraausgabe!“ Aber es ist so ziemlich das einzige deutsche Wort, das er versteht. Er hat sich diese fünf Silben eingeprägt, mit ihrem hoch ansetzenden, knapp hinschwingenden Tonfall, wie man ein Liedchen lernt. Sonst ist ihm unsere Sprache so wenig vertraut wie das unermessliche Gewirr unserer Straßen. Allein es ist ein tapferer kleiner Junge und er rennt einfach gradaus, mitten hinein in die neue Sprache und in die fremde Stadt. Vor drei Monaten hat er nur Polnisch gesprochen, hat bloß die paar Gässchen seines Heimatortes gekannt und noch keine Ahnung gehabt, was eine Extraausgabe ist. Da hat ihn der Krieg eines Tages aufgehoben und hierher geschleudert; wie der Sturm ein Papierschnitzel vom Erdboden emporwirbelt und irgendwohin mit sich fortfegt.

Wie läuft das Weihnachtsgeschäft?

Kein Luxus, dafür gediegene Waren aus dem Inland.

Neue Freie Presse am 21.12.1914

Mildes und ziemlich klares Wetter begünstigte den Verkehr am gestrigen Tage. Besonders mittags und in den späteren Nachmittagsstunden wogte in der Inneren Stadt und in den Hauptgeschäftsstraßen der Bezirke ein vieltausendköpfiges Publikum auf und ab. Fast jeder trug sein Päckchen unter dem Arm und schon nach dem rein äußerlichen Bilde kann die Bilanz des Tages nicht ungünstig gewesen sein. Während man sonst zu Geschenken gerne Gegenstände wählt, die der zu Beschenkende nicht unbedingt braucht, von denen man jedoch glaubt, dass sie ihm Freude bereiten, wählte man diesmal im allgemeinen Sachen, die er haben muss und deren Besitz ihm Freude machen kann. So wurden meist nützliche Dinge gekauft und die Luxusartikel, die den Stolz des Wiener Gewerbes und der Industrie bilden, und die namentlich jetzt bemüht ist, zu zeigen, dass es auch ohne französische und englische Importe geht, blieben eher etwas vernachlässigt. Es gab keine französischen und englischen Luxusartikel, keine russischen Pelzwaren, keine belgischen Schmucksachen oder japanischen Nippes. Man kaufte ausschließlich heimische und aus Deutschland gekommene Sachen, und man konnte nicht einmal ein Wort des Bedauerns hören, dass in der Spezialitätentrafik der Vermerk „nicht vorrätig“ angebracht ist. Man kauft jetzt ebenso gern die Erzeugnisse unserer Tabakregie.

Der geräuschvolle Silvester-Übermut

Silvestervergnügungen im Kriegsjahr sind entbehrlich.

Neue Freie Presse am 20.12.1914

Man kennt den „Silvesterrummel“ der letzten Jahre. Nach der Jahrhundertwende wurde uns dieser geräuschvolle, öffentliche Übermut importiert. Es ist nichts wienerisch Bodenständiges. Geradezu patriarchalisch verlief Anno dazumal die Neujahrsnacht und Silvester war ein intimes Fest. Man hatte daheim oder bei Freunden oder bei einem Konzert sich bis nach der üblichen Verfinsterung zum kalendarischen Zeigersprung herzlich vergnügt, hatte dem heurigen Wein die nötige Menge Punsch nachgefüllt und trollte nun auf einem Lüftungsspaziergang gruppenweise durch die Stadt. Man konnte – auch als wohlerzogener Mann – einen schiefen Zylinder tragen, konnte Luftschlangen werfen, Blitzlichter abbrennen und fremden Damen gewagte Artigkeiten sagen, man konnte mit dem Freibrief der Neujahrsfröhlichkeit aller guten Laune die Zügel schießen lassen. Anno dazumal! Zum Beispiel noch 1900 und die folgenden Jahre! Dann kam eine öffentliche Silvesterfeier, bei der die Wache Arbeit erhielt, eine Art von „Ulk“, die feines Empfinden arg verletzte.

Fehler in der Kindererziehung

Vortrag eines Psychoanalytikers über Schädigungen an den Kinderseelen.

Neue Freie Presse 19.12.1924

Zur Sprache kamen viele Fehler in der Kindererziehung, die sich oft zu Schädigungen des späteren Lebens entwickeln, insbesondere der Mangel an Liebe, an dem so viele Kinder leiden, und sein Gegenteil, die Überzärtelung der Kinder. Die moderne Erziehungsmethode in den Besserungsanstalten hat den Beweis erbracht, dass selbst bei den unverträglichsten und rohesten Burschen eine völlige Umwandlung zum Guten ohne Schläge und Strafen durch Milde, Güte und Verständnis gelingt. Ebenso schädlich wie die Lieblosigkeit ist ihr Gegenteil, die Überzärtelung. Eltern, die sich dieses Erziehungsfehlers schuldig machen, werden nur Undank ernten. Auch auf die so häufigen und im höchsten Grade verhängnisvollen Vergewaltigungen des Seelenlebens des Kindes wurde hingewiesen, die darin bestehen, dass seine Fragen belacht, seine Handlungen verspottet, seine Gefühle vor Fremden aufgedeckt, entweiht, aus seinem kleinen Herzen gerissen werden. Das Kind mag sich dabei auch gleichgültig, selbst heiter zeigen. Sein Unbewusstes verzeiht diese Demütigung doch niemals.

Feldpostbrief an die Mutter

Brief eines deutschen Soldaten aus einem flandrischen Schützengraben.

Neue Freie Presse am 18.12.1914

Liebe Mutter! Brief I und II habe ich erhalten und nachts im Unterstand, an dem wir vier Stunden gegraben haben, gelesen. Zwei Tage war ich krank infolge schlechten Wetters. An meiner Ausrüstung fehlt bis jetzt nichts, nur Handschuhe kann ich gebrauchen, da es nachts friert und wir dann graben müssen, damit die Flieger am Tage unsere Stellungen nicht finden. Es müssen wasserdichte Handschuhe sein und wärmend nebenbei auch, sonst nützen sie gar nichts. Der Kampf ist heute wieder ziemlich heftig. Vor dem ewigen Kanonengebrüll kann man kaum sein eigenes Wort verstehen. Morgen kommen die Österreicher mit einer Motorbatterie hierher, zur Verstärkung unserer schweren Fußartillerie. Ich glaube kaum, dass in dem bisherigen Feldzug eine Batterie so viele Verluste zu beklagen hat wie die unsrige. Jetzt haben wir schon den fünften Batterieführer verloren. Eben schlug eine Granate der neben meinem Erdloch ein und zersprang, ohne Wirkung zu haben. Gewöhnlich versagen die französischen Geschosse, höchstens springt der Zünder ab und das leere Geschoß gibt den schönsten Blumentopf für unsere Erdwohnung.

Nach Inflationschaos: Der Schilling kommt

Aus einer Rede des österreichischen Finanzministers zur neuen Währung.

Neue Freie Presse am 17.12.1924

Denken wir an den heißen Sommer des Jahres 1922, an die Zeit, wo die Krone unaufhaltsam stürzte, an die Zeit, wo das Ende Österreichs gekommen schien, an die Zeit, wo der Bevölkerung die Ersparnisse, das Einkommen, der Gehalt zwischen den Fingern zerrannen, an die Zeit, wo sich der gesamten Bevölkerung eine Panik bemächtigt hatte, die sich in der Richtung äußerte, dass sich alles auf das Hamstern von Realwerten warf, um die Vermögenssubstanz zu erhalten. … Begonnen haben wir das Gebiet der Währung zu bearbeiten mit dem Einstellen der Notenpresse, mit der Gründung der Nationalbank und mit der Stabilisierung der Krone. Es kam dann das Gesetz vom Dezember 1923, das die Ausgabe von Silbermünzen vorsah und eine neue Bezeichnung für den Betrag von 10.000 Papierkronen einführte, den Schilling. Anfang 1924 erfolgte die Ausprägung und im Juni des Jahres 1924 die Ausgabe.

American Girls im Pariser Moulin Rouge

Die neue Frau der 20er Jahre fasziniert und verwirrt.

Neue Freie Presse am 16.12.1924

In diesen Tagen wird Moulin Rouge nach Jahren wieder eröffnet, wird mit einer glanzvollen Revue, von welcher die Reklame Wunderdinge meldet, seine Traditionen eines Zentrums der Lebewelt zu erneuern suchen, die Teufelsmühle rot glühender Begehrlichkeit lockt als Symbol verführerischer Verrücktheit, und mitten in die Revue hinein kommen achtzehn junge Amerikanerinnen, ausgewählt und gedrillt, und werden neue wilde groteske Tänze von drüben mitbringen. Vor den Parisern erscheint hier ein ganz neuer Typus von Frau: das Sportmädel, junge Athletinnen, ein jeder Körper gestählt, eine Schar höchst tugendhafter Damen, die teilweise recht groß sind und dressiert, wie man dies bisher bei Menschen noch niemals gesehen haben soll. Es wird geübt, studiert, geprobt, und plötzlich bricht dann aus den schlanken fernen blonden Girls eine rasende, verwirrte Wildheit los, eine neue und noch unbekannte Komik, man darf bald die ersten Nachrichten über Besucher des Moulin Rouge erwarten, die sich für die Girls ruinieren.

Hakenkreuze auf den Schutzhütten

Der deutsch-österreichische Alpenverein ist offen antisemitisch geworden.

Neue Freie Presse am 15.12.1924

Der Rassenwahn hat in den Städten und Dörfern wahrhaftig schon genug Unglück angerichtet und in die Nation einen Keil getrieben. Nun aber will das Hakenkreuz auch die Bergeshöhen erobern und von Schutzhütte zu Schutzhütte seinen Siegeszug antreten. Schon heute bieten sich den Touristen gleich seltsame wie unerquickliche Bilder dar. Man hätte es nicht für möglich gehalten, dass die reine Alpenluft eines traurigen Tages durch die übeln Düfte der Hasspolitik verpestet werden könnte, man hätte es nie und nimmer für denkbar erachtet, dass die Stätten, die früher den Touristen zur Rast freundlich einluden, durch die Warnung verunziert werden könnten, dass der Aufenthalt von Juden und Mitgliedern der Sektion „Donauland“ nicht erwünscht sei.

Anm.: Die Sektion Donauland wurde 1921 von jüdischen Bergsteigern gegründet, das war eine Reaktion auf die antisemitische Ausrichtung von großen Teilen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins. Viktor Frankl zum Beispiel war Mitglieder der Sektion Donauland, die im Dezember 1924 von der rechtsextremen Gruppierung des DÖAV ausgeschlossen wurde.1938 verboten die Nationalsozialisten Donauland, eine Wiedergründung nach 1945 hat sich nicht lange gehalten.

Impressionismus – eine ungesunde Kunstnarretei ist passé

Heilsame Wirkung des Krieges für die Kunst.

Neue Freie Presse am 15.12.1914

Die bedingungslose Verhimmelung der Impressionisten und die damit Hand in Hand gehende Verwerfung alles Formgefühls wie alles gedanklichen oder poetischen Inhalts war der Anfang einer verhängnisvollen Kunstbewegung; von allerlei äußeren Umständen gefördert, hat sie zu den gegenwärtigen desperaten Zuständen geführt, wodurch die stärksten Talente ruiniert worden sind, die sich von diesem Strom haben erfassen und treiben lassen. Nun hat aber der Krieg eben dadurch, dass er das Interesse für derartige Fragen in den Hintergrund drängte, schon eine heilsame Wirkung auf das Kunstleben ausgeübt. Kein Mensch spricht mehr von Synthetikern, Kubisten oder Futuristen - ebensowenig wie etwa vom Tango. Und da man nun mit diesen ungesunden Modenarreteien weder Aufsehen erregen noch Geschäfte machen kann, so verschwinden sie wie die bösen Geister und lassen nur einen merklichen Pech- und Schwefelgestank zurück. … Alle diese Moden sind von Paris ausgegangen. Aber nicht, weil sie der Ausdruck französischen Kunstempfindens waren, sondern, weil alles, was von dort aus geschickt lanciert wird, in Mode kommt. Die Notierungen der Pariser Kunstbörse sind maßgebend für die ganze übrige Welt – so wenig sie manchmal dem wirklichen Wert entsprechen. Es ist bezeichnend, dass man für den schönsten Danhauser in Paris keinen nennenswerten Preis erzielen kann, indem man für die misslungenste, kitschigste Skizze von Renoir – und es gibt zahllose solche, die außer der Signatur nicht mehr Wert haben als eine talentlose Schülerarbeit! - überall Unsummen bezahlt.

Anmerkung: Der Feuilletontext vom 15. Dezember trägt den Titel „Der Krieg und die deutsche Kunst“ und stammt von Adalbert Franz Seligmann, dem Wiener Historienmaler und Kunstkritiker (1862 bis 1945). Unter ihm geriet die Kunstkritik der „Neuen Freien Presse“ nach 1900 in ein extrem konservatives Fahrwasser, der Kritiker hatte als Feuilletonredakteur der Zeitung 1904 bis 1933 beträchtlichen Einfluss auf das Wiener Kunstleben. Ab 1914 wirkte der Krieg als Katalysator für den Nationalismus auch in der Kunstkritik, schon die Zeitgenossen empfanden das Jahr als Wendepunkt. Das letzte Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg war entscheidend für die Entwicklung der modernen Kunst gewesen. Der internationale Geist, der die Moderne vor dem Krieg ausgezeichnet hatte, wurde nun zerstört, an die Stelle einer gut vernetzten und sich befruchtenden internationalen Künstlergemeinschaft traten nationale Egoismen und patriotischer Furor. Mit den Worten Theodor Lessings: „Im August 1789 beschlossen die Menschen, Weltbürger zu werden. Im August 1914 beschlossen sie das Gegenteil.“

Der Todesmut der polnischen Legion

Junge Polen strömen in die österreichische Armee.

Neue Freie Presse am 14.12.1914

In Galizien galt es schon von Anfang an als selbstverständlich, dass das Polentum Schulter an Schulter mit der österreichisch-ungarischen Armee für die gerechte Sache, die Freiheit und für die Existenzberechtigung ihrer Nation gegen die Moskowiter zu kämpfen habe. Angeeifert durch die ungewöhnliche Opferwilligkeit sämtlicher polnischer Gesellschaftsklassen, melden sich viele tausende schneidiger junger Männer zum Freiwilligendienste. Seit drei Monaten kämpfen diese polnischen Legionen auf zahlreichen Schlachtfeldern des gewaltigen Krieges, setzen sich furchtlos und todesmutig der russischen Übermacht zur Wehr. Von der Idee des Kampfes mit dem Erbfeinde Polens und der Befreiung der polnischen Länder von seiner Herrschaft beseelt, verdreifacht die polnische Jugend ihre Kräfte, um den schwierigsten Situationen standzuhalten. Durch die Macht dieser Idee werden schwache und zuweilen kaum den Kinderjahren entwachsene Jünglinge in Krieger verwandelt, die, was Ausdauer, Mut und Unbeugsamkeit anbetrifft, den in dem Kriegshandwerk erprobtesten Soldaten gleichkommen. Dieser wachsende Ruhm der polnischen Legionen lässt nicht nur die glorreichen Traditionen der polnischen Waffen neu auferstehen, er bestätigt auch die Lebensfähigkeit und die Anziehungskraft des österreichischen Staates, in welchem die polnische Nation so viel Berücksichtigung ihrer nationalen Rechte gefunden hat.


Wenn der Sammelwagen kommt …

Viele Spenden für die Soldaten in der Vorweihnachtszeit.

Neue Freie Presse am 13.12.1914

In Deutschland wird das Sammeln von Liebesgaben schon seit Kriegsbeginn in großzügigem Stil betrieben. Wenn dort der Kronprinz nach Berlin telegraphiert, dass seine Soldaten nichts zu rauchen haben, ist zwei Tage später eine Sendung Zigarren und Zigaretten für eine ganze Armee versandbereit. Fortwährend gehen lange Automobilzüge mit Wollsachen und Lebensmitteln auf die Kriegsschauplätze ab, und weil in diesem Lande der Tüchtigkeit jeder auch Verse machen kann, finden sich bei den Geschenken meistens kleine herzliche Gedichte, genau so sauber, nett und fehlerlos gearbeitet, wie die Pakete und Strümpfe. Die Fahrt der mit Pferden bespannten Sammelwagen von Haus zu Haus ist etwas altmodischer und idyllischer, aber gerade dadurch der wienerischen Weise sehr angemessen. Und zu sehen gibt es was, wenn die ganz mittelalterlich anmutende Kolonne der Proviantwagen angefahren kommt, jeder mit Fahnentüchern und Reisig geputzt, von Offizieren begleitet, von Soldaten kutschiert. Den leichtfüßigen Vortrab bilden kleine Pfadfinderbuben, die in die Häuser eilen, und auch einem Tauben die Mahnung eindringlich ins Ohr trompeten: „Der Sammelwagen kommt!“ Man liefert dann seine Gaben ab, bis der Wagen ganz voll beladen ist und fast zu schwanken scheint unter seiner Last von Paketen, von guten Wünschen und von Herzlichkeit.

Galante Liebesbriefe aus dem Felde

Französische Soldaten haben ihre Freundinnen nicht ganz vergessen.

Neue Freie Presse am 12.12.1914

Unter den Feldpostbriefen, welche die französischen Zeitungen veröffentlichen, findet man jetzt in immer größerer Anzahl solche, die von den kriegsmäßigen Angelegenheiten eigentlich nur wenig sprechen, sondern mehr von zärtlichen Gefühlen erfüllt sind. Stephan, Gaston und André, meint ein französisches Blatt, sind der Ansicht, dass sie schon genug von Schützengräben, nächtlichen Flankenangriffen und zersplitternden Schrapnells berichtet hätten, und Madeleine, Josefine und Clarisse seien schon beinahe eifersüchtig auf die strenge Dame La guerre gewesen, die jetzt alle Gedanken der braven Jungen so rücksichtslos für sich in Anspruch nähme. „Nein, sie haben uns nicht vergessen“, erklärt selbstbewusst eine junge Pariserin in einer Zuschrift an eine französische Zeitung, „der Krieg hat sie nur im Anfang betäubt. Die ungewohnten Verhältnisse hatten ihre ganze Denkweise beherrscht, so war es begreiflich, dass ihre Briefe gewissermaßen von Gewehrgeknatter diktiert und vom Pulverdampf parfümiert zu sein schienen. Jetzt hat sich ihr Gemüt an die neue Umgebung gewöhnt und ihre Briefe führen schon eine liebenswürdigere Sprache.“

Briten gewinnen Seeschlacht bei den Falklandinseln

Vernichtende Niederlage eines deutschen Geschwaders.

Neue Freie Presse am 11.12.1914

In fernen Meeren haben deutsche Seehelden ihre Treue zu Kaiser und Reich mit ihrem Blute besiegelt. Das Kreuzergeschwader des Grafen Spee ist auf den Grund des Meeres gesunken, nur zwei Kreuzer konnten dem Verhängnis entgehen. Durch vier Monate haben die wackeren deutschen Schiffe die Welt in Atem gehalten. Der britische Seehandel im Stillen Ozean war durch sie fast völlig lahmgelegt. In den Küstenstädten von Britisch-Kolumbien zitterte und bebte die Bevölkerung vor ihrem Erscheinen.Vier lange Monate haben die wenigen deutschen Schiffe von Vancouver bis Melbourne, von der australischen bis zur südamerikanischen Küste die See beherrscht. Flotten wurden zu ihrer Verfolgung ausgesandt. Die Engländer ließen Hölle und Teufel gegen sie los. Die australische, die japanische Flotte wurde aufgeboten, um den verhassten, gefürchteten und doch so hoch geachteten Feind zu vernichten. England selbst, das so besorgt um die Sicherheit der heimischen Gewässer ist, hat neue, mächtige, schnelle Schiffe ausgesandt, um die furchtbare Geißel, die den Seehandel Großbritanniens zu vernichten drohte und die Legende von der Unbesiegbarkeit Albions zur See schon zerstört hatte, zu zerbrechen. Lange, im Verhältnis zu den aufgebotenen Mitteln unglaubhaft lange hat es gedauert, bis die deutschen Kreuzer, zu Tode gehetzt, umstellt waren.

Anmerkung: Trotz der üblichen antibritischen Propagandatöne hält der Text vom 11. Dezember 1914 einer historischen Überprüfung stand. Die britische Flotte hatte zu diesem Zeitpunkt in der Tat bereits einen Großteil ihres vormaligen Nimbus eingebüßt. In der gegebenen Konstellation war es besser, einen direkten großen Zusammenstoß mit der deutschen Flotte zu vermeiden. So hatte das Landheer die Hauptlast des Kriegs zu tragen, für die Reputation der britischen Flotte war der Weltkrieg eine Niederlage, nicht gegenüber der deutschen Flotte, sondern im stolzen Selbstverständnis der Marine als Hauptpfeiler bei der Sicherung des Empires. Das Debakel im Seegefecht bei Coronel am 1. November 1914 vor der chilenischen Küste war die erste Niederlage eines britischen Geschwaders seit über 100 Jahren. Umso größer die Genugtuung über den Sieg am 8. Dezember bei den Falklandinseln. Bei der Versenkung der vier deutschen Schiffe starben neben Vizeadmiral Graf Maximilian von Spee und seinen zwei Söhnen zweitausendzweihundert deutsche Marinesoldaten, hingegen nur zehn britische Seeleute.

Waffenstillstand zu Weihnachten?

Fast chancenloser Vorschlag des Papstes.

Neue Freie Presse am 10.12.1914

Der Papst hat bei den kriegführenden Mächten angeregt, dass ein Waffenstillstand für die Dauer der Weihnachtsfeiertage vereinbart werde. Es scheint jedoch, dass dieser menschenfreundliche Vorschlag keine Aussicht hat, durchzudringen. Russland will nicht darauf eingehen und das Weihnachtsfest der orthodoxen Kirche fällt auf eine um dreizehn Tage spätere Zeit. Niemand wird sich darüber wundern, dass Russland menschlichen Regungen so wenig zugänglich ist. Das Weihnachtsfest ist eine Einrichtung des Glaubens, hat aber durch Gewohnheit und weit zurückreichendes Alter und durch das Ruhebedürfnis in der ganzen zivilisierten Welt auch den Charakter einer gesellschaftlichen Einrichtung bekommen. Russland hat überdies so viele katholische und protestantische Staatsangehörige, dass es schon aus Rücksichten religiöser Duldsamkeit die Anregung des Papstes berücksichtigen müsste.

Brüderliche Gefühle bei den Verbündeten

Deutsches Hurra zu Ehren Franz Josephs.

Neue Freie Presse am 9.12.1914

Wir haben schon zuletzt von der hohen Befriedigung in der österreichisch-ungarischen Monarchie über den gemeinsamen Feldzug der verbündeten Armeen in Polen und Westgalizien gesprochen. Die gleiche Stimmung zeigt sich auch in Deutschland, und auch dort heben die Blätter hervor, wie eindrucksvoll der gemeinsame Kampf der Verbündeten ist und wie einheitlich sich ihre Wirksamkeit gestaltet und wie zuverlässig sie einander zur Seite stehen. Das politische Verhältnis bewährt sich jetzt im militärischen Verhältnisse. Mit besonderer Wärme sprach der deutsche Kaiser von unserer Armee und vom Kaiser Franz Josef. Ihr habt, sagte er, die Ehre, Schulter an Schulter mit dem Heere des Kaisers Franz Josef, meines Freundes und geliebten Vetters, zu kämpfen für die gerechte Sache, für die Freiheit, für die Existenzberechtigung einer Nation und für einen zukünftigen langen Frieden. Er schloss seine Rede, indem er die Truppen aufforderte, den brüderlichen Gefühlen gegen unsere Armee durch Hurraruf zu Ehren des Kaisers Franz Josef und des österreichisch-ungarischen Heeres Ausdruck zu geben.

Anmerkung: In Wirklichkeit waren zu diesem Zeitpunkt die deutschen Kommentare über die österreichisch-ungarische Armee alles andere als freundlich. Manfried Rauchensteiner legt die Dokumente dazu vor: Eben wegen der "jammervollen Haltung der Österreicher" stehe es im Osten schlechter als erwartet, es sei ein Fehler gewesen, nicht rechtzeitig zu bedenken "was für eine elende Armee das ist." Fazit: "Wir schlagen uns erfolgreich mit doppelter russischer Überlegenheit herum, die Österreicher reißen vor gleich starken Russen aus." Bereits am 18. Oktober 1914 entsandte Kaiser Wilhelm ein Telegramm an Franz Joseph, in dem ersucht wurde, die k.u.k. 1. Armee dem deutschen General Hindenburg zu unterstellen. Österreichs Armeeoberkommando reagierte beleidigt. Kurze Zeit überlegte man danach ein gemeinsames Oberkommando. Der Plan wurde am 6. November wieder ad acta gelegt. Rauchensteiner: "Die schwierige Lage am nordöstlichen Kriegsschauplatz und das nicht minder komplizierte Verhältnis zu den deutschen militärischen Spitzen hatten im Armeeoberkommando tiefe Spuren hinterlassen."

Der erste weibliche Feldwebel der k.u.k. Armee

Polnische Legionärin wird in Österreich-Ungarn als Kriegsheldin gefeiert.

Neue Freie Presse am 8.12.1914

Kaum achtzehnjährig ist Stanislawa Ordynska in den schauerlichen Wirbel dieses Weltkrieges hineingeraten und hat sich, als polnische Legionärin, die sie ist, so tapfer mit den Russen herumgeschlagen, dass sie in drei Monaten zum Feldwebel vorgerückt ist.Nun ist sie krankheitshalber beurlaubt; sie sammelt ihre jugendlichen Kräfte wieder und beruhigt ihre Nerven, die von den Aufregungen eines Feldzuges, wie ihn noch nie eine Achtzehnjährige mitgemacht hat, ganz verstört sein müssen. In Warschau geboren, ist sie die Tochter eines Mannes, dessen glühende Vaterlandsliebe der russische Gewalthaber in das kältere Sibirien deportiert hat. Um den alten Mann die weite Reise nicht allein machen zu lassen, haben sie ihm zur Begleitung seinen ältesten Sohn mitgegeben. Der jüngere wurde aufgeknüpft und die Ordynska, die viel gesehen hat, hat auch das gesehen. Als Soldat verkleidet, steigt sie beim Ausbruch des Krieges mit anderen gleichgesinnten Kameradinnen zu Pferde. Eine zweite Verkleidung, das Kostüm einer russischen Bäuerin, wird in die Satteltasche gestopft und alsbald benützt. So schleicht sie sich in einer doppelten Vermummung durch die feindlichen Stellungen, und was bringt sie von dort zurück? Es ist viel wertvoller als eine ganze Kompagnie russischer Gefangener, es ist eine Aufnahme der gegnerischen Aufstellung samt dem dazugehörigen Terrain, ein sogenanntes Kroquis. Um ein solches zustande zu bringen, muss man Distanzen richtig schätzen können, man muss zeichnen können, man muss das Gesehene richtig wiedergeben können. Und dieses junge, modern geschulte Mädchen, diese Jungfrau von Orleans, diese Penthesilea mit den Augen eines Geometers, kann es. Sie kommt zurück, erstattet ihren Bericht, gibt das Kroquis ab, es ist richtig, erweist sich als nützlich, und sie wird - Gefreiter. Für einen gelungenen Handstreich, der dem österreichischen Kommando Einblick in die Notizbücher einiger russischer Offiziere verschafft, wird sie Korporal, für die Gefangennehmung dreier Russen gar Zugsführer - alles in wenigen Wochen. Und nun ist sie Feldwebel, der erste Feldwebel der österreichisch-ungarischen Armee.

Heute vor 100 Jahren: Skisport verdrängt den Schlittensport

Wintersport am Semmering muss attraktiver werden.

Neue Freie Presse am 7.12.1914

Trotz der schweren Zeit hat der Landesverband für Fremdenverkehr im Hotel Stephanie auf dem Semmering eine Versammlung der Semmeringinteressenten einberufen, um das Projekt "Reform des Wintersports und Schaffung neuer großer Wintersportanlagen" voranzutreiben. Der Bericht über die neueste Entwicklung: Der Schlittensport sei zugunsten des Skisports immer mehr zurückgegangen, welcher Wandlung der Österreichische Wintersportklub durch Errichtung der mit großen Opfern verbundenen Skisprungschanze Rechnung getragen hat. Zunächst seien aber die Abfahrtsverhältnisse auf den Semmeringbergen für Skiläufer günstiger zu gestalten, zu welchem Behufe Abholzungen notwendig seien. Außerdem wäre ein großer Sportplatz für Skikjoring, Gasselrennen, Trabrennen, Eissport, Eishockey, Curling usw. zu schaffen. Der Rennplatz müsste mit Tribünen und Stallungen versehen werden. Zur Finanzierung wäre der regierende Fürst von Liechtenstein, der große Gönner des Semmerings, für die Sache zu interessieren. Der Vertreter der Panhans'schen Hinterlassenschaft erklärte, dass er keinesfalls eine Haftung für ein Defizit übernehmen könnte, wohl aber würde er sich für eine feste Subventionierung des Unternehmens einsetzen

Heute vor 100 Jahren: Die verlassene französische Riviera

Die Akteure des großen Gesellschaftsspiels bleiben aus.

Neue Freie Presse am 6.12.1914

Ganz still ist es heuer an der französischen Riviera. Die Stätten, an denen sonst internationale Lebenslust, leicht beschwingter Übermut und die Launen sorglosen Reichtums in der sonnigen Helligkeit der südlichen Landschaft sich austobten, liegen jetzt leer und verlassen da. Die Rollläden der prächtigen Villen in Nizza und Menton sind dicht verschlossen, die Cafés und Restaurants harren vergebens der Schar der Besucher, nur die palastartigen Hotels sind stark belegt, nämlich von verwundeten und kranken Offizieren und Soldaten der alliierten Armeen. Von Cannes bis an die Grenze von Italien ist eine herrliche sonnige Szenerie aufgetan, doch die Akteure des großen Gesellschaftsspiels sind diesmal ausgeblieben. Eine schwere wirtschaftliche Krise ist infolge des fehlenden Fremdenverkehrs über die französische Riviera hereingebrochen. „Frankreich“, so ein Hotelbesitzer in Nizza, „erleidet in diesem Krieg doppelten Schaden: im Norden durch den Einbruch der Deutschen, im Süden durch ihr Ausbleiben.“ Das Kasino in Monaco soll noch im Lauf des Dezember eröffnet werden. Es ist jedoch kaum anzunehmen, dass diese Attraktion heuer der französischen Riviera eine nennenswerte Anzahl von Besuchern verschaffen wird.

Grausames Vorgehen gegen Juden

Russische Plünderungen in Galizien.

Neue Freie Presse am 5.12.1914

Es fehlen noch die amtlichen Darstellungen der russischen Schreckensherrschaft in Galizien, aber auf Grund von privaten Mitteilungen kann man sich schon jetzt ungefähr eine Vorstellung von der Vernichtung und Verwüstung der vom Feinde geräumten Landstriche entwerfen. Das Leben der christlichen Einwohner haben die Russen im großen und ganzen geschont. Gefährlicher war die Lage der Juden, welche öfter bei der Ausplünderung der Läden dem Kosakenübermut zum Opfer fielen. Die neuzeitlichen Hunnen vergriffen sich auch oft an minderjährigen jüdischen Mädchen und vergewaltigten dieselben in bestialischer Weise. Manche von diesen Unglücklichen erlagen ihren Leiden, andere liegen in den Spitälern krank danieder. Das Leben war aber auch größtenteils das einzige, was die Russen ihren „slawischen Brüdern“ übrig gelassen haben. Die teilweise eingeäscherten Städte und Städtchen bieten das Bild ärgster Verwüstung. In allen vom Feuer verschonten Wohnungen ist buchstäblich alles zerschnitten, zertrümmert und zerschlagen. In den Parterrezimmern und Salons, welche gewöhnlich von den Russen als Stallungen benützt wurden, liegen ganze Haufen von Mist und Dünger. In die Brunnen warfen die Russen allerlei Abfälle und Pferdekadaver, so dass in manchen Ortschaften alle Brunnen unbrauchbar wurden.

Wohin mit den russischen Kriegsgefangenen?

Gefangene bauen sich die Barackenlager selbst.

Neue Freie Presse am 4.12. 1914

Sie strömen uns jetzt auf allen Bahnlinien zu, die Gefangenen aus den Karpaten, vom polnischen Kriegsschauplatz. Man kennt schon allgemein den Typus der Leute: Große, kräftige, meist wohlgenährte Gestalten, gutmütige Gesichter. Zum erstenmal begegneten mir ein paar Russen in sonderbar improvisierter Winterausrüstung: sie hatten sich aus den Kalbfellen erbeuteter österreichischer Tornister hohe Fellmützen zurechtgeschneidert. Andere trugen österreichische Winterschutzmittel: Wollwäsche und Handschuhe; durch Ungeschicklichkeit eines Lokomotivführers ist nämlich letzthin auf einer südgalizischen Station ein Waggon solcher Sorten in Feindeshände geraten. An vierzehn Punkten Ungarns zum Beispiel baut man jetzt umfangreiche Barackenlager. Die Gefangenen selbst geben das Arbeitspersonal dazu ab. Ich habe jüngst ein solches Lager besichtigen dürfen, wo eine Musterstadt für sechstausend Einwohner entsteht, mit elektrischer Beleuchtung, gepflasterten Straßen und Wasserleitung. Sogar ein Krematorium, das erste in der Monarchie, gibt es hier; darin werden die Opfer der Cholera verbrannt werden, wenn die Krankheit etwa im Frühling wieder aufleben sollte.

Die Eroberung von Belgrad

Einzug der k.u.k. Truppen als große Genugtuung.

Neue Freie Presse am 3.12.1914

Seit der Niedermetzelung des Königs Alexander aus dem Hause Obrenovic und seit der Wiedereinsetzung der Dynastie Karageorgevic war der Name der Stadt Belgrad für uns mit allen Feindseligkeiten für die Monarchie verknüpft. Wir haben aus den Verhandlungen im Gerichtssaal von Sarajevo gehört, dass ein Netz von Aufruhr und Mordplänen über einen großen Teil der Monarchie gebreitet wurde. Belgrad war einer der Mittelpunkte der panslawistischen Kriegspartei. Der Einzug unserer Truppen ist daher eine Genugtuung für all die Gehässigkeiten, die von dort unter dem Schutze der russischen Großmacht gegen uns angezettelt worden sind. Die Nachricht, dass unsere Truppen in Belgrad eingezogen sind, wird auch eine starke Wirkung auf das serbische Volk haben. Die wiederholten Niederlagen der serbischen Armee, die großen Verluste, welche sie bereits erlitten hat, und die Schwächung ihres Zusammenhaltes und ihres Kampfwillens, die sich schon in der Zahl der Gefangenen deutlich zeigt, und jetzt die Besetzung der Hauptstadt durch den Feind müssen den reuevollen Gedanken hervorrufen, ob es denn richtig war, die Monarchie beständig herauszufordern und sich ganz in den Dienst eines zum Weltkrieg drängenden Panslawismus zu begeben.

Riskante Fahrt eines deutschen Postdampfers

Briefe in die USA brauchen vier Monate.

Neue Freie Presse am 2.12.1914

Aus in den letzten Tagen von Amerika eingelangten Briefen ist zu entnehmen, dass zahlreiche Postsendungen aus Deutschland und Österreich, welche Ende Juli und im August abgesendet wurden, gegen den 8. November in New York anlangten. Man war in dem Glauben, dass diese Post von englischen Schiffen gekapert worden sei; allein nunmehr veröffentlicht die „New York World“ einen Bericht, demzufolge ein deutscher Dampfer mit zirka 4000 bis 6000 Säcken Post aus Europa in Amerika angelangt ist. Der Bericht, der die Überschrift trägt: „Die erste Post von Deutschland seit Ausbruch des Krieges“, lautet: „Ein unbekannter deutscher Dampfer nähert sich mit etwa 4000 bis 6000 Säcken Post dem Kap Henry und dürfte in Hampton Roads morgen anlangen. Das Postamt in Norfolk wurde heute beauftragt, alle verfügbaren Postbeamten und Postsäcke in Bereitschaft zu halten, um die anlangende Post zu übernehmen und sofort zu expedieren. Der Dampfer soll angeblich von Hamburg kommen, und es ist ihm gelungen, trotz der französischen und englischen Schiffe die erste direkte Post von Deutschland nach Amerika zu bringen. Der Dampfer landet in Norfolk, weil er fürchtet, dass englische Kriegsschiffe ihn abfangen würden, doch ist er nunmehr bereits in Sicherheit.“

Weniger Schlagobers für Kaffeehausgäste

Keine Schlemmereien in der Zeit der Milchknappheit.

Neue Freie Presse am 1.12.1914

Die Genossenschaft der Kaffeesieder in Wien hat heute in sämtlichen Kaffeehäusern nachstehende Kundmachung für das weitere Verhalten der Kaffeehausgäste in Anbetracht der derzeit herrschenden Milchknappheit gerichtet: "Die schweren Zeiten, die unser geliebtes Vaterland durchzumachen hat, verpflichtet jeden einzelnen Staatsbürger zur Sparsamkeit mit allen Lebensmitteln, um dadurch der Allgemeinheit nützlich zu sein. Dies gilt hauptsächlich von der Milch, einem der wichtigsten Lebensmittel. Um deshalb der eingetretenen Milchknappheit steuern zu können, ist es patriotische Pflicht eines jeden Staatsbürgers, die größte Sparsamkeit walten zu lassen. Während der Kriegszeit ist daher mit dem Schlagobers mit der größtmöglichen Sparsamkeit umzugehen, umso mehr als mit jedem ersparten Liter Schlagobers 10 bis 19 Liter Milch der Allgemeinheit erhalten bleiben."

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